Aschermittwoch bei den Freien Wählern: Attacke Pauli
Beim politischen Aschermittwoch der Freien Wählern zeigt sich Gabriele Pauli für den Wahlkampf bereit. "Ich mache überall gute Politik, wo ich hingestellt werde", sagt sie.
DEGGENDORF taz "Servus, Servus, olles kloa?" Fast bescheiden spaziert Hubert Aiwanger in die Stadthalle Deggendorf. Er reicht den Menschen die Hand oder legt sie ihnen auf die Schulter. Der Landesvorsitzende und Fraktionschef der Freien Wähler (FW) im bayerischen Landtag kämpft sich mit einem Lächeln im Gesicht zur Bühne vor. Dort spielt die Plattlinger Jugendblaskapelle. Der Applaus für die Musiker ist müde, obwohl in dem großen, ockerfarbenen Raum rund 700 Menschen sitzen - viel mehr als erwartet.
Auf den Tischen stehen erstaunlich viele Gläser - die mit Wasser oder Apfelschorle gefüllt sind. Doch dann erheben sich Hunderte von ihren Sitzen, die Kapelle setzt Fanfarenstöße, rhythmisches Klatschen: Aiwinger zieht ein zweites Mal in die Halle ein, an seiner Seite ist Gabriele Pauli in schwarzer Tracht, die einstige CSU-Abtrünnige und jetzige Abgeordnete des bayerischen Landtages. Gemeinsam winken sie und stoßen mit einem Weißbier auf Bayern an. Derweil halten zwei Männer ein Banner hoch, auf dem steht: "Danke Pauli für das Ende der Demokratur". Gabi-Rufe erschallen, die Stimmung steigt.
Dieser Politische Aschermittwoch der Freien Wähler weist aus zwei Gründen über den weiß-blauen Horizont hinaus: In diesem Jahr sind nicht nur dreimal so viel Gäste zu den Freien Wählern nach Deggendorf gekommen sind, zudem wird die Partei bundesweit erstmals bei der Europawahl antreten.
Zugleich haben sie direkten Einfluss auf die Wahl des Bundespräsidenten am 23. Mai. Zehn Delegierte schicken die Freien Wähler in die Bundesversammlung. Zunächst einigte sich die Spitze der drittstärksten Fraktion im bayerischen Landtag darauf, einstimmig für Horst Köhler zu stimmen. Immerhin ist der amtierende Bundespräsident auf deren Votum angewiesen, wenn er die Mehrheit erlangen will. Doch nachdem sich die SPD-Kandidatin Gesine Schwan mit den Freien Wählern am Freitag getroffen hatte, gingen plötzlich einige Landespolitiker der "Freien" auf Distanz zu Köhler, Gabriele Pauli sogar öffentlich. Sie sagt in Deggendorf: "Ich stelle Herrn Köhler die Frage: Was haben Sie in Ihrem Programm, dass Bürger mehr zur Politik beitragen können?"
Pauli rückt wieder verstärkt ins Rampenlicht. Und das braucht sie auch mit Blick auf die Europawahl. Am kommenden Samstag wollen die Freien Wähler ihre Kandidaten nominieren. "Ja, ich bin bereit, den Spitzenplatz für die Kandidatur bei den Europawahlen anzunehmen", ruft sie in die Stadthalle während ihrer Rede. Jubel erklingt. "Ich mache überall gute Politik, wo ich hingestellt werde", sagt sie mit einer leicht zittrigen Stimme. Stille. Alle Augen sind auf sie gerichtet. "Wir sind die kommende Kraft in Europa." Wieder erhält sie viel Zustimmung. Der Applaus für Pauli ist nicht außerordentlich, der gemäßigte Bierkonsum zügelt wohl den Überschwang. Doch Gabi Pauli weiß, wie sie ihre Zuhörer weiter für sich gewinnt: Sie spricht über die Wirtschaftskrise. "Die Krise in Deutschland ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine Vertrauenskrise." Die etablierten Parteien seien daran schuld, weil sie diejenigen aus den Führungspositionen in der Politik heraushalte, die nicht über die üblichen Netzwerke nach oben kommen. Sie macht eine Pause und streckt den Zuhörern ihre geöffneten Hände entgegen, während sie spricht.
Die Besucher im Saal bewerten die Rede von Pauli positiv. Beate Strasser aus Deggendorf, eine der wenigen Frauen im Saal, ist das erste Mal bei einem Aschermittwoch der "Freien". "Pauli ist eine Frau, die sich nichts gefallen lässt." Pauli habe sich von der CSU emanzipiert. Und Strasser wolle sich ebenso politisch emanzipieren. Immerhin war ihr Vater früher Schriftführer in der örtlichen CSU. Der 34-jährige Franz Alexander aus Viechtach, er ist politisch nicht aktiv, sagt: "Ich war neugierig und wollte einfach mal Frau Pauli anschauen. Ich fand sie heute sehr überzeugend."
"Wir wollen der CSU ein Ei ins Nest setzen", sagt der Freie-Wähler Stadtrat Andreas Eibel aus dem niederbayerischen Grafenau. Er erwartet mehr Impulse und neue Ideen seiner Partei in der Europapolitik. Doch unter den Freie-Wähler-Anhängern sehen das nicht alle so. Einige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, sind skeptisch, ob die Freien Wähler den Europawahlkampf gegen die CSU stemmen können. Aber die Stimmung sei seit dem Wahlerfolg in Bayern großartig.
Als letzter Redner tritt Aiwanger mit hochgekrempelten Ärmeln ans Rednerpult. Fast atemlos und mit erhobener Stimme heizt er ein: "Wir brauchen in der Politik eine Problemanalyse und mögliche Lösungswege. Wenn die CSU dazu politisch nicht in der Lage ist, dann soll sie den Laden schließen." Die Menschen jubeln noch lauter als bei Gabriele Pauli. Inzwischen tragen die Bedienungen mehr Biergläser in die Halle. "Lieber Horst, wenn du vernünftige Vorschläge hast, dann kannst du auf die Freien Wähler setzen, auch wenn du keine Mehrheit dafür in der CSU hast." Wieder wird gelacht. "Die FDP kann man als politischen Arm der Spekulanten, der Heuschrecken bezeichnen", schreit Aiwanger in den Saal.
Mittlerweile hat der Landesvorsitzende die Menge im Saal richtig aufgeputscht. Standing Ovations für ihn. Am Ende des Politischen Aschermittwochs war er mitreißend. Für ihn dürfte heute "olles kloa" gewesen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt