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Auf Tuchfühlung

Wenn Männer staunen: Der Schrei der Seide  ■ Von Birgit Glombitza

Der Atem rast, der Puls stottert. Glänzende Stoffbahnen, wohin das tellergroße Auge reicht. Schnell das Rasiermesser aus dem Muff gezogen. Bis zum kleinen Himmelreich ist es nur noch ein Schnitt. In der Umkleidekabine ist die Fetischistin Marie (Marie Trintignant) endlich allein mit ihrem geklauten „Stück Himmel“ und masturbiert ungehemmt bis zur Ohnmacht. Der Anblick einer Sünderin, der bei ihren eigenen Euphorien das Bewußtsein ausgeht, überfordert die Pariser Gesellschaft von 1914. Sie macht kurzen Prozeß, und die Stoffummlerin sieht den Himmel nur noch stückchenweise zwischen den Gitterstäben. Für den ehrgeizigen Psychiater Gabriel (Sergio Castellitto) ein willkommener Stoff für die Karriere. Maries Fetischismus, ihre Phantasien von einer ganz und gar autonomen Lust liefern genügend Material für aufsehenerregende Vorträge.

Doch schaut der Doktor in die Augen seiner Patientin, die sich für alle Behandlungsfälle gleich ganz entkleidet, dann sieht er, was ihm am liebsten ist. „Sie haben Angst. In dem Braun ihrer Iris leuchtet ein blauer Fleck mit weißen Punkten“, und übereifrig diagnostiziert er weiter, „wie bei Menschen, die bald erblinden“. Tatsächlich aber wie der Reflex seiner eigenen Krawatte. Und am Ende ist es Gabriel selbst, der nur noch schwarz sieht. Das ist schon die ganze Ironie, die Der Schrei der Seide aufbringt. Denn eigentlich ist es dem Debüt-Film von Yvon Marciano ernst. Mit den Frauen, der Liebe und der Lust. „Leidenschaft führt zum Schlimmsten“, sagt Marie einmal. Zitternd vor der Wichtigkeit dieser Nachricht.

Das französische Kino wird nicht müde, seinen Blick auf die Frauen zu feiern. Eine Besichtigung, die doch nur den Schauenden spiegelt. Das männliche Staunen über die fremde Lust unterm Spitzenkleid, dazu beschlagene Bilder von entrückten Zeremonien in Jungmädchenzimmern. Der ewige Topos von der Frau in der geräumigen Grauzone zwischen flatterhaftem Alien und gefallenem Engel kommt meist so ergraut daher wie seine Abonnenten. Was übrigbleibt, ist dumpfer Mystizismus in einer patriarchalen Rekonstruktion der Frau als Rätsel. Und nicht selten verrät ein Film, der das Geheimnis der Frau auf den Objektträger legt, das Widerstandspotential seiner Akteurinnen an das Raunen des Kitsches.

Maries Geheimnis ist ihr Fetisch. Seide muß es sein. Geschenkt bereitet sie keine Lust. „Dann schreit sie nicht“, sagt Marie. Laut wird das edle Tuch nämlich erst, wenn sie es klaut. Leuchtet der manisch begehrte Stoff obendrein in „Elektrisch-blau“, steht auch die Fetischistinnenlust unter Starkstrom.

Eine Frau, die keinen Mann braucht – eine größere Herausforderung gibt es nicht. Und da auch Gabriel gegen eine angenehme Tuchfühlung nichts einzuwenden hat und seine Finger gerne über den Faltenwurf selbstgebastelter Togas spazierengehen läßt, bleibt Maries Vorliebe nicht länger ihr Privileg. So lieben sie sich dann malerisch auf Bergen von Stoff. Eine ganz neue Liaison soll es werden. Frei und unempfindlich gegenüber der seidigen Konkurrenz. Beim nächsten Gefängnisaufenthalt lernt Marie, die Analphabetin, Lesen und Schreiben. Gabriels Veröffentlichung Der Schrei der Seide ist ihre erste Lektüre. Hier erfährt sie, was sie ist. Und sie dankt es ihrem Meister mit täglichen Liebesbriefen. Dabei liefert Gabriels Werk einen Verhaltenskatalog, der Maries Unnahbarkeit und ihren Eigensinn nicht als Guckloch aus der Corsage zugelassener Weiblichkeit beschreibt, sondern als Phänomen, das in den Psychiaterclubs Europas zur Zigarre gereicht wird.

Spätestens hier verläßt der Film seine Heldin. Alle Solidarität gerät zum allenfalls hübsch anzusehenden Farbkontrast. Stumpfe Gefängnismauern wechseln mit glänzenden Stoffballen, künstliche Verzögerungen mit dosierten Annäherungen. Und wenn im Schlußbild Gabriels in Liebe ergebene Sekretärin Cecile nach einem blauen Seidenschal greift, an dessen Ende ihr Marie überlegen entgegenblickt, soll sich das Gesetz der Begierde mit der Logik des Herzens verbandeln. Doch zum Glück kommt der Begehrte nicht mehr dazu, auch darüber ein Buch zu schreiben.

3001: Do, 16. bis Mi, 22. Juli, 22.30 Uhr. Metropolis: Do, 16. Juli, 19 Uhr; Fr, 17. Juli, 21.30 Uhr; Sa, 18. Juli, 17 Uhr; So, 19. Juli, 21.30 Uhr; Mo, 20. Juli, 19 Uhr; Di, 21. Juli, 21.15 Uhr.

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