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Asylrecht in der Europäischen UnionAlle roten Linien überschritten

Das Europäische Asylsystem wurde in den letzten 15 Jahren immer rigider, je länger daran geschraubt wurde. Eine Chronologie der Härte.

September 2023: Asylsuchende verlassen ein völlig überfülltes Aufnahmelager auf der italienischen Insel Lampedusa Foto: Alessandro Serranò/Avalon/imago

Die Einigung der EU auf das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) sei „dringend notwendig“ gewesen, schrieb Außenministerin Annalena Baerbock am Mittwoch auf X. „Humanität und Ordnung sind dafür die Leitplanken.“

Dabei hatte der EU-Rat unter Führung Spaniens während der am vergangenen Montag gestarteten letzten Runde der Verhandlungen zum GEAS alle menschenrechtlichen roten Linien eingerissen, die die Grünen gezogen hatten.

Vorgesehen sind nun Haftlager mit zehntausenden Plätzen an den Außengrenzen, Schnellverfahren ohne Ausnahmen für Minderjährige, Abschiebung ohne Antragsprüfung in Drittstaaten und die „Fiktion der Nichteinreise“, die die Rechtsmittel Ankommender beschneidet. Zehn Einzelgesetze sollen Asyl-Ablehnungen und Abschiebungen leichter machen und Flüchtlinge abschrecken.

Die Verhandlungen hatten sich über Jahre hingezogen. Je länger sie andauerten, umso härter wurden die Pläne für den Umgang mit den Ankommenden. Ein Rückblick:

2008

Im „Stockholmer Programm“ verpflichtet sich die EU, ihr Asylsystem zu harmonisieren.

Dezember 2012

Wie eine „grausame Lotterie für die Flüchtlinge“ sei das Asylsystem in der EU, sagt EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. Das GEAS soll Vereinheitlichung und Lastenteilung bringen.

Juni 2013

Das EU-Parlament beschließt das erste GEAS. Malmström hatte weitreichende Verbesserungen vorgeschlagen, konnte aber nur wenig gegen Großbritannien, Frankreich und Deutschland durchsetzen. „Mit allem, was als ‚Pull-Faktor‘ gilt, also Flüchtlinge anziehen könnte, kamen wir bei den Mitgliedstaaten nicht durch“, sagt ein Brüsseler Diplomat. Asylbewerber sollen aber künftig überall in der EU gleiche Bedingungen zu Verfahren, Versorgung und die Chance auf Anerkennung vorfinden. Einen Verteilmechanismus gibt es nicht.

Oktober 2013

Nach Schiffskatastrophen mit Hunderten von Toten bekräftigen Griechenland und Italien ihre Forderung nach der Umverteilung von Ankommenden. „Dublin II“ – die Regelung, laut der immer der Staat der Ankunft für Flüchtlinge zuständig ist, habe sich „bewährt“ und bleibe „selbstverständlich erhalten“, entgegnet der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU.

Oktober 2014

Deutschland ändert seine Meinung: „Wir müssen uns verständigen auf Aufnahmequoten, etwa nach Einwohnern“, sagt Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Weil Italien, Griechenland und andere nun die Dublin-Regeln unterlaufen und Ankommende einfach weiterschicken, stellen immer mehr Menschen in Deutschland einen Antrag. Mitte 2014 wurde EU-weit jeder dritte Asylantrag in Deutschland gestellt. Deutschland profitiert nicht mehr von Dublin – und entdeckt auf einmal die Nachteile des angeblich „bewährten“ Systems.

April/Mai 2016

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Das EU-Parlament fordert eine grundlegende Neuordnung der Asylpolitik und Umverteilung. Die EU-Kommission schlägt eine Reform des GEAS vor: Über einen „Fairness-Mechanismus“ sollen andere EU-Staaten Ländern wie Italien und Griechenland Flüchtlinge abnehmen. Wenn sich ein Land weigert, soll es 250.000 Euro pro Flüchtling zahlen, den es eigentlich hätte aufnehmen müssen. „Man kann sich nicht herauspicken, wann man solidarisch ist und wann nicht,“ sagt Kommissionsvize Frans Timmermans. Er frage sich, ob die Kommission „das wirklich ernst meint“, sagt Polens Außenminister Witold Waszczykowski. Sein tschechischer Kollege Lubomír Zaorálek spricht von einer „unangenehmen Überraschung“, Ungarns Außenminister Péter Szijjártó von „Erpressung“.

2018

CSU-Innenminister Horst Seehofer schlägt Asylverfahren in geschlossenen Lagern an den Außengrenzen vor. Die Grünen Annalena Baerbock und Claudia Roth kritisieren den Vorschlag heftig. Im Partei- und im Wahlprogramm für die EU-Wahl 2019 lehnen die Grünen die Idee ab.

Juli 2020

Deutschland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Seehofer erneuert seinen Vorschlag: „Offensichtlich unbegründete oder unzulässige Anträge müssen an den Außengrenzen sofort zurückgewiesen werden, und dem Antragsteller darf die Einreise in die EU nicht gestattet werden“, heißt es aus seinem Ministerium. Personen aus „sicheren Drittstaaten“ solle die Einreise verweigert werden. Die Union macht Druck auf die EU-Kommission. „Für ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das diesen Namen auch verdient“, sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg.

September 2020

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt den „Migrationspakt“ vor. Zentraler Punkt: Schnellverfahren in Internierungslagern an den Außengrenzen. Sie sollen nach dem Willen der Kommission Kern der GEAS-Reform sein.

Dezember 2020

Deutschlands Ratspräsidentschaft endet ohne Einigung. Griechenland und Italien hatten auf einen Verteilmechanismus bestanden. Länder wie Ungarn oder Polen waren dagegen.

2021

In der Ägäis gehen Hochsicherheitslager, sogenannte Closed Control Access Center, in Betrieb. Weite Teile des Schnellverfahren-Konzepts werden hier in Pilotprojekten angewandt.

Januar 2023

Die Kommission präsentiert eine „Instrumentalisierungsverordnung“. Sie soll Ländern ermöglichen, die Rechte von Flüchtlingen einzuschränken, wenn diese von feindlichen Nachbarstaaten geschickt werden. Deutschland lehnt wegen menschenrechtlicher Bedenken ab.

Juni 2023

Deutschland stimmt den Kommissionsvorschlägen für Schnellverfahren an den Außengrenzen zu. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour behauptet, im Gegenzug werde ein „verbindlicher Verteilmechanismus“ eingeführt. Der ist aber nicht vorgesehen. Die Grünen wollen Minderjährige von der Inhaftierung ausnehmen.

Dezember 2023

In der letzten GEAS-Verhandlungsrunde streicht die spanische Ratspräsidentschaft die Ausnahmen für Minderjährige. Einen echten Verteilmechanismus sehen Regeln nicht vor. Am Morgen des 19. Dezember meldet der Rat den Abschluss der Verhandlungen. Deutschland stimmt zu.

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6 Kommentare

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  • Ach was! ©️ Loriot z 💯

    “Asylrecht in der Europäischen Union



    : Alle roten Linien überschritten



    Das Europäische Asylsystem wurde in den letzten 15 Jahren immer rigider, je länger daran geschraubt wurde. Eine Chronologie der Härte.“

    Schonn. But. Sorry junger Mann.



    Als altgedienter Fahrensmann für Asyl ab Köln 1988! Sage - Wer mit 2008 beginnt - spielt - mit Verlaub - mit gezinkten Karten! Woll!



    Das EU-Asylrecht - ist ohne die brutalstmögliche Schleifung 1993 - des Grund&Menschenrechts Art 16 GG - ASYL IN DEUTSCHLAND - überhaupt nicht versteh- noch faßbar. Gell.



    & hier erneut - Friedrich Küppersbusch -



    Ohne den Grexit (2009 ff) nicht zutreffend zu erfassen! Denn.



    (Remember taz-Buddy Wolfgang die Briefumschläge Schäuble “Wer anderes von mir verlangt - dann tret ich zurück!)



    “Das Verhalten der Südschiene in der Flüchtlingsfrage - ist dem Verhalten der NORDSCHIENE - Schland beim Grexit vorweg geschuldet! Denn damit war den Ländern der Südschiene aber sowas von unmissverständlich klar: Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht - läßt uns die Nordschiene im Regen stehn!“



    That’s Fact!

    kurz - Wer wollte widersprechen!



    Sodrum et al.- wird die brutalstmögliche menschenverachtende Realität EU-“Asyl“ halbwegs deutlich! Newahr



    Normal Schonn •



    &



    Wenn dir dann der Neusprech von insbesondere unseren schwer duften Politikasterninnen Annalena B. & Nancy F. aus dem Fernie 📺 bricht!



    Kannste nur noch angewidert feudeln!



    Tilt!

    Na Mahlzeit

  • Dezember 2023. Bis November 2023 verzeichnete die EU die meisten Asylanträge seit 2016. Dabei waren die Zahlen seit 2014 schon dauerhaft sehr hoch.

