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Atom-Unfall in SüdfrankreichRadioaktive Brühe rinnt in die Rhône

Bei einem Atomunfall in Südfrankreich läuft radioaktiv verseuchte Flüssigkeit in die Gewässer. Behörden verbieten den Genuss von Trinkwasser.

Schon 2003 hatten Greenpeace-Aktivisten Grund, vor dem AKW Tricastin zu protestieren. Bild: ap

Atomunfall in Frankreich: Auf dem Gelände der südfranzösischen Atomanlage von Tricastin ist in der Nacht zu Dienstag eine große Menge Uran in den Boden, in das Grundwasser und in die beiden benachbarten Flüsse Gaffière und Auzon geschwappt. In den beiden Zuflüssen zur Rhône wurde am Dienstag eine tausendfache Uranbelastung gemessen. Dennoch wurde die örtliche Bevölkerung erst zehn Stunden nach dem Unfall informiert. Noch viel später veröffentlichte die Präfektur einen Erlass für die umliegenden drei Gemeinden, in dem sie das Wassertrinken, Wassersport, Bewässerung von Gärten und Feldern sowie den Konsum von geangelten Fischen bis auf Weiteres verbietet. Am Mittwoch lieferten Tanklaster den Anwohnern Trinkwasser. Thierry Charles vom französischen Institut für Nukleare Sicherheit (IRSN) erklärte: "Wenn die Leute kein Wasser trinken, gibt es kein Kontaminierungsrisiko."

Über den Unfallhergang war bei Redaktionsschluss noch wenig bekannt. Beteiligt war das Uranverarbeitungsunternehmen Socatri, eine Tochterfirma des Atomkonzerns Areva, die auf dem Atomgelände von Tricastin arbeitet. Tricastin ist nach der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague die zweitgrößte Atomanlage Frankreichs. Bei Socatri floss ein Uranbehälter über. Der Inhalt ging nicht, wie die Sicherheitsregeln das vorschreiben, in ein Auffangbecken, sondern sickerte sofort in den Boden. Da Socatri am Südrand des Atomgeländes und direkt an einem Wasserlauf liegt, kontaminierte ein Teil des Urans das Wasser.

Nach Mitteilung von Socatri ereignete sich der Unfall um 6.30 Uhr am Dienstagmorgen. Hingegen meldet des Institut für nukleare Sicherheit, das Uran sei bereits um 23 Uhr am Montagabend ausgetreten. Zu den widersprüchlichen Zeitangaben kommt hinzu, dass auch die ausgetretene Uranmenge umstritten ist. Nachdem die Socatri zunächst von 30 Kubikmeter Flüssigkeit mit insgesamt 360 Kilogramm Uran gesprochen hatte, korrigierte die Firma ihre Zahl am Mittwoch herunter: auf 6,25 Kubikmeter wässriger Lösung mit 75 Kilogramm Uran. Fest steht, dass die Politiker vor Ort erst am Dienstag um 13.30 Uhr und die Medien erst am Dienstag um 16 Uhr informiert wurden. Die staatliche Atomaufsicht wurde am Dienstagmorgen informiert und will wegen möglicherweise verspäteter Benachrichtigung "nötigenfalls Strafen verhängen", so die Behörde.

Der französische Atomkonzern Areva, Hauptbetreiber der Anlage von Tricastin, wo sich auch ein AKW befindet, erklärte, der Austritt der radioaktiven Flüssigkeit habe weder Folgen für das Personal noch für die Anwohner der Anlage. Auch ein Ingenieur von der französischen Atomaufsicht meint, die Gefahr für die Umwelt und für Personen sei nur "sehr gering". Zudem werde das Uran über die beiden Zuflüsse sehr schnell in die Rhône gelangen und sich dort "auflösen".

Umweltinitiativen schätzen die Gefahren, die jetzt von Tricastin ausgehen, jedoch anders ein. Das Antiatomnetzwerk Réseau Sortir du Nucléaire sieht eine "erhöhte Krebsgefahr" für die Anwohner. Am kommenden Samstag organisiert Réseau Sortir du Nucleaire eine schon seit Langem geplante Demonstration gegen die französische Atompolitik in Paris.

Beschäftigte und Gewerkschaften von der Atomanlage haben in der Vergangenheit darüber geklagt, dass sensible Arbeiten zunehmend von Subunternehmen erledigt würden. Diese würden billiger, aber weniger sorgfältig arbeiten. Die Umweltorganisation Greenpeace lobte, dass die Behörden den Wasserkonsum in der Umgebung der Atomanlage verboten haben. "Die Reaktion ist angemessen", sagt Yannick Roussel. Zugleich weist er darauf hin, dass täglich "tausendmal höhere Strahlenbelastungen" von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Wasser geleitet werden. Dort verbieten die Behörden nicht einmal das Wassertrinken.

