Ariane Lemme über das BGH-Urteil zur Erste-Hilfe-Pflicht für Sportlehrer: Alle müssen hinschauen üben
Ja, es kostet Überwindung. Aber: Helfen muss jeder. Wer im Notfall gar nichts tut, kann wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden. Immerhin. Und: Das Gesetz schützt die, die Verunglückten beistehen, auch wenn sie etwas falsch machen. Das ist gut. Hürden, Erste Hilfe zu leisten, gibt es auch ohne die Angst vor rechtlichen Konsequenzen schon genug.
Grauzonen auch. Wie viel Hilfe etwa ist genug? Reicht es, einen Notarzt zu rufen? Wer muss regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse machen? Folgt man dem Bundesgerichtshof, der am Donnerstag über die Schadenersatzklage eines Schülers entschieden hat, müssen künftig zumindest Sportlehrer eine aktuelle Ausbildung in Erster Hilfe haben. Sie müssen mit Notfällen in ihrem Unterricht rechnen und können sich nicht auf das Haftungsprivileg für spontane Ersthelfer berufen.
Das löst vielleicht die Frage nach Schadenersatzansprüchen, nicht aber das grundsätzliche Problem: In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Herzstillstand zu sterben, deutlich höher als in anderen europäischen Ländern, nur in einem Drittel der Fälle trauen sich Laien hier, mit der Reanimation zu beginnen, bis ein Arzt kommt. In Norwegen sind es 70 Prozent.
Diese krasse Diskrepanz kann verschiedene Gründe haben. Als Gesellschaft sollten wir uns fragen, warum wir Krankheit, Schmerz und Tod derart ausblenden. Warum wir weder vom Organspende-Ausweis noch vom Ersthelfer-Kurs viel wissen wollen. Bloß nicht dran denken, dann passiert schon nichts. Zumindest mir nicht.
Je mehr sich das Thema verdrängen lässt, desto gruseliger ist es im Ernstfall – in dem da keine sterile Puppe, sondern ein verwundeter, vielleicht blutender Mensch liegt – hinzusehen und zuzupacken. Gegen die Furcht, die Verdrängung kann der Staat wenig tun. Aber er kann uns sanft schubsen. Nicht mit drohenden rechtlichen Konsequenzen, sondern mit verpflichtenden, regelmäßigen Ersthelfer-Kursen für alle – nicht nur diejenigen, die mit Schutzbefohlenen arbeiten.
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