    Sinnvoll und vermutlich bald ein Muss wird sein die Genfer Flüchtlingskonvention wieder in ihre alte Form zurückzuführen, die bis 1965 galt: dass sie nämlich nur für Flüchtlinge aus Europa gilt.

    Es gibt keine Alternative.

    Wollen wir Menschen in Not auf globaler Ebene helfen, geht das nur über die zigfach effizientere Verantwortungsethik.

    Z. B. die Spenden an Welthungerhilfe, UNHCR etc. zu multiplizieren.



    Weitere Möglichkeiten finden sich auf der Website der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung.

    Gesinnungsethik hat in diesem Bereich nichts zu suchen. Bringt mehr Schaden als Nutzen.

  • In dem Artikel wird beklagt, daß es in Bezug auf das Festhalten / Zurückweisen an den EU-Außengrenzen keine Ausnahmen für Minderjährige geben soll.

    Sollen Minderjährige etwa von Ihren Eltern getrennt werden? Wie in den USA geschehen.

    Es gibt eine zunehmende Berichterstattung über verschiedene Probleme für und mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Zu den zunehmend ungelösten Problemen gehören offensichtlich die Unterbringung und die Betreuung. Solange diese Zustände nicht gelöst sind, hilft die Weitereise Minderjähriger Niemanden.

  • In der Bundesrepublik hies es im GG von 1949 schlicht: "Politisch Verfolgte genießen Asyl".



    Einschränkungen? nichts dergleichen. Vor allem: kein Andrang, keine überfüllten Lager, keine ausländerfeindliche Hetze nirgendwo. Woran lag es? Das NS- Terrorregime war gerade 4 Jahre vorbei. Das neue Deutschland wollte sich geläutert und verbessert zeigen mit einem solchen Artikel.



    Aber welcher Verfolgte oder in seiner Freiheit Bedrohte von irgendeinem autoritäten Staat sollte oder wollte denn nach 12 Jahren Terrorherrschaft und gerade mal 4 Jahren Tauwetter unter alliierter Kontrolle ausgerechnet in Deutschland Zuflucht suchen?

    • @Heinrich Ebbers:

      Überfüllte Lager waren damals in Deutschland durchaus bekannt, ebenso ausländerfeindliche Hetze.

      "Nie wieder" hieß es damals. Vielen Länder wollten nämlich Sinti, Roma, Juden, Zeugen Jehovas und andere sog Untermenschen nicht aufnehmen, es seien zu viele, man habe schon genug getan, die sollten woanders hin. Das sollte sich niemals wiederholen.

    • @Heinrich Ebbers:

      tja ist ja auch nur das Grundgesetz gegen das hat die letzte Regierung verstoßen und die aktuelle und die Konsequenzen waren überschaubar.

      Bis zu einem Urteil vom Bundesverfassungsgericht wird da gebogen und verdreht und ausgeblendet was das Zeug hält.

      Und auch Urteile des Gerichtes werden nicht unbedingt beachtet oder es dauert Jahre bis sich die politische Praxis ändert.

      Von allen Parteinen jenseitz der 7%, lässt sich das Verhalten beobachten, ohne Ausnahme.

      Was das angeht ist praktisch egal wer regiert, das zeigt der "Asylkompromiss".

      Das erinnert schon an Amerikanische Zustände, und das ohne 2 Parteisysthem und so viel Korruption. Deutschland war schon immer die Nummer 1. Das meiste eher unerfreuliche Platzierungen. War mal das Kommentar meiner Ma nachdem Sie ein ehemaliges KZ besucht hatte. "nicht nur die Tatsache das so viele Menschen umgebracht wurden.. wie" "wie eine Maschine", perfekt geölter just in time Mord, jeder Schritt durchdacht und der Prozess optimiert" "typisch deutsch halt"

      Vll sind wir bei der Politik auch so viel effizienter das der politische Zerfall dennoch stattfindet mit weniger Mitteln als auf der anderen Seite des großen Teichs und robusterem Regierungssysthem und Verfassung / Jusikativen, etz. zum Trotz.

      Vermutlich ist es zu nicht unerheblichen Teilen Medienbesitz und Trollfarmen im Internet die in immer größeren Teilen die Weltweite Massenmeinung bestimmen.

      Fakten spielen eine immer kleinere Rolle, als wären wir Höhlenmenschen oder im tiefen Mittelalter ... nur einm digitalen.