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machtmissbrauch#AidToo

Die internationalen Hilfsorganisationen müssen sich der Debatte um sexualisierte Gewalt stellen – und für mehr Transparenz sorgen

Monika Hauser

ist seit der Gründung von „medica mondiale“ e. V. Vorstandsvorsitzende der Organisation.

AidToo“ – jetzt hat es also auch die Hilfsorganisationen erreicht: als Debatte über sexuelle Nötigung von weiblichem Personal, sexualisierte Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Machtmissbrauch gegenüber hilfebedürftigen Frauen und Kindern bei Auslandseinsätzen. Wer etwas von der Verkettung aus Sexismus, Geschlechterdiskriminierung, Ungleichheit, globaler Ungerechtigkeit und postkolonialen Abhängigkeiten versteht, den wundert das nicht. Je größer die Machtgefälle, desto akuter die Gefahr von Machtmissbrauch. Hier die Helfenden, oft weiß und aus dem globalen Norden, mit Geld in der Tasche; dort lokale Frauen, Männer und Kinder, von Gewaltkonflikten und Naturkatastrophen schwer getroffen und oft traumatisiert. Korruption, eine „Kultur der Gewalt“, finanzielle Abhängigkeiten von Geldgebern und sexuelle Ausbeutung gehören hier häufig zur Alltags- und Überlebenslogik.

Doch der Nährboden für sexualisierte Gewalt in Krisenregionen sind patriarchale frauenverachtende Strukturen weltweit – auch in sogenannten Friedenszeiten. Sexuelle Ausbeutung beginnt nicht erst da, wo Hilfsgüter gegen „Sex“ verkauft werden. Die Verfügbarkeit weiblicher Körper wird in „hochentwickelten Gesellschaften“ vorgelebt: durch Autowerbung mit halbnackten Frauenkörpern, Prostitution mit Flatrate-Angeboten oder Aufsichtsratssitzungen, bei denen anschließend gesellig „Saunen“ besucht werden. Diese Realität bereitet den Boden, oder besser die Köpfe darauf vor, die eigene Machtposition nicht hinterfragen zu müssen.

Gerade aufgrund ihrer Privilegien und Macht – dazu gehört die Entscheidung über die Verteilung von Hilfsgütern oder Jobs an lokales Personal – sollten HelferInnen ihr Verhalten reflektieren. Genau das machen viele Organisationen auch. Sie haben sich den sogenannten „humanitären Standards“ verschrieben. Viele nehmen die Nachhaltigen Entwicklungsziele als Richtschnur, in denen „Ungleichheit verringern“, „Gewalt gegen Frauen beenden“ und „Frauenrechte als Menschenrechte“ klar benannt sind. Sie haben Leitlinien entwickelt und Beschwerdemechanismen etabliert, die anderen genauso gut zu Gesicht stünden, ja, die längst nicht Standard in Unternehmen, Kirchen, Bundeswehr oder der Filmbranche sind. Verhaltenskodexe sollten auch zwingend vorgeschrieben sein für das zivile, diplomatische und militärische Personal staatlicher Stellen, die jetzt vorwurfsvoll die Nichtregierungsorganisationen (NROs) abfragen, ob sie denn über Richtlinien verfügen und diese umsetzen.

Organisationen, die über Fälle in ihren Reihen berichten, müssen nun fürchten, dass Spendengelder zurückgehen

Das Fatale an der derzeitigen Debatte ist: Gerade Organisationen, die über Fälle in ihren Reihen berichten, werden von den Medien abgeurteilt und müssen nun fürchten, dass notwendige Spendengelder zurückgehen – Ressourcen, die vor allem der lokalen Bevölkerung zugute kommen. Viele international tätige Hilfsorganisationen warten ab, verharren in Schockstarre oder haben Angst, dass Fälle in den eigenen Reihen bekannt werden.

Wenn nicht differenziert wird, sondern von „Sex-Orgien in der Hilfsszene“ berichtet wird, sollten wir uns fragen: Wem nützt das? Schnell haben (konservative) Regierungen den Machtmissbrauch durch Mitarbeitende regierungskritischer NROs angeführt, um das staatliche Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit weiter zu kürzen und die Arbeit von NROs stärker zu kontrollieren. Auch die Rolle der Medien ist beim Thema sexualisierte Gewalt ambivalent: Einerseits können sie aufrütteln und den Frauen vor Ort ermöglichen, über lange verschwiegene Gewalttaten zu berichten. Andererseits lassen sich Artikel mit Titeln wie „Sex-Skandal“ hervorragend verkaufen.

Dabei gerät wieder einmal die Perspektive der betroffenen Frauen und Kinder aus dem Blick. Was wissen wir darüber, wie es ihnen geht, welche Unterstützung sie erfahren haben? Die Sorge vieler NROs vor einem medialen Generalverdacht mit unabsehbaren finanziellen Folgen ist nachvollziehbar. Der Blick auf die Eigensicherung ist allerdings wenig souverän und professionell. Souverän wäre, proaktiv vorzugehen und für effiziente Strukturen zu sorgen. Nur so können Beschwerdesysteme entstehen, die auf Transparenz und Aufklärung ausgerichtet sind, und nicht mehr auf Vertuschen und Abwiegeln. Mut macht das Beispiel von norwegischen NRO-Vertreterinnen, die sexualisierte Gewalt in Hilfsorganisationen und UN-Einrichtungen offen kritisieren und vom norwegischen Außenministerium einen unabhängigen Beschwerdemechanismus fordern.

Cordula Reimann

ist selbstständige internationale Beraterin, Trainerin, Dozentin und Friedens- und Konfliktforscherin.

Unerlässlich sind Entschädigungsfonds, die den betroffenen Frauen und Kindern langfristige psychosoziale Unterstützung und materielle Entschädigung zukommen lassen. Französische UN-Soldaten haben 2014 in der Zentralafrikanischen Republik Kinder vergewaltigt. Schwanger gewordene Mädchen bleiben auf sich alleine gestellt. Als „Entschädigung“ erhielt eines der Mädchen nach eigener Aussage 13 britische Pfund, einen Sack Reis, etwas Milch und Zucker.

„medica mondiale“ arbeitet gemeinsam mit anderen seit nunmehr 25 Jahren mit Überlebenden sexualisierter Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten weltweit. Daher wissen wir: Es braucht Beschwerdestellen. Es braucht Personen, die traumasensibel mit den Betroffenen umgehen. Es braucht Kodexe, aber auch Führungskräfte, die deren Durchsetzung forcieren und überwachen. Vor allem aber braucht es für alle, ob internationales Personal oder lokale Teams, Schulungen zum Thema Diskriminierung. Die eigene Machtposition muss immer wieder thematisiert, reflektiert und diskutiert werden. Einfach ist das nicht, aber ohne diese Auseinandersetzung werden wir unserer globalen Verantwortung nicht gerecht. Wir wünschen uns eine tiefgreifende Debatte über Sexismus und Machtmissbrauch überall. Fangen wir alle am besten bei uns selbst an.

Sybille Fezer ist als Vorstandsfrau von „medica mondiale“ für die Programmarbeit und Organisationsentwicklung zuständig.

Sybille Fezer, Monika Hauser und Cordula Reimann

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