Arme Eltern dürfen nicht bleiben: Keine Staatshilfe für Flüchtlinge
Ahmad al-Sabri kam das neue Bleiberecht zugute. Seinen Eltern nicht - weil sie nicht genug verdienen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre vier Kinder vollständig zu bestreiten.
Eigentlich hat Ahmad al-Sabri allen Grund zur Freunde. Seit einigen Wochen hat der aus dem Libanon stammende 24-jährige Berliner ein sicheres Bleiberecht. Endlich ist Schluss mit den halbjährlichen Terminen bei der Ausländerbehörde. Mit der Unsicherheit vor jedem dieser Besuche, ob die Beamten seine Duldung auch dieses Mal wieder verlängern werden. Oder ob ihm nicht doch irgendwann die Abschiebung droht.
Die Regelung: 2006 hat die Innenministerkonferenz, im Jahr darauf die Bundesregierung eine Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete beschlossen. Damit sollten Kettenduldungen beendet werden. Einzelpersonen, die sich mindestens acht Jahre, und Familien, die sich mindestens sechs Jahre in Deutschland aufhalten, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten sowie Sprachkenntnisse und ausreichend Wohnraum nachweisen konnten, sollten ein Bleiberecht bekommen.
Die Zahlen: 60.000 der etwas 110.000 langjährig Geduldeten könnten profitieren, hieß es damals bei der Bundesregierung. Doch im Februar 2009 hatten lediglich 35.000 Menschen eine Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung bekommen, 80 Prozent von ihnen nur auf Probe. Können sie bis zum 31. Dezember dieses Jahres ihren Lebensunterhalt nicht weitgehend selbst bestreiten, verlieren sie das Bleiberecht wieder.
Die Duldung: Geduldete Flüchtlinge haben kein Aufenthaltserlaubnis. Ihre Abschiebung wird lediglich ausgesetzt, weil aus bestimmten, meist humanitären Gründen die Rückkehr ins Herkunftsland nicht möglich ist. Sie müssen sich regelmäßig um die Verlängerung ihrer Duldung bemühen, dürfen oft nicht arbeiten und sich nicht frei bewegen. Sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die niedriger liegen als Hartz IV. SAM
Ahmad al-Sabri, der seinen wirklichen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat umgehend die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Wenn er mit seiner Ausbildung zum Krankenpfleger fertig ist, will er Medizin studieren. Das Abitur hat er. "Mit einer Eins in Deutsch", sagt er stolz. Das alles hört sich nach einer vielversprechenden Zukunft in seiner neuen Heimat an. Doch Ahmad al-Sabri macht sich Sorgen.
Denn während er von der Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete profitiert, droht diese Regelung bei seinen Eltern und den vier jüngeren Geschwistern nicht zu greifen. Das Problem: Anders als Ahmad al-Sabri, der selbst für sich aufkommt, können seine Eltern den Lebensunterhalt für sich und ihre vier jüngeren Kinder nicht vollständig selbst bestreiten. Das aber ist nach der geltenden Regelung die Voraussetzung für ein sicheres Bleiberecht. Der Familie droht der Rückfall in die Duldung. Und neue Angst vor Abschiebung.
Die al-Sabris sind kein Einzelfall. 35.000 Menschen haben bislang eine Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung bekommen, davon 80 Prozent "auf Probe". Verdienen sie bis Ende des Jahres nicht genug, verlieren sie das Bleiberecht wieder. Experten gehen davon aus, dass dies bei den meisten Betroffenen der Fall sein wird.
Dabei wurde die Bleiberechtsregelung, die 2006 zunächst von der Innenministerkonferenz und in Jahr darauf in ähnlicher Form von der Bundesregierung beschlossen wurde, als Richtungswechsel gefeiert. Integrationswillige Ausländerinnen und Ausländer, die lange Jahre lediglich mit einer Duldung in Deutschland gelebt hätten, so hieß es damals, bekämen die Chance einer gesicherten Zukunft in Deutschland. Von den 110.000 langjährig Geduldeten könnten 60.000 von der Regelung profitieren.
Die große Koalition dürfte Menschen wie die Familie al-Sabri im Sinn gehabt haben, die vor elf Jahren aus dem Libanon nach Berlin kam. Die Familie ist gut integriert, die Kinder sprechen besser Deutsch als Arabisch, die mittleren Geschwister besuchen das Gymnasium. Latifa, mit zehn die jüngste Tochter der al-Sabris, ist hier geboren.
Als das Asylverfahren der Familie scheiterte, schob man sie aus humanitären Gründen nicht ab. Sie bekamen die erste Duldung. Arbeiten durften die Eltern allerdings nicht, sodass die Familie auf Sozialhilfe angewiesen blieb. Bis die Bleiberechtsregelung in Kraft trat.
Damit erhielten die Eltern eine Arbeitserlaubnis und eine Aufenthaltsgenehmigung auf Probe. An die Möglichkeit des Scheiterns dachte 2007 bei den al-Sabris niemand. Zu groß war die Freude darüber, dass endlich die Zukunft in Deutschland gesichert schien. "Wir haben alle unsere Freunde angerufen und mit Kuchen gefeiert", erinnert sich Ahmad.
