Atomkraft beim Nachbarn: Belgien bibbert vor Black-out
Eigentlich hat Belgien 2003 den Atomausstieg beschlossen. Die Reaktoren liefen weiter. Jetzt fehlt wegen Störfällen die Hälfte des AKW-Stroms.
AMSTERDAM taz | Überschwemmungen, Ausfall des Zugverkehrs, Massensterben von Nutztieren – vor diesem Katastrophenszenario für den kommenden Winter warnt ein Bericht des Nationalen Krisenzentrums von Belgien wegen einer Störfallserie in den Atomkraftwerken des Landes.
In dem Bericht, den die Wirtschaftszeitung De Tijd am Mittwoch veröffentlichte, wird auch auf den Ausfall von Geldautomaten hingewiesen, auf nicht funktionierende Heizungssysteme und vorübergehende tote Leitungen für Festnetztelefon und Internet.
Durch den langfristigen Ausfall von drei seiner sieben Atomreaktoren droht Belgien eine massive Stromunterversorgung. Die Probleme betreffen beide AKWs des Landes: In Doel bei Antwerpen liegt der Reaktor 3 bereits seit März still, ebenso wie Reaktor 2 in Tihange bei Lüttich.
Bei beiden seien die Reaktorwände durch „tausende kleine Risse“ als Schutz gegen die Strahlung nicht ausreichend, so der öffentlich-rechtliche Rundfunksender VRT. Mindestens bis zum Frühjahr sind beide Reaktoren außer Betrieb. Die Föderale Agentur für nukleare Kontrolle (Fanc) deutete an, sie würden möglicherweise nie mehr ans Netz gehen.
Störfälle und Sabotagevorwürfe
Verschärft hat sich die Krise nun durch einen vermeintlichen Sabotagefall im AKW Doel: Anfang August fiel dort ein weiterer Reaktor aus, weil eine der Turbinen überhitzt war. In verschiedenen Medien wurde selbst über Nuklearterrorismus spekuliert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun unter den Angestellten, macht aber zu den Hintergründen noch keine Angaben.
So entfallen mit 3.000 MW rund 50 Prozent der AKW- Stromproduktion Belgiens. Seit Tagen spekulieren Medien und Politik über eine Unterversorgung im Winter, bis hin zum Black-out, einem großflächigen Stromausfall. Besorgt darüber sind auch Delegierte der konservativen und liberalen Parteien, die zurzeit über eine neue Regierung verhandeln. Sie forderten von der abtretenden Regierung Elio Di Rupo (PS) schnell Klarheit über die Situation
Der bisherige Verbraucherminister Johan Vande Lanotte warnte im Radio vor Panikreaktionen. Stattdessen regte er an, die Lage mittels Notgeneratoren oder Energieimporten zu entschärfen. Ob diese Optionen realistisch sind, ist umstritten. Der Minister kritisierte den Beschluss der Regierung von 2007, die AKWs zehn Jahre länger am Netz zu halten. Eigentlich hatte Belgien 2003 einen schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen