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■ ArmutRatlos in den Untergang

Bei Ruccolasalat, Steak mit Kartoffelgratin, Panacotta und Chardonnay diskutierten vorige Woche zwei Handvoll Journalisten, in Berlins neuestem Nobelrestaurant, mit ihrem Frankfurter (Main) Kollegen Jürgen Roth über „das Ende unseres Wohlstands“. Bei der Steuer muß dieser Genuß, kredenzt vom Piper-Verlag, nicht als geldwerter Vorteil angerechnet werden, verneint Roth. Es sei ja nur eine Kleinigkeit gewesen, „weniger als 50 Mark“. Und: „Anfüttern ist das auch nicht.“

Also frei und unabhängig ran an den Rothschen Speck: Auf 280 Seiten sammelt sein Armutsbericht alles, was wir täglich in der Zeitung lesen. Immer mehr Mittellose, überlaufene Schuldnerberatungen, Schikane auf dem Sozialamt, immer mehr Straßenkinder, die Verslumung der Großstädte – ein ellenlanges Klagelied. Sogar die Mittelschicht stöhnt, weil Kinder auch für sie zum Armutsrisiko werden. Wer sich noch zu ärgern vermag, findet bei Roth immer noch einen Grund zur Empörung – trotz der permanenten Unverschämtheiten des Bundesverbandes der Industrie, an die man sich zu gewöhnen droht: Die Firma Feustel Immobilien aus Haßfurth schrieb einem Bewerber, sie wolle ihm „unsere durch Sie verursachten Kosten in Rechnung stellen“. Die Vorstellungsgespräche „wurden durch ihre schriftliche Bewerbung veranlaßt. Da Sie um ein Gespräch gebeten haben, bitten wir Sie, die uns entstandenen Kosten in Höhe von 575 DM auf eines unserer untenstehenden Konten zu überweisen.“ Widerspruch gibt's seltener, die Angst essen heute die Seele derer in Arbeit auf. Jeder steht heute auf der Abschußliste.

Die Geschäfte der Abschießer gehen dagegen offenbar gut. Roth hörte von einem Uhrenhändler, daß er immer öfter „Il Destriero Scafusia-Nobeluhren – Preis: eine halbe Million Mark – verkaufe. Den gramgebeugten Massen stehen 110.000 Millionäre und 85 Milliardäre entgegen.

Die Folgen von Sozialabbau und gespaltener Gesellschaft stehen auch täglich in der Zeitung: Rechtsradikalismus bei Deutschen und Einwanderern. Roth nennt die islamischen Fundamantalisten, die rapiden Zulauf erhielten. Die Rechte wächst am sozialen Niedergang, das sehe man in ganz Westeuropa. „Dunkle Wolken für die Demokratie“ sieht er, die ihn an die Endphase der Weimarer Republik erinnern. Brünings Name steht auf derselben Seite wie der des Bonner Kanzlers. Der Unterschied, meint Roth, sei nur, daß „die Leute damals NSDAP wählten. Heute gehen viele gar nicht mehr wählen.“ Für Roth ein „unübersehbares Menetekel“.

Aber was der Armut entgegensetzen? Grundsicherung – aber wie das finanzieren? Und wie der Globalisierungsfalle entgehen? Roth selbst ist ratlos. Müßte nicht dem internationalen Kapital etwas Internationales entgegengesetzt werden? Freilich, Solidarität sei gefragt, zumindest in Europa, aber der Linken, oder was sich heute noch darunter versteht, fehle „eine gemeinsame Vision“. Roth hofft auf die Bürgerbewegungen, auf Gewerkschaften und Kirche. Vielleicht sollte die europäische Sozialcharta ausgebaut werden. Aber zuallererst müsse die Globalisierung selbst in Frage gestellt werden. Aber wie? Und wer? Keine Antworten. Da hilft nur noch ein Absturz. Prost! Peter Köpf

Jürgen Roth: „Absturz: Das Ende unseres Wohlstands“. Piper, München 1997, 280 S., 39,80 Mark

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