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7 Kommentare

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  • G
    gähn

    dort gehört sie auch hin!

  • S
    Schriewer

    Donnerwetter, um 16.49 und 17.15 verschwand der Mauerblümchenartikel aus dem Gesellschaftsteil der FAZ, um gleich als Doppelpack im Politikteil aufzutauchen. Geht doch.

  • G
    Goedel

    Auch in Frankreich, wo ich arbeite, ist man seltsamerweise recht ruhig - auch wenn aus dem südfranzösische Kraftwerk (wenn man der taz glauben darf) fast ein zweites Tschernobyl wurde...

  • S
    Schriewer

    Ihren Kommentar hier eingeben

     

     

     

    Sollten Sie diese Meldung vergeblich in der FAZ suchen, sie steht nach "Nackig Wandern" , "Tierarzt wird teurer" und " Nicole Kidmanrose" im Gesellschaftsteil. Auffindbar wird sie über die Textsuche.

  • D
    DARKLING

    Tja und da fordern die Regierungsoberhäupter auf dem aktuellen G8-Gipfel den weiteren Ausbau der Atomenergie um den Klimawandel zu stopppen, und für eine "strahlende Zukunft" vermutlich auch.

  • K
    Karl

    Beruhigungsbotschaft ohne Inhalt:

     

    Bemerkenswert ist der Mangel an inhaltlicher Kritik zu der die Betreiberstellungnahme reichlich Gründe liefert.

     

    "Die ausgetretene Lösung enthalte insgesamt etwa 360 Kilogramm nicht angereichertes Uran, das aber nur schwach radioaktiv sei, sagte Louet."

     

    Es besteht ein wesentlicher Unterschied in der toxikologischen Einschätzung ob es sich um eine Suspension oder um eine echte Lösung von Uranverbindungen handelt. Damit ist eine solche Angabe entweder absichtlicher Irreführung oder blanker Unkenntnis geschuldet.

     

    "In letzterem wurde der Atomaufsichtsbehörde zufolge eine Urankonzentration rund 1.000 Mal über dem Normalwert gemessen. Der Wert gehe aber rasch zurück, hieß es."

     

    Für die Bewertung einer Stoßbelastung ist die Angabe von Konzentrationen, Gehalten pro Volumen, grob irreführend und entspricht nicht dem Stand von Forschung und Technik. Gehaltsangaben stellen für ein Fließgewässer keine belastbaren Angaben dar!

    Selbstverständlich geht der Wert schnell zurück wenn die Verdünnung durch das Gewässer greift.

    Warum wurden nur Flüssigkeits- und keine Sedimentproben untersucht?

     

    "Experten der Kommission für Unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität (CRIIRAD) erklärten am Mittwoch, man könne davon ausgehen, dass die Strahlung 100 Mal höher sei als die für das Gesamtjahr zulässige Obergrenze."

     

    So ist diese Aussage leider völlig belanglos, weil für eine solche Angabe ein Ortsbezug unerläßlich ist und zum Vergleich ein aktueller Ortshintergrund verfügbar sein muss.

     

    "Die Anti-Atomkraft-Gruppe Sortir du nucléaire warf den Behörden vor, den Zwischenfall zu verharmlosen. "Wenn die von der ASN akzeptierten Zahlen stimmen, macht das 360 Kilogramm Uran", sagte ein Sprecher der Organisation. Daher sei es "unmöglich", dass es keine Gesundheitsgefährdung gebe. Wer damit verseuchtes Wasser trinke, habe die Partikel im Körper. Auch bei geringer Strahlung entstehe dann erhebliche Krebsgefahr."

     

    Radionuklide stellen grundsätzlich nicht nur eine möglicherweise problematische Strahlenquelle dar. Es handelt sich auch um akut toxische Schwermetalle, bemerkenswert das sich niemand an diesen Sachverhalt erinnert.

     

    Abschließend noch eine Anmerkung zur Beriffsverwendung. Das Wasser ist kontaminiert nicht verseucht.

     

    Bleibt ein schaler Eindruck von gezieltem Herunterspielen und Verharmlosen.

     

    Karl

  • S
    sascha

    was werden wir unseren kindern anderes hinterlassen, als eine großen, strahlenden haufen scherben?