: Hilfe, meine Tante ist Terroristin
Das Verhältnis zwischen Orient und Okzident hat sich 2002 stark verschlechtert. Die Anziehungskraft von Terror und militantem Antiamerikanismus ist weit in die Mitte der arabischen Gesellschaften vorgedrungen. Es regiert das beiderseitige Klischee
aus Kairo KARIM EL-GAWHARY
Meine gutbürgerlichen, zutiefst apolitischen Kairoer Tanten sind für mich stets ein wichtiges arabisches Stimmungsbarometer. Während eine von ihnen unlängst gestand, sie bete mehrmals am Tag dafür, dass Bush und Blair der Schlag trifft, outete sich eine andere unlängst mit dem Satz, dass sie sich am liebsten selbst einen Sprengstoffgürtel umschnallen wolle. Beide Tanten haben einen Großteil ihres Lebens damit zugebracht, alles Westliche anzubeten.
Derweil heißt es seit dem 11. September 2001, dass dringend etwas im Verhältnis zwischen den Arabern und dem Westen unternommen werden müsse. Dialog hieß das Schlagwort, im Auswärtigen Amt in Berlin wurden flugs dieses Jahr mehrere Dutzend Stellen geschaffen, um genau diesen voranzutreiben. Doch meine Tanten sind der lebende Beweis: Wenn das Jahr 2002 etwas gebracht hat, dann eine weitere Verhärtung der Fronten. Im Kern geht es weniger um das Miteinanderreden als um die Veränderung von Politik.
Etwas Hoffnung kam auf, als sowohl US-Präsident George Bush als auch der britische Premier Tony Blair dieses Jahr in Grundsatzreden zum Nahen Osten erstmals von der Notwendigkeit eines lebensfähigen palästinensischen Staates als Voraussetzung einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Westen und Orient sprachen. Doch sie unternahmen nichts. Dem israelischen Ministerpräsidenten Scharon wurde bei der Wiederbesetzung der palästinensischen Städte im Frühjahr, von Bethlehem bis Dschenin, kein Einhalt geboten. Scharon ignorierte die US-Forderung nach einem sofortigen israelischen Rückzug – dass darauf keine Taten folgten, wurde in der arabischen Welt so interpretiert, dass Scharon von Washington heimlich einen Blankoscheck erhalten hatte.
Die Reaktion war entsprechend. Noch letztes Jahr hatten einige islamische Rechtsgelehrte Selbstmordanschläge gegen Zivilisten als verwerflich bezeichnet. Heute ist es fast arabischer Konsens, dass Derartiges als Methode des Widerstands gegen eine Militärbesatzung legitim ist.
Die US-Regierung hat sich unterdessen damit abgefunden, dass mit ihrer Politik im Nahen Osten wenig Freunde zu gewinnen sind. Also wird daran gearbeitet, den arabischen Blick auf die USA neu zu definieren. Das Motto: Wer mich nicht liebt, dem muss ich eben Angst und Respekt einflößen. „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“, lautet die einfache Drohung, untermalt von Flugzeugträgern und zehntausenden US-Soldaten am Golf.
Die meisten Araber sind davon überzeugt, dass es bei dem US-Truppenaufmarsch in der Region nicht um die vermuteten Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins geht. Die Araber fürchten vielmehr, dass die USA nach einem Regimewechsel in Bagdad mitten in der arabischen Welt im Irak eine weitere Militärgarnison implantieren, mit deren Hilfe eine Neugestaltung der politischen Struktur in der ganzen Region im US-Sinne durchgesetzt werden soll.
Ohnmacht ist demgegenüber wohl das arabische Hauptgefühl. Viele Menschen wenden sich daher mehr und mehr einer vermeintlich noch größeren Supermacht zu. „Allahu Akbar – Gott ist groß“ lautet der Gegenslogan zu Bush und Blair. Islamisten haben derzeit als angeblich effektivste Gegenkraft Zulauf – je radikaler, desto besser.
Der Abstand zwischen Ussama Bin Laden und der arabischen öffentlichen Meinung ist 2002 geringer geworden. Hilflos waren indes auch von arabischer Seite die Versuche, das Image auf der anderen Seite aufzubessern. Meist soll die Kluft einfach mit Geld zugekleistert werden.
Die arabischen Informationsminister hatten sich bei einem Treffen der Arabischen Liga im Juni darauf geeinigt, für 22,5 Millionen Dollar eine Medienkampagne zu starten, um die westliche Wahrnehmung, die Araber seien Terroristen, zu korrigieren. Zumindest beim Model Lauren Bush war dies eine vergeudete Investition: Bei einer Modeschau in Barcelona weigerte sich die Nichte des US-Präsidenten, etwas „zu Arabisches“ anzuziehen. Das spanische Modehaus Toypes, bei dem die 17-Jährige unter Vertrag stand, hatte versucht, in ihrer Sommerkollektion mit arabischen Akzenten wie Stickereien, Turbanen und weiten Hosen aufzufallen.
Auch die Ankündigung des US-Außenministers Colin Powell diesen Monat, mit 29 Millionen Dollar „Amerikas Herangehensweise an den Nahen Osten zu erweitern“, dürfte sich als wenig fruchtbar erweisen. Mit 10 Cent pro Araber können kaum das Erziehungswesen und die örtlichen Demokratien verbessert werden. Geld wurde auch für den im März für die von der US-Regierung in der Region launchierten amerikanischen Radiosender Sawa (Gemeinsam) ausgegeben. Damit will Washington den arabischen Jugendlichen eine Mischung aus Top-Ten-Hits und Nachrichten aus US-Perspektive darbieten.
Das Ergebnis war durchschlagend: Laut einer Meinungsumfrage bezeichneten 40 Prozent aller jordanischen Jugendliche Radio Sawa binnen weniger Wochen als ihren Lieblingssender. Mit einer Einschränkung: Bei den Nachrichten schalten sie lieber um.
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