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Asylverfahren in der EUGerichte können sichere Herkunftsstaaten kontrollieren​

Der Europäische Gerichtshof stoppte Manöver von Italiens Regierungschefin Meloni. Sie versuchte, die Kontrollrechte der Gerichte auszuhebeln.

Die italienische Ministerpräsidentin Meloni dürfte sich nicht über das Urteil freuen Foto: Claudia Greco/reuters

Freiburg taz | Die italienische Regierung kann „sichere Herkunftsstaaten“ per Gesetzesdekret festlegen. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Allerdings können nationale Gerichte die Einstufung der Regierung auch dann kontrollieren, wenn sie per Gesetz erfolgte. Das hat auch Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage.

Konkret ging es um den Fall von zwei Männern aus Bangladesch. Diese wurden im Oktober 2024 von der italienischen Küstenwache im Mittelmeer gerettet und anschließend nach Albanien gebracht. Dort will die italienische Regierung die Asylverfahren aller Flüchtlinge aus als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestufte Länder abwickeln.

Ein Gericht in Rom ordnete jedoch die Überstellung der beiden Männer nach Italien an, weil die Einstufung von Bangladesch als sicherer Herkunftsstaat zweifelhaft sei. Die italienische Regierungskoalition hatte die Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“ per Gesetz eigentlich eingeführt, um die Kontrolle der Gerichte auszuschalten. Da auch andere italienische Gerichte ähnlich entschieden, war das ambitionierte Albanien-Modell der konservativen Regierungschefin Giorgia Meloni vorerst gescheitert. Sie hatte in Abstimmung mit der linken Regierung Albaniens dort zwei große Lager errichten lassen, die faktisch aber nur an insgesamt fünf Tagen in Betrieb waren.

Auf Vorlage des römischen Gerichts entschied jetzt der Europäische Gerichtshof über grundlegende Fragen im Fall der beiden Bangladescher. Dabei ging es nur um die Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten, nicht um die Zulässigkeit von EU-Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten wie Albanien.

Keine einheitliche Liste für „sichere Herkunftsstaaten“

Eine EU-Asyl-Richtlinie sieht schon seit 2013 vor, dass EU-Staaten bestimmte Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ einstufen können. Es gibt dabei keine einheitliche EU-Liste. Anträge von Personen aus diesen Staaten dürfen beschleunigt erledigt werden. Die Asylbehörden können dann vermuten, dass der Asylantrag unbegründet ist. Allerdings kann ein Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat die Vermutung für seinen konkreten Fall widerlegen.

Der EuGH hat nun zur Einstufung von Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ mehrere Grundsatzfragen geklärt. So kann die Einstufung per Gesetz erfolgen. In Deutschland ist das schon lange üblich, in Italien wurd es erst jüngst eingeführt. Dennoch können Gerichte bei der Prüfung von konkreten Asylanträgen auch die Einstufung des Herkunftsstaats überprüfen. Das ist in Italien relevant für die Verfahrensfrage, ob das Asylverfahren in Albanien durchgeführt werden darf.

Dabei muss die Regierung schon bei der Einstufung eines Staates alle Quellen nennen, auf die sie die Einstufung als „sicher“ stützt. Prüfende Gerichte können aber auch andere Quellen, etwa Informationen von NGOs, hinzuziehen, so der EuGH.

Sicher für alle Bevölkerungsgruppen

Wenn ein Herkunftsstaat als „sicher“ eingestuft wird, muss dies für das gesamte Staatsgebiet und alle Gruppen der Bevölkerung gelten, also zum Beispiel auch für ethnische Minderheiten oder Homosexuelle. Diese Anforderung gilt allerdings nur noch zeitlich begrenzt. In der Reform des Gemeinsamen EU-Asylsystems (GEAS) haben die EU-Staaten nämlich bestimmt, dass ab Juni 2026 auch Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden können, wenn bestimmte Gebiete und bestimmte Gruppen nicht sicher sind. Die EU-Kommission will diesen Punkt der neuen EU-Verfahrensverordnung sogar noch zeitlich vorziehen, die EU-Staaten und das EU-Parlament haben dies aber noch nicht beschlossen. Der EuGH zeigte hierzu aber keine Bedenken.

Bezüglich des Staates Bangladesch hatten italienische Gerichte Zweifel, ob das gesamte Staatsgebiet sicher ist. Hierzu äußerte sich der EuGH nicht, sondern überließ die Prüfung den italienischen Gerichten. Das Manöver der italienischen Regierung, die sicheren Herkunftsstaaten per Gesetz festzulegen, um die italienischen Gerichte auszuschalten, ist damit gescheitert.

Das EuGH-Urteil hat auch Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage. Dort können schon seit einer Grundgesetzänderung 1992 „sichere Herkunftsstaaten“ per Gesetz bestimmt werden. Die deutsche Regelung war quasi das Vorbild für die EU-Richtlinie von 2013. Derzeit sind in Deutschland 10 Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgestellt: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Moldau, Senegal, Serbien.

Nach dem EuGH-Urteil können nun auch deutsche Verwaltungsgerichte bei der Prüfung einer Asyl-Klage die Einstufung eines Staates als „sicherer Herkunftsstaat“ prüfen. Bisher konnte diese Prüfung nur das Bundesverfassungsgericht vornehmen, da die Einstufung per Gesetz erfolgte.

Bundesregierung plant Reform

Die Bundesregierung will die Einstufung künftig aber ohnehin per Rechtsverordnung vornehmen. Dann müsste der Bundesrat nicht mehr zustimmen, indem bisher die Grünen oft blockierten. Das EuGH-Urteil steht dieser Reform nicht entgegen. Der EuGH hält die Einstufung von „sicheren Herkunftsstaaten“ per Gesetz für möglich, aber nicht für zwingend.

Die Einstufung als „sicherer Herkunftsstaat“ hat in Deutschland vor allem symbolische, abschreckende Bedeutung, weil die Vermutung ja widerlegbar ist. Die Beschleunigung des Asylverfahren wurde von der Bundesregierung einmal auf zehn Minuten beziffert. Dagegen hat die weitere Grundgesetzänderung von 1992, wonach die Einreise über einen „sicheren Drittstaat“ das Asylrecht unwiderleglich ausschließt, das deutsche Asylgrundrecht 1992 faktisch abgeschafft. Das Asylrecht beruht in Deutschland seitdem fast nur noch auf EU-Recht.

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