Der Vater, der im Libanon als Bauunternehmer tätig war, machte einen Gebrauchtwagenhandel auf. Anfangs lief das Geschäft gut. "Aber dann kam die Krise und schließlich auch noch diese Abwrackprämie", sagt Ahmad. "Plötzlich kaufte niemand mehr Gebrauchtwagen." Seit Anfang des Jahres macht der Vater Verluste, inzwischen bezieht die Familie ergänzende Sozialleistungen.
Im Juli müssen die Eltern wieder zur Ausländerbehörde, ihre für zwei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis läuft aus. "Mein Vater redet nur noch davon, was er falsch gemacht hat und was er jetzt tun soll", sagt Ahmad. "Meine Eltern haben große Angst vor der Abschiebung." Experten wie der Sozialarbeiter Walid Chahrour, der die Familie berät, gehen zwar davon aus, dass die Aufenthaltsgenehmigung bis Ende des Jahres verlängert wird. "Schließlich ist der gesetzliche Stichtag der 31. 12. 2009." Doch was danach kommt, sei ungewiss.
Weil es den meisten Betroffenen wie den al-Sabris geht, fordern Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen und Integrationsbeauftragte, Linke und Grüne seit Langem eine Reform der Bleiberechtsregelung. Die Bedingungen seien zu streng und in Zeiten der Wirtschaftskrise kaum erfüllbar, lautet die Kritik. "Die Menschen durften lange nicht arbeiten, ihre Qualifikationen werden nicht anerkannt", weiß auch Sozialarbeiter Chahrour. "Und derzeit ist es einfach schwer, einen Job zu finden."
Das sieht inzwischen auch der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) so. Auf seine Initiative hin wird die Innenministerkonferenz an diesem Donnerstag im Bremerhaven über die Bleiberechtsregelung beraten. Allerdings nicht als ordentlicher Tagesordnungspunkt, sondern lediglich im vertraulichen Kamingespräch. Nach Körtings Vorstellung sollen nicht nur jene Betroffenen ein Bleiberecht erhalten, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, wie bislang vorgesehen ist. "Ein Bleiberecht sollen auch die bekommen, die sich ernsthaft um ihren Lebensunterhalt bemühen und das auch nachweisen können", sagte Körting in der vorigen Woche der taz und rief damit den Widerspruch einiger CDU-Minister hervor. "Wir werden uns nicht ernsthaft mit dem Thema befassen", erwiderte umgehend Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). "Es wird nicht länger als fünf Minuten dauern, bis wir es ablehnen werden." Große Erfolgsaussichten hat Körtings Vorschlag also nicht.
Wenig besser sieht es für die Anträge von Grünen, Linken und FDP im Bundestag aus, zumindest die Frist für die Bleiberechtsregelung zu verlängern. "Dafür gibt es keinen Bedarf", schmettert Reinhard Grindel, Innenpolitiker der CDU, das Vorhaben ab. "Die Menschen haben eine Chance gehabt und sie offensichtlich nicht genutzt." Zudem sei es "in der jetzigen Situation der öffentlichen Kassen kaum vermittelbar, Millionen für eigentlich ausreisepflichtige Personen auszugeben".
Die SPD unterstütze die Anträge der Opposition zwar inhaltlich, heißt es bei den Sozialdemokraten. "Aber wir befinden uns in einer Koalition", sagt der Abgeordnete Rüdiger Veit. "Und die Union ist strikt dagegen." Den migrationspolitischen Sprecher der Grünen, Josef Winkler, bringen solche Aussagen in Rage: "Es ist ein Trauerspiel, dass die SPD nicht in der Lage ist, auch nur eine positive Veränderung beim Ausländerrecht gegen die Union durchzusetzen." Derzeit sei die Bleiberechtsregelung, ohnehin der einzige Pluspunkt in der 2007 verabschiedeten Veränderung des Zuwanderungsrechts, "fast wirkungslos".
Dabei sieht man auch in der Union, dass die Krise die Bedingungen für die Betroffenen verschlechtert hat. "Es liegen aber", berichtet ein Sprecher von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), "noch keine Zahlen vor, aufgrund deren man verlässlich abschätzen könnte, wie viele der derzeit gültigen Aufenthaltserlaubnisse auf Probe Ende des Jahres dank eigenständiger Sicherung des Lebensunterhalts verlängert werden können". Nach der Bundestagswahl aber werde das Ministerium prüfen, ob die Veränderung der rechtlichen Grundlage oder eine Verlängerung der Probezeit notwenig sei. Die rot-grüne Koalition in Bremen hat unterdessen beschlossen, eine Bundesratsinitiative für eine Fristverlängerung auf den Weg zu bringen. Aber auch diese dürfte erst nach der Bundestagswahl behandelt werden.
Ahmad al-Sabri kann diese Debatte nicht nachvollziehen. "Mein Vater hat sich genauso angestrengt wie ich", sagt er. "Aber seine Bedingungen waren einfach viel schlechter." Seine Eltern seien heute stärker verunsichert als vor dem Beschluss zum Bleiberecht. "Erst denkst du, jetzt sind wir endlich gut dran, und dann ist alles schlimmer als zuvor."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag