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Atelierbesuch in NeuköllnIn Lebensgröße

Die Tierskulpturen mit echtem Fell der Berliner Künstlerin Katharina Moessinger verbinden das Niedliche mit dem Unheimlichen.

Lebensgroßen Kuscheltieren begegnet man im Atelier von Katharina Moessinger Foto: Linda Gerner

Schwarze ­Teddybärenaugen starren durch den hohen Raum. Könnten sie sich bewegen, würden sie in die kitschigen Glubschaugen eines gescheckten Pferdes schauen. Der auf Hinterbeinen stehende Bär streckt einen Arm in die Luft. Der Blick wird auf die runden Teddypfoten mit den scharfen Krallen gelenkt. Krallen? An einem Kuscheltier? Ja, denn diese Szenerie stammt nicht aus einem Kaufhaus, sondern aus einem Atelier.

Genauer: aus dem Atelier der Berliner Künstlerin Katharina Moessinger. Die schlanke blonde Künstlerin steht auf Zehenspitzen neben ihrem Kunstwerk, wuschelt in dem Fell hinter dem Ohr des Bären. Ein Schnittmuster eines industriell gefertigten Teddys war Ausgangspunkt für ihr Kunstobjekt. Doch der Bär, der in dem Atelier so stumm in die Luft blickt, ist über zwei Meter groß. Das entspricht ungefähr der Lebensgröße eines Braunbären. Das flauschige Fell des Riesenteddys hat einmal ausgewachsene Bären vor Kälte geschützt. Es ist ebenso echt wie die Zitzen vom Pferd gegenüber.

Der Bär stammt aus Moessingers Serie „Kuscheltiere“. Doch mit den Schmuseobjekten von Kindern haben ihre Werke nur den Namen gemein. Das echte Fell, die originalen Krallen, die Größe lassen einen unweigerlich vor den Kunstwerken zurückschrecken, um im nächsten Moment doch wieder näher heranzutreten, das Fell und die Nähte genau zu betrachten, die Größe intensiv wahrzunehmen und vorsichtig mit dem Finger das Tier zu berühren. Doch mit diesen Tieren kuscheln?

Abfallprodukte der Fleischindustrie

Dafür ist die Anmutung des toten Tiers in Moessingers Kunst doch zu intensiv. Die Proportionen der Kunsttiere sind die von Stofftieren, ihre Größe ist jedoch naturgemäß. Ihre äußere Erscheinung ist verspielt, das Material echte Tierhaut. Sie sind Ausdruck der Ambivalenz von Künstlichkeit und Natürlichkeit. Stofftiere verbildlichen den Wunsch, Tiere zu vermenschlichen, Moessingers Arbeiten zeigen den bestehenden Widerspruch: Die Felle, die sie verwendet, sind Abfallprodukte der Fleischindustrie.

Die Tierfelle bekommt Katharina Moessinger von Schlachtern und lässt sie dann gerben. Die Bärenfelle hat sie von einer Freundin, die den Nachlass eines Jägers geerbt hat: „Ich verarbeite in einem Projekt drei bis vier Felle, bei denen noch alles dran ist: Kopf, Schweif, Euter“, so die 43-Jährige.

Die Rolle der Betrachter, die Moessingers Kunst mitdenkt, ist bei einem anderen Werk noch expliziter. Aus Schweinehaut kreierte sie einen kompletten Anzug: „Schweinehaut ist der menschlichen Haut sehr ähnlich. Der Anzug ist zwar ein hängendes Objekt, aber man kann in Gedanken hineinschlüpfen. Die Arbeit an sich macht nicht den künstlerischen Moment aus, sondern eher die Gedanken, die sie anregt.“

Auch im zweiten Raum von Moessingers Atelier liegen Kuscheltiere in Lebensgröße. Zusammengepfercht zu einer Art Haufen. Sie werden hier gelagert, bis sie wieder in einer Galerie ausgestellt werden. Ein Schaf liegt neben einem Ziegenbock, eine umgekippte Kuh stößt an ein Rehkitz. „Die Menschen öffnen sich diesen Kunststücken zunächst, weil die Tiere sehr vertraut wirken“, sagt die Berlinerin. Man verbinde mit Kuscheltieren oft positive Erinnerungen, und der Großteil der Betrachter sei von ihren Kunstwerken berührt, sagt Moessinger. Doch es kam auch vor, dass Menschen angewidert waren. Generell sei das Bedürfnis, die Tiere anzufassen, bei Erwachsenen sehr stark. Kinder seien, zu ihrer Überraschung, meist distanzierter.

Bilder ihrer Kindheit

Das Tiermotiv ist in Moessingers Kunst durch einen persönlichen Bezug präsent. Sie ist in einem alternativen Zirkus mit einem Schwein, einem Ziegenbock, einem Esel und einem Pony aufgewachsen: „Das sind auch Bilder aus meiner Kindheit“, sagt sie über ihre Werke.

Die Künstlerin hat ihr Atelier im Berliner Stadtteil Neukölln: „Viele Galerien gibt es in Neukölln nicht. Aber für Ateliers ist es ein super Standort, weil es noch erschwingliche Gewerberäume gibt.“ Sie zog von Kreuzberg nach Neukölln, nachdem in ihrem vorherigen Atelier die Miete erhöht wurde.

Die Wahrnehmung von Neuköllner Künstlern zu stärken, das versucht die Saalbau Galerie in der Karl-Marx-Straße. Mitte Januar wurde dort der Neuköllner Kunstpreis verliehen. Katharina Moessinger gewann den zweiten Preis. In der Galerie ist ihre Skulptur „Kein Bock“ ausgestellt. Der Name negiert das Material: Es ist ein Bock, wie er früher beim Turnen verwendet wurde. „Es ist ein ausrangiertes Turnpferd, das ursprünglich für Leistung und Wettbewerb steht. Ich hab es durch einen subtilen Eingriff verfremdet, sodass es sich dieser Rolle entzieht“, sagt Moessinger.

Das Kunstwerk ist in der fast leer wirkenden Galerie eine Stolperfalle. Die Beine des Bocks sind verbogen zur Seite gestreckt, der breite Lederkörper sitzt auf dem Boden auf. Die Parallele zum realen Pferd ergibt sich bereits aus dem Turngerät. Doch Katharina Moessingers Interpretation berührt. Ein Pferd, das unbequem auf dem Hinterteil sitzt, zusammengebrochen wirkt und eine klare Botschaft an seine Betrachter sendet: „Kein Bock“.

„Neuköllner Produktion“ bis 26. März in der Saalbau Galerie Neukölln, Berlin.

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