Auf dem Weg zum emissionsfreien Bus: Ein Mann brennt für Wasserstoff
Heinrich Klingenberg hat bei der Hamburger Hochbahn fast zwei Jahrzehnte lang das emissionsfreie Fahren vorangetrieben.
Die Tankstelle, eine von vieren in Hamburg, gehört zu einem bundesweiten Netz und wird vor allem von Bussen der Hamburger Hochbahn angefahren, die sich seit zwei Jahrzehnten damit befasst, wie Wasserstoff ins Mobilitätssystem der Zukunft eingepasst werden könnte. Der Mann, der das für das städtische Verkehrsunternehmen vorangetrieben hat, heißt Heinrich Klingenberg und ist vor vier Wochen in Rente gegangen. Wenn man wissen will, wie man so eine Technologie durchsetzt, ist er der richtige Mann.
An der Tankstelle steht ein Gelenkbus der polnischen Firma Solaris. Es ist ein Batteriebus mit Brennstoffzelle als Range-Extender. Will heißen: Die erste Geige spielt hier die wiederaufladbare Batterie. Die Brennstoffzelle, die ebenfalls Strom liefert, aber eben aus Wasserstoff, dient nur dazu, die mangelnde Reichweite der Batterie zu strecken. Daneben hat die Hochbahn Brennstoffzellenbusse erprobt, die eine Batterie nur als Ergänzung brauchen, etwa zum Starten.
2003 habe die Hochbahn die ersten drei, später neun, dieser Busse in Dienst genommen, erzählt Klingenberg. „Das war fast ein wissenschaftlicher Versuch“, sagt er, ein Feldversuch innerhalb eines europäischen Verbundprojekts. Seitdem habe die Hochbahn technologische Entwickungen immer mitgemacht. Erst vor gut einem Jahr beendete sie das Nachfolgeprojekt mit drei Bussen einer Nachfolgegeneration, die nur 8 bis 10 statt 22 Kilogramm Wasserstoff auf 100 Kilometer brauchten.
Hochbahn kauft nur noch emissionsfreie Busse
Ebenfalls von Anfang an dabei war der Busfahrer Joachim Will, der am Wandrahmsfleet gegenüber dem Spiegel-Gebäude Wasserstoff zapft, das Kilo zu 9,26 Euro. Volltanken dauert länger als beim Diesel, aber wesentlich kürzer als bei der Batterie. Neben dem Schlauch zum Tankstutzen führt ein gelb-grünes Kabel zu einer Autobatterie am Boden des Busses – „zur Erdung“, wie Will sagt. Das sollen Funkenschlag und die Entzündung des extrem flüchtigen Wasserstoffs verhindern.
Meldungen aus dem vergangenen Jahr, die Hochbahn werde aus der Wasserstofftechnologie aussteigen und stattdessen auf Batterien setzen, seien falsch, sagt der Vorstandsvorsitzende der Hochbahn, Henrik Falk. Vielmehr habe das Unternehmen 2019 ein Memorandum of Understanding mit Mercedes Benz unterzeichnet. Dabei gehe es um eine Entwicklungspartnerschaft für Brennstoffzellen-Gelenkbusse.
Hintergrund ist eine Entscheidung des rot-grünen Senats: Ab dem laufenden Jahr darf die Hochbahn nur noch Busse bestellen, die kein CO2 ausstoßen. Bis Ende des Jahrzehnts soll die komplette Flotte emissionsfrei sein.
Pensionär Klingenberg freut sich, mit welchem Schwung die Bundesregierung, aber auch die Länder jetzt die Wasserstofftechnologie vorantreiben wollen und dass auch die Industrie das ernst nehme. „Wenn mir das vor fünf Jahren einer gesagt hätte, wäre ich skeptisch gewesen“, bekennt er. Denn Rückschläge hat es in den vergangenen Jahren einige gegeben.
Eine der größten Enttäuschungen seiner Laufbahn sei gewesen, dass 2009 der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche gemeinsam mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister Ole von Beust mit großem Tamtam eine Initiative vorstellte, die im großen Stil wasserstoffbetriebene Pkws auf die Straße bringen wollte. Partner aus der Energiewirtschaft wollten das nötige Tankstellennetz aufbauen. Doch die Sache verlief im Sande.
Ein ähnliches Schicksal ereilte den Versuch, den Brennstoffzellenantrieb auf Schiffen einzusetzen. Zwar gelang es der Hochbahn-Tochter Alster Touristik 2008 mit der „Alsterwasser“ ein Ausflugsschiff mit Brennstoffzellenantrieb in Dienst zu stellen. Doch seit 2013 liegt das Schiff still. Der Tankstellenbetreiber Linde baute seine Anlage ab, als die Förderung ausgelaufen war.
„Eigentlich hat die Industrie nie so mitgespielt, wie wir uns das vorgestellt haben“, erinnert sich Klingenberg. Die Hochbahn habe die Haltung gehabt: „Wenn das das Medium ist, unsere Busse emissionsfrei zu kriegen – gerne.“ Die Technikanbieter seien aber nur halbherzig dabei gewesen.
