Asylbewerber in Ausbildung: Auf Almosen angewiesen
Infolge einer Gesetzeslücke erhalten Geflüchtete, deren Asylverfahren noch läuft, keine zusätzliche Unterstützung während ihrer Ausbildung. Niedersachsen will das ändern.
Auf der Terrasse eines Backsteinhauses im nahen Burgwedel ranken die Tomatenpflanzen in die Höhe. Die meisten Früchte sind noch grün. Auf dem Tisch steht ein Teller mit Datteln, Rosinen und Nüssen.
Idris, ein schlanker junger Mann mit kurzen braunen Haaren, ist fast jeden Tag hier bei seiner ehrenamtlichen Unterstützerin Regina Gresbrand, die er nur „Oma“ nennt. Sie lernen zusammen die Zutaten für einen Hefeteig oder für den nächsten Mathetest in der Berufsschule. Die 69-Jährige ist es aber auch, die ihn finanziell über Wasser hält. Sie hat in ihrem Bekanntenkreis Spenden gesammelt, um Idris einen monatlichen Zuschuss zahlen zu können.
In seiner Ausbildung verdient er rund 400 Euro. Hinzu kommt eine sogenannte Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) von 280 Euro. Nach Abzug der Miete für seine Wohnung, der Fahrkarte für den Weg zur Schule und der Nebenkosten bleiben ihm rund 96 Euro im Monat. „Das reicht nicht zum Leben“, sagt Gresbrand.
Die Stadt Burgwedel hatte Idris eine zusätzliche Unterstützung für seinen Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verwehrt. Die rechtliche Lage ist kompliziert. Im Fall von Geflüchteten, die eine Ausbildung machen, zieht das Sozialgesetzbuch. Das aber schließt Lehrlinge von weiterer Unterstützung aus, wenn sie, wie Idris, bereits Berufsausbildungsbeihilfe bekommen und noch keine Duldung haben, weil ihr Asylverfahren noch läuft.
Das bedeutet, dass abgelehnte Asylbewerber Geld bekommen, und Menschen, deren Verfahren noch läuft, nicht. Eine Ausnahme gilt nur für Härtefälle. Als solche sah die Stadt Burgwedel Idris aber trotz seiner finanziellen Notsituation nicht an. Das geht aus einem Schreiben der Stadt hervor, das der taz vorliegt.
Christina Kreutz, die Pressesprecherin der mittlerweile zuständigen Region Hannover erklärt das mit Blick auf die bisherige Rechtssprechung so: Ein Härtefall habe bisher vorgelegen, wenn jemand wegen einer Krankheit, Behinderung oder Schwangerschaft die Förderhöchstdauer überschritten habe. „Selbst ein drohender Abbruch einer Ausbildung genügte danach bisher nicht“, sagt Kreutz.
Der Gesetzgeber habe den Betroffenen zugemutet, ihren Lebensunterhalt durch einen Zweitjob aufzubessern. Die Region halte davon wenig und begrüße, dass das Landessozialgericht die Rechtslage kürzlich zugunsten von Geflüchteten in Ausbildung ausgelegt hat.
Idris hat das mit dem Nebenjob versucht. Ganz zu Beginn seiner Ausbildung hat er nebenbei als Tellerwäscher in einem Restaurant gearbeitet. „Er hat in den drei Wochen sechs Kilo abgenommen“, sagt Unterstützerin Gresbrand. „Das war zu viel“, meint auch Idris. Wegen der frühen Arbeitszeiten als Bäcker hatte er mit dem Nebenjob kaum noch Schlaf bekommen.
Konkretisierte Gesetze
Die Gesetzeslage wirke sich negativ auf die Integration aus, findet Gresbrand. „Wenn er hinschmeißt und sich ins Bett legt, bekommt er wieder Geld.“ Ihm stünden dann Asylbewerberleistungen zu. Auch die Region Hannover ist damit unglücklich. „Wir erwarten von den politischen Entscheidungsträgern entsprechende Regelungen“, sagt Sprecherin Kreutz.
Es handelt sich dabei um Bundesgesetze. Das Land Niedersachsen kann jedoch mit Erlassen die Ausgestaltung der Gesetze konkretisieren. So hat das niedersächsische Innenministerium im Oktober 2017 eine andere Gesetzeslücke geschlossen. Menschen, die theoretisch berechtigt wären, Bafög zu beziehen, können seither eine Unterstützung für den Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen.
Arbeitsgruppe auf Bundesebene
Weiterhin besteht die Lücke aber für Geflüchtete wie Idris, die eine Beihilfe zum Ausbildungsgehalt (BAB) bekommen und trotzdem nicht davon leben können. Darüber, wie viele Menschen in Niedersachsen davon betroffen sind, hat das Innenministerium keine Zahlen.
Das Problem ist aber bekannt. Das Ministerium habe deshalb eine Arbeitsgruppe auf Bundesebene ins Leben gerufen, sagt Sprecherin Svenja Mischel. Dort würden Lösungsansätze diskutiert. Ende September solle es einen Beschluss geben.
Die Region Hannover will Idris, der sich mit einem Anwalt gegen die Einschätzung der Stadt Burgwedel gewehrt hatte, nach eingehender Prüfung nun doch als Härtefall einstufen. Das kündigte Sprecherin Kreutz der taz an: „Die Rechtsauslegung – auch aufseiten der Gerichte – ist heute weniger strikt als vor ein paar Monaten, sodass es mehr Spielraum für eine Entscheidung gibt.“
Acht weitere Fälle in der Region Hannover
Idris ist erleichtert: „Man braucht in Deutschland eine Ausbildung, damit dein Chef dir vertraut“, sagt er. Für Gresbrand ist das Problem jedoch nicht vom Tisch. Sie kennt weitere acht Fälle in der Region Hannover, in denen Geflüchtete große Geldsorgen während ihrer Ausbildung haben.
Einen weiteren jungen Mann hat sie monatlich mithilfe der Spenden unterstützt. Nun hat ihr Verein „Kunst und Migration“ jedoch kein Geld mehr. „Ich finde das ungerecht, dass man in unserem Sozialstaat auf Almosen angewiesen ist“, sagt sie.
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