: Keiner kommt hier lebend raus
In der Neujahrsnacht vor 50 Jahren starb der Country-Musiker Hank Williams
Country? Noch vor zehn Jahren hätte ich allein von dem Wort Pickel gekriegt. Country, das stand fest, war Musik für vor sich hin pupende Lkw-Fahrer, die Schilder mit ihren Vornamen ins Fenster legten. Ich war also überhaupt nicht vorbereitet, als der kulturelle Streifschuss der Countrymusik mich erwischte. Ich war 34 und im besten kreuzigungsfähigen Alter, der Schütze war Kinky Friedman, ein Countrysänger, der von sich sagte, er sei außer Jesus der einzige Jude, den man in Texas kenne. Mit seiner Band, den Texas Jewboys, war er ein paar Jahre unterwegs und auch bei Bob Dylans „Rolling Thunder Review“ dabei. Sein bekanntester Song war „They ain’t making Jews like Jesus anymore“, und für sein „I’m proud to be an Asshole from El Paso“, eine taffe Replik auf Merle Haggards „Proud to be an Okie from Muskogee“, war er der bestgehasste Mann in Nashville. Das Lied hatte ihn seine Countrysängerkarriere gekostet. Danach schrieb er Kriminalromane mit sich selbst als detektivischer Hauptfigur. Der Zweite, den ich las, war „Lone Star“, in dem es um einen durchgeknallten Hank-Williams-Fan geht, der Countrymusiker ermordet und sich dabei auf Hank-Williams-Songs beruft. So trat Hank Williams in mein Leben. Er war seit 42 Jahren tot.
Der Schweizer Kollege Christian Gasser und ich schrieben für den WDR eine Hörspielfassung von „Lone Star“. Christian Gasser brachte eine Hank-Williams-Gesamtausgabe auf CD mit, und ich machte Bekanntschaft mit den Zeilen „Now matter how I struggle and strive, I’ll never get out of this world alive“, gesungen von der traurigsten, einsamsten Stimme, die ich je gehört hatte. „I’ll never get out of this world alive“ war Hank Williams’ letzter Hit zu Lebzeiten. Der Song war auf Platz eins in den Charts, als sein Sänger den Text einlöste und starb, 29-jährig, in der Neujahrsnacht 1953, auf dem Rücksitz seines Wagens. Sein Fahrer hatte die Leiche ein paar hundert Meilen chauffiert, bevor er merkte, dass er einen Toten fuhr. Bei der Autopsie wurden Verletzungen am Kopf und am Körper festgestellt. Dass Hank Williams Schnaps gallonenweise getrunken hatte, war kein Geheimnis. Wegen seiner chronischen Rückenschmerzen hatte sich Hank Williams zusätzlich noch Morphiumspritzen geben lassen – und außerdem Chloralhydrat geschluckt, ein Mittel, das mit Alkohol gemischt so genannte Mickey Finns ergibt, also K.O.-Tropfen. Der Arzt, der Hank Williams das Chloralhydrat verabreicht hatte, traf sehr zügig bei der Leiche ein. Er hatte noch gut 700 Dollar zu bekommen. Nur Hank Williams’ Mutter war noch schneller – sie hatte Angst um den Wagen und um das Bargeld.
Die Geldmaschine sprang schnell wieder an. Beim ersten Konzert nach Hank Williams’ Tod spielte die Band als erstes Stück „I Saw The Light“ – hinter dem Vorhang, auf der Bühne beleuchtete ein Spot ein Mikrofon, hinter dem niemand stand. Das Lied ist randvoll mit Sehnsucht nach Erlösung: „I saw the light, I saw the light, no more darkness, no more night, now I’m so happy, no sorrow inside, praise the Lord, I saw the light.“ Hank Williams hatte sein eigenes Lied in düsteren Stunden allerdings so kommentiert: Ich habe kein Licht gesehen. Da ist kein Licht.
Die Kassen aber klingelten. Drei Nummer-Eins-Hits konnte MGM Records 1953 mit dem toten Star landen, und auch seine Frau und seine Exfrau holten sich noch etwas vom Kuchen: Sie gingen jeweils als Mrs. Hank Williams auf Tournee und beharkten sich dabei wechselseitig mit Anwälten.
Der Musikjournalist Colin Escott hat das Leben von Hank Williams akribisch recherchiert und mit manchmal kaum noch lesbarer Akribie aufgeschrieben: „Hank Williams – Das Leben einer Country-Legende“. Es ist ein todtrauriger Stoff, voll mit Unglück, Schmerz und Sucht, Einsamkeit und Getriebensein, mit Liebe, die fehlgeht – und mit Rebellion gegen all das. Als Hank Williams anfing, war Hillbilly das schlimmste Schimpfwort nach Nigger, und in Nashville gab es noch keine Country-Industrie. Nachdem er seine erste Band zusammengestellt hatte, kaufte er den Männern Schlagringe und sagte: Die braucht ihr, wenn ihr mit mir auftretet. Und auch seine erste Ehe bestand neun Jahre lang zu nicht kleinen Teilen aus Prügeleien. Die Zeilen seiner Songs schrieb Hank Williams meist hinten im Auto auf kleine Zettel. Seine Taschen waren voller kleiner Zettel.
Der erste posthume Hank-Williams-Hit war „Kaw-Liga“, ein Lied über einen aus Holz geschnitzten Indianer, der vor einem Laden aufgestellt wird und sich in eine Indianerin verliebt, die im Antiquitätengeschäft gegenüber arbeitet. Eines Tages betritt ein reicher Kunde den Antiquitätenladen, kauft die Indianerin und fährt mit ihr davon. Hank Williams singt: „Kaw-Liga just stands there as lonely as can be and wishes he was still an ol’ pine tree.“ WIGLAF DROSTE
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