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Audiotour durch NordneuköllnPoesie im Ohr, Trubel vor den Augen

Nordneukölln entspannt mit Texten von Poetry-SlammerInnen durchwandern: Was erst nach Überforderung klingt, funktioniert überraschend gut.

Im Stadtbad Neukölln kann man sich fühlen wie ein römischer Senator Foto: Achille Abboud/imago

Berlin taz | Am U-Bahnhof Rathaus Neukölln geht es los. Ins Getümmel der Karl-Marx-Straße geworfen, fällt es schwer, sich zu entspannen, geschweige denn sich auf einen Audioguide einzulassen. Dennoch wird man zu Beginn der neuen Audiotour der „Kiezpoeten“ genau dazu aufgefordert.

Gemeinsam mit dem City-Management der Aktion Karl-Marx-Straße haben die Poetry-SlammerInnen einen Spaziergang entwickelt, mit dem man in „seinem eigenen Tempo“ eine Mischung von Poesie, Geschichte und interessanten Fakten anhören kann.

An der ersten Station erfährt man etwas über die Entstehungsgeschichte Neuköllns. Dass hier Menschen aus 160 Nationen leben, dass es eine sehr hohe Bevölkerungsdichte gibt. So weit, so unspektakulär. Aber schon bei der nächsten Station, dem Alfred-Scholz-Platz, bemerkt man: Die Idee – Fakten im Ohr und das Leben im Stadtteil vor Augen – geht auf.

Selbst einen Tag nach Neujahr am Vormittag passt der Text der Audiobegleitung zum Neuköllner Geschehen: Voll, laut, hektisch sind Straßen, Menschen und Geschäfte. Aber auch fürsorglich und liebevoll treffen sich Familien, Freun­d:innen, Nach­ba­r:in­nen und trinken Çay, sprechen von ihren Silvestererlebnissen und bewundern den auffällig sauberen Zustand, in dem sie ihren Kiez nach Neujahr vorfinden.

In der Tat lässt wenig vermuten, dass hier noch vor Kurzem so viel Feuerwerk verschossen wurde wie wahrscheinlich nirgendwo anders in Berlin. Auch die Sonne lässt sich nach den vielen grauen Tagen kurz blicken.

Weiter geht es zum Stadtbad Neukölln. Der Audioguide zählt Gründe auf, warum man hier unbedingt einmal schwimmen gehen sollte: Unter anderem, damit man sich in den historizistischen Hallen fühlen kann wie ein römischer Senator.

Scharfsinnige Analyse

Dann folgt der erste Text: ein bewegendes und unterhaltsames Stück der Künstlerin Tanasgol Sabbagh. Während man die Donaustraße entlanggeht, kann man hören, wie eine Person, „Marke Frau mit Migrationshintergrund“, die Situation vieler mit der gleichen „Marke“ beschreibt.

In dieser scharfsinnigen Analyse von Exotisierung, Bildungsaufstieg, Objektifizierung und Rassismus werden sich wohl viele Neu­köll­ne­r:in­nen wiederfinden. Gleichzeitig ist es erstaunlich, wie schnell man sich in der verkehrsberuhigten Zone Neuköllns wiederfindet und die anfangs eingeforderte Entspannung nun doch einsetzt.

An der nächsten Station, dem Comeniusgarten, muss man die richtige Zeit erwischen und darf nicht schon vor 12.30 Uhr da sein. Aber auch außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten lässt sich die Schönheit und Ruhe des Gartens gut bewundern. Auch die anderen, die zu früh da sind, bleiben mit ihren Matcha Latte, Mützen, Schals und Sonnenbrillen draußen stehen und staunen.

Dann geht es zum Richardplatz, zur Statue von Friedrich-Wilhelm I. Die Dorfidylle lässt einen kurz vergessen, dass man im lebendigen, wuseligen Berlin ist, wenn man einen Text von Veronika Rieger hört, warum die Stadt für so viele ein Zuhause geworden ist. Am Klunkerkranich, dem Veranstaltungsort über den Dächern Neuköllns, eendet die Tour.

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