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Eine Kreuzberger Prodüksiyon

Gründerzeiten im Kiez. Mit einer Kreuzung aus Wärmekissen und Kuscheltier – dem Leschi – haben ein Dutzend Kreuzberger Jungs nicht nur einen Ideenwettbewerb, sondern auch mehrere Geldgeber gewonnen. Ihr Erfolgsprinzip: Freundschaft

von BIANCA KOPSCH

Er ist weich, warm und gefühlvoll. Er kommt aus den Savannen Kazikistans und wärmt einsame und gebrochene Herzen genauso wie kalte Hände. Der Leschi.

Der Leschi ist ein Erfolgstier: Die Kreuzung aus Wärmekissen und Kuschelelefant hat ihren Erfindern eine neue Existenz beschert. Mit ihr sind die Unternehmer von „Kazik Prodüksiyon“ vor einem halben Jahr in die Selbstständigkeit gestartet und haben Mitte Dezember den zweiten Preis in einem Gründerwettbewerb gewonnen. Ihr fabelhafter Aufstieg ist zugleich der eines guten Dutzends Kreuzberger Jungs. Oder genauer: eines Haufens kreativer Freunde. Sie gingen zusammen in die Kita, zur Schule, auf Partys. Irgendwann begannen sie, selbst Veranstaltungen zu organisieren und T-Shirts mit selbst entworfenen Motiven zu bedrucken. Beispiel: drei aufwärts strebende Spermien, darunter der Schriftzug „born in Kreuzberg“. Ein Verkaufsschlager im Kiez.

Dann kam der Leschi. Franz Hoffmann (24) wollte eigentlich einen mit Reis gefüllten Frosch basteln. Es wurde stattdessen ein „Leschifant“. Die Freunde waren begeistert. Gemeinsam entwickelten sie das Wesen weiter: Sein Fell wurde weicher Polarfleece, sein Inneres körniger Bioweizen. Nach zwei Minuten in der Mikrowelle oder fünfzehn im Ofen wärmt er alle Bedürftigen, bis zu einer Dreiviertelstunde. Die Jungs erfanden dem Leschi ein eigenes Land („Kazikistan“), eine skurrile Geschichte („er wurde zufällig vom Forscher Dr. Lesch entdeckt“) und eine Menge ungewöhnlicher Eigenschaften. „Der Leschi ernährt sich von der negativen Energie der Menschen. Unangenehme Zustände wie Liebeskummer, Einsamkeit oder Stress verflüchtigen sich in seiner Gegenwart im Nu“, erklärt Erfinder Hoffmann. Der Leschi sei eben ein Menschenfreund.

Die soziale Komponente

Offenbar ist er auch ein Glücksbringer: In einer Zeit, wo in Berlin und der gesamten Republik das Geld knapp ist, hat das Geschäftskonzept mit dem Titel „Born in Kazikistan: Leschifant“ es geschafft, gleich mehrere Geldgeber zu überzeugen. Die Jungs von Kazik Prodüksiyon erhielten finanzielle Unterstützung durch das EU-Projekt „Equal Credit“, das mit zinsgünstigen Krediten Existenzgründer aus sozial benachteiligten Schichten fördert, insbesondere auch Jugendliche. Da hatten die jungen Kreuzberger gute Chancen: Sie stammen aus dem Bundesland mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit.

Die Arbeitslosenquote von Jugendlichen unter 25 Jahren liegt in Berlin bei 18,8 Prozent, mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Innerhalb Berlins ist Friedrichshain-Kreuzberg der Bezirk mit der höchsten Arbeitslosenquote insgesamt. Weil einer der Gründer selbst arbeitslos war, konnte Kazik auch über das Arbeitsmarktpolitische Rahmenprogramm (ARP) der Investitionsbank Berlin (IBB) einen Kredit bekommen. Zinsfrei. Zusätzlich bewilligte die Deutsche Ausgleichsbank ein Startgeld. Die Leschifanten-Produktion war finanziell gesichert. Die von den Jungunternehmern für die Leschi-Herstellung ausgewählte Berliner Behindertenwerkstatt konnte mit dem Nähen beginnen. Als kleines Schmankerl bekamen die Jungs vergangene Woche noch den zweiten Preis beim Ideen- und Gründerwettbewerb ihres Bezirks in der Kategorie „gegründete Unternehmen“.

„Es ist die soziale Komponente, die dieses Projekt vor allem auszeichnet: Es integriert eine relativ große Gruppe junger Leute aus allen Bereichen. Arbeitslose, Studenten und Sozialhilfeempfänger machen das zusammen. Das ist ein positives Beispiel für unseren sozialschwachen Bezirk. Es gibt hier zu wenig Angebote für Jugendliche. Sie müssen selbst etwas tun. Und so ein Projekt ist ein guter Weg heraus aus der Arbeitslosigkeit und hinein in eine neue Existenz“, sagt Hans Kaiser von Enterprise Berlin/JugendLOK e. V., einem der beiden Veranstalter des Gründungswettbewerbs. Der Verein berät kostenlos junge Erwachsene auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Vor allem Leute mit „Patchwork-Biografien“: abgebrochener Lehre, ohne abgeschlossene Schulbildung, Sozialhilfeempfänger. Auch die Jungs von Kazik Prodüksiyon – sie nennen sich „Kaziken“ – hat Hans Kaiser beraten. Gemeinsam haben sie das Geschäftskonzept erarbeitet.