Heinrich Klingenberg, Brennstoff-Vorkämpfer
Um das Thema „innovative Antriebe“ zu bearbeiten, hat die Hochbahn 2005 die Firma Hysolutions ausgegründet. Klingenberg wurde der erste Geschäftsführer. Der studierte Sprachwissenschaftler und Psychologe kennt den öffentlichen Nahverkehr von der Pike auf. Während des Studiums begann er bei der Pinneberger Verkehrsgesellschaft zu arbeiten und blieb dort hängen. Später machte er noch den Busschein, den er in den Sommerferien nutzte, um in den Frühschichten auszuhelfen.
Bei dem Beratungsunternehmen Hanseconsult entwickelte er ein Straßenbahnsystem für Jerusalem, um dann als Vorstand für den Busverkehr zur Hochbahn zu wechseln. Als Anfang der nuller Jahre seine Frau starb und es bei der Hochbahn eine Zeitlang nur um Kostendruck und nicht um die Qualität des Nahverkehrs ging, orientierte er sich neu.
Warum Hysolutions? „Man sah: Das ist ein Thema, das wird uns in den nächsten Jahren bewegen“, sagt Klingenberg. Mit Hysolutions seien die Hochbahn als Mehrheitsgesellschafterin und ihre Partner Stromnetz Hamburg und Vattenfall, um nur die nächstgrößten zu nennen, sehr früh dran gewesen.
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der das riesige Kohlekraftwerk in Hamburg Moorburg gebaut hat und betreibt, hat sich auch in Richtung Nachhaltigkeit aufgemacht und betreibt den Elektrolyseur für die Wasserstofftankstelle am Wandrahmsfleet. Dass in dem Gebäude mit der Milchglasfassade Wasser mittels Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird, ist der glatten Fassade nicht anzusehen.
Ein paar dünne verchromte Rohre ragen heraus, ein paar Gasflaschen stehen vor der Tür. Eine fette Stromleitung oder gar ein Trafo sind nicht zusehen. Es klackert auch nicht, denn die Elektrolyse ist ja ein chemischer, kein mechanischer Vorgang. Für die Wasserstofftankstelle setzt sich der Bau in einem hohen, spitz zulaufenden Dach fort.
Die Anlage kann laut Angaben von Vattenfall täglich 750 Kilogramm Wasserstoff erzeugen und damit 20 Linienbusse plus einiger Pkws versorgen. Zurzeit wird hier allerdings kein Wasserstoff hergestellt sondern geliefert. Immerhin: Die Anlage steht hier seit 2012 als sichtbares Zeichen für die Präsenz der Technologie in Hamburg.
Batterie- und Wasserstofftechnologie ergänzen einander, weshalb sich Hysolutions natürlich auch um Batterien als Speichermedium für grünen Strom kümmert. Dabei sah er vor eine paar Jahren einmal kurz so aus, als würde die Batterie das Rennen machen. Lithium machte die Akkus wesentlich leichter als die Vorgängergenerationen. Der Amerikaner Elon Musk packte sie zusammen mit cleverer EDV und geschicktem Marketing in ein Auto – voilà.
„Anfangs war das so: Oh Sch.…, die Batterie“, erinnert sich der Wasserstofffreund Klingenberg. „Das war nicht nur der Neid allein, sondern dass sich die deutsche Autoindustrie so wenig zukunftsorientiert verhält“, sagt er. Immerhin habe Musk die Branche durchgerüttelt. Den Glauben an Wasserstoff als Energieträger habe er aber nie verloren, sagt Klingenberg, „weil der sytematische Zusammenhang logisch blieb“.
Der Schlüssel ist die Industrie
Grüner Wasserstoff sei als Speichermedium wesentlich interessanter als die Batterie, denn damit ließen sich nicht nur Autos und Busse, sondern auch Schiffe, Flugzeuge und industrielle Prozesse antreiben. Aktuell wird etwa daran gearbeitet, CO2-freien Stahl herzustellen. In großen Mengen für die Industrie produziert, lasse sich Wasserstoff so billig machen, dass er konkurrenzfähig werde.
Der Grund dafür, dass es auch bei der Wasserstofftechnologie jetzt so gut vorangehe, sei ein Wechsel im Denken von der Projektebene auf die strategische Ebene, sagt Klingenberg. Die Hochbahn hat angekündigt, demnächst 50 Brennstoffzellenbusse auszuschreiben. Eine Vorauswahl unter internationalen Bewerbern hat sie bereits getroffen. Die Ausschreibung sei „technologieoffen“, betont Hochbahn-Chef Falk. Angeboten werden könnten sowohl reine Brennstoffzellenbusse als auch Range-Extender.
Einen solchen fährt Joachim Will ruckelfrei und leise von der Hafencity zum Hochbahnhaus in der Steinstraße. Lediglich die Lüftung nervt mit einem Dauerton, und bei höheren Geschwindigkeiten vermittelt das Fahrgeräusch den Eindruck, in einem normalen Bus zu sitzen.
Will fährt den elektrischen Bus viel lieber als Diesel. Es sein einfacher, sagt er. „Ich habe ein ganz anderes Fahrgefühl.“ Anders als beim Diesel gibt es keine Verzögerung beim Beschleunigen, sodass es einfacher wird, zu überholen oder mal vor einem Radler aus der Busbucht rauszuziehen. Erkennen lassen sich diese Busse übrigens ganz einfach: Sie haben keinen Auspuff.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch