Asylbewerber vom Balkan: Rasanter Anstieg – des Populismus
Innenminister Friedrich vermutet Asylmissbrauch von Migranten aus Serbien und Mazedonien. Kritiker warnen vor Populismus.
BERLIN taz | 2.435 Serben und Mazedonier haben im letzten Monat in Deutschland Asyl beantragt. Für viele Innenpolitiker ist damit die Grenze des Erträglichen überschritten. Nachdem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Donnerstag diese Zahlen präsentierte, wurden am Freitag Forderungen laut, Bürgern aus den beiden Balkanstaaten den Zugang nach Zentraleuropa zu versperren.
„Der zunehmende Asylmissbrauch ist nicht akzeptabel“, sagte Friedrich selbst. Der „massive Zustrom“ serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger müsse „unverzüglich gestoppt werden“. Friedrich forderte die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström auf, die EU-Visumfreiheit für diese beiden Länder „schnellstmöglich auszusetzen“.
Auch der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann verlangte ein „konsequentes Durchgreifen gegen eine Einwanderung aus wirtschaftlichen Motiven“. Hartmann sprach von „gewissenlosen Banden“, die Menschen vom Balkan nach Deutschland locken, um „eine gewisse Zeit in diesem System zu sein“. Die Innenminister der norddeutschen Bundesländer hatten bei ihrer Tagung am Donnerstag ins gleiche Horn gestoßen.
90-prozentige Ablehnung
Die Anzahl der Asylanträge in Deutschland steigt bereits seit einigen Jahren leicht an, seit Jahresbeginn hat sich der Zuwachs allerdings beschleunigt. Dies geht insbesondere auf Anträge von Serben und Mazedoniern zurück, seit Januar sind es rund 7.000. Das Innenministerium verweist darauf, dass etwa 90 Prozent aller Asylanträge aus diesen beiden Ländern als unbegründet abgelehnt werden.
Viele Asyl-Aufnahmeeinrichtungen in Deutschland sind derzeit überfüllt. In Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern haben die Behörden begonnen, Notunterkünfte – etwa in Sporthallen – zu eröffnen. So wurde in Köln am Mittwoch eine Sporthalle für 200 Flüchtlinge zur Verfügung gestellt.
„Mit ihren populistischen Kampagnen schüren Union und SPD in unverantwortlicher Weise Ressentiments“, sagte die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke. „Kaum sind die Krokodilstränen zum Jahrestag des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen getrocknet, bildet sich schon wieder eine große Koalition, die das Asylrecht ins Visier nimmt. Wie vor zwanzig Jahren geht es auch jetzt in erster Linie gegen Roma“, sagte Jelpke.
Die am meisten verfolgter Minderheit Europas
Bayern hatte kürzlich vorgeschlagen, über Asylanträge von Mazedoniern und Serben künftig binnen 48 Stunden zu entscheiden. Mit einem solchen Schnellverfahren werde ein Zeichen gegen den „Asyl- und Sozialleistungsmissbrauch“ gesetzt, so der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
„Der Innenminister macht die am meisten verfolgte Minderheit Europas dafür verantwortlich, dass die bayerischen Flüchtlingslager überfüllt sind, obwohl das ein hausgemachtes Problem ist“, sagte Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Er erinnerte an die Diskriminierung vor allem von Roma in Serbien und Mazedonien: „Insbesondere nachdem die Wirtschaftskrise voll auf Serbien und Mazedonien durchschlägt, wissen sie schlicht nicht mehr, wie sie den Winter überleben sollen.“
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