■ Asylbewerberleistungsgesetz: FDP durchkreuzt CSU-Strategie: Widerborstig
Und plötzlich zeigt die FDP Rückgrat. Nicht daß den Freidemokraten das Schicksal von Zehntausenden von Flüchtlingen in Deutschland völlig egal gewesen wäre, denen jetzt durch eine Gesetzesverschärfung der Entzug von Sozialleistungen droht. Doch noch Anfang der Woche sah es so aus, als würden sich die FDP-Abgeordneten von der CSU in die Tasche stecken lassen. Vor allem der raffinierteste Kopf unter den CSU-Bundespolitikern, Gesundheitsminister Horst Seehofer, drängte den kleinen Koalitionspartner, der geplanten Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes zuzustimmen. Sein Ministerium versuchte den FDPlern ein Kompromißpapier unterzujubeln, das angeblich ihren Bedenken Rechnung trug. Tatsächlich präzisierte das Papier den Kreis der betroffenen Flüchtlinge nur unzureichend und ließ den Umfang der Leistungskürzungen völlig offen – das Gesetz wäre bei der Umsetzung weiterhin willkürlichen Interpretationen ausgesetzt.
So kurz vor der Abstimmung am kommenden Freitag rückte Seehofer mit seinem „Kompromiß“ heraus, daß er hoffen durfte, die oft geschmeidigen Freidemokraten würden sich schon nicht widerborstig zeigen. Doch die Meister der Stromlinienform haben sich quergestellt. Die Abstimmung im Bundestag muß verschoben werden. Die FDP hat damit, fürs erste zumindest, dem Common sense zum Durchbruch verholfen: Bei einer Anhörung im Bundestag waren sich die Experten aus Sozialverwaltungen und Wohlfahrtsverbänden einig gewesen, daß das wirr konzipierte Gesetz bei der Umsetzung Rechtsunsicherheit und administratives Chaos zur Folge hätte. Es gehe nicht an, vor der Bundestagswahl im Schnellverfahren ein derart wichtiges Gesetz durch die Gremien zu peitschen, hatte der FDP-Abgeordnete Uwe Lühr schon im März gewarnt.
Seehofers Eile wie Eifer, Flüchtlinge durch Aushungern aus dem Land zu zwingen, hat einen egoistischen Grund: Für den bayerischen Landtagswahlkampf kommt ihm ein „Rausschmeißergesetz“ gerade gelegen, um rechte Wähler bei der CSU zu halten. In den kommenden Tagen wird Seehofer den Druck auf die widerborstigen Freidemokraten erhöhen, um den Zeitplan der CSU für den Wahlkampf noch zu retten. Er hofft wohl, daß die Liberalen bei der Überarbeitung des Gesetzentwurfes nicht allzu gründlich vorgehen werden. Wie konsequent die FDP diesem Druck standhält, entscheidet darüber, ob sie tatsächlich für sich beanspruchen kann, Rückgrat zu haben. Patrik Schwarz
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