Keine typische Unternehmensstruktur, keine aufgezwängte Hierarchie. Die Jungs arbeiten nach dem Freundschaftsprinzip. Jeder bringt seine Ideen ein, jeder ist mitverantwortlich. „Kazik ist keine Ich-AG, sondern eine Wir-e. V.“, erklärt Gründer Franz Hoffmann. Zusammen mit Kaziken-Freund Bruno Kolberg (25) hat er alle Verträge unterschrieben. Der eine offiziell Student, der andere arbeitslos. Angst vor dem finanziellen Risiko und der Aussicht, noch in zehn Jahren Kredite zurückzahlen zu müssen, haben sie nicht. „Wir haften alle gemeinsam. Das haben sich alle Kaziken untereinander geschworen. Wenn das nicht klappt, hätte ich eine Menge guter Freunde verloren. Das wäre schlimmer als der finanzielle Verlust“, findet Hoffmann.

Nebenjobs nötig

„Das Risiko, sich in den Ruin zu stürzen, besteht immer. Vor allem junge Leute mit wenig Berufserfahrung können oft die finanzielle Tragweite einer Existenzgründung nur schwer einschätzen. Ihnen fehlt meist der Blick in die Zukunft“, erklärt Ronny Debert von der Investitionsbank Berlin. „Daher ist es wichtig, vor allem junge Existenzgründer zu coachen.“ Das hat er getan. Er hat für Kazik nicht nur alle Kredite abgewickelt, sondern die Jungs auch beraten. Ausgaben, Einnahmen, Gewinne, Verluste. Die Kaziken-Freunde haben ihn überzeugt: „Sie sind engagiert dabei, ihre Ideen zu verwirklichen und sich betriebswirtschaftlich weiterzubilden. Die Zusammenarbeit untereinander funktioniert gut, obwohl es so viele Leute sind und es keinen offiziellen Geschäftsführer gibt.“ Ihrem Talent, andere von ihren Plänen zu überzeugen, hätten sie die umfangreiche Förderung zu verdanken. Sie haben bisher rund dreimal so viel Geld bewilligt bekommen wie vergleichbare Existenzgründer.

Zum Leben reicht es trotzdem nicht. Nur Brunos Arbeitsplatz ist zurzeit finanziert und die Miete für das neue Büro in der Forster Straße. Die meisten anderen Kaziken jobben noch zusätzlich, um Geld zu verdienen, oder werden von ihren Eltern unterstützt. Das soll anders werden. Nach und nach wollen sie sich bei Kazik Prodüksiyon bezahlte Jobs schaffen. So etwas kann dauern, aber sie sehen es gelassen. Das mag am Firmennamen liegen, der ihre von türkischer Kultur geprägte Kreuzberger Identität widerspiegeln soll: „ ‚Kazik‘ ist Türkisch und bedeutet ‚kleines Pech, kleines Missgeschick‘ “, erklärt Jakob Seydel (24), Kazike mit türkischem Vater. „Im Leben klappt nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt. Auch bei uns nicht. Im Endeffekt geht dann aber doch meistens alles irgendwie gut aus. ‚Life is Kazik‘ – das sagt alles.“

Auch mit dem Leschi scheint alles gut zu gehen. Rund 5.000 wärmebedürftige Käufer hat er bereits gefunden – in Geschäften, auf Weihnachtsmärkten und übers Internet. Erstaunlich, ist doch die Idee nicht neu. Wärmekissen gibt es schon lange, das Prinzip des Hitzespeicherns durch Weizen auch. „Das Besondere am Leschi ist neben seinem originellen Design und dem weichen Fleece-Stoff die liebevoll erdachte Geschiche drumherum. Das ist auf jeden Fall ein Vermarktungsvorteil“, meint Ronny Debert von der IBB. Plüschtiere für Kinder mit Wärmeeinsatz oder baumwollbezogene Wärmekissen für Erwachsene seien mit einem echten Leschi nicht zu vergleichen. „Unser Leschi strahlt auch emotionale Wärme aus. Das kommt, weil wir in die Produktion unsere eigenen Gefühle einbringen“, erklärt Kazike Jakob Seydel. Herzerweichend!

Neue Projekte

Und zielstrebig: Die Jungs von Kazik Prodüksiyon denken auch über den Leschi hinaus an andere Projekte. Seydel organisiert gerade die Berlin Open, die Berliner Breakdance-Meisterschaft. Andere arbeiten an Internetauftritten für verschiedene Firmen. „Neue Standbeine aufbauen und das ursprüngliche Produkt weiterentwickeln ist sehr wichtig“, sagt der Existenzgründungsberater von der IBB. „Den Leschi wird es nicht ewig geben. Zumindest nicht in seiner heutigen Form.“

Und insbesondere nicht, wenn alle so gut drauf sind wie die Jungs von Kazik. Dann würde der Leschi, mangels negativer menschlicher Energie, verhungern – und schließlich aussterben. Aber das wird wohl so schnell nicht der Fall sein. Die Welt quillt schließlich nicht über vor erfolgreichen Existenzgründern.

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