: Wer definiert eine Familie?
PROTEST Am Samstag demonstrierten Hunderttausende Menschen in Rom gegen mehr Rechte für Schwule und Lesben
AUS ROM MICHAEL BRAUN
„Verteidigen wir unsere Kinder!“ Groß prangte der Slogan auf Roms weitestem Platz, der Piazza San Giovanni – ein Slogan der Hunderttausende Demonstranten angezogen hatte. Nein, sie protestierten nicht gegen Pädophilie in der Kirche oder anderswo. Sie demonstrierten am Samstag gegen das Ansinnen der Regierung, endlich auch in Italien den Status schwuler und lesbischer Paare auf eine rechtliche Grundlage zu stellen.
„Hände weg von unseren Kindern!“ war auf einem Transparent zu lesen, ein anderes zeigte, in naiver Strichmännchen-Manier gezeichnet, die Modellfamilie, bestehend aus Mama, Papa, Sohn und Tochter. Ein anderes Plakat verkündete: „Gender – Kot des Dämonen“. Überhaupt war gern vom „Dämon“, von „Satan“ die Rede und von den Homosexuellen, „die allmächtig wie Gott sein wollen“.
„Eine Million“ seien zur Kundgebung gekommen, verkündeten die vom eigenen Erfolg überraschten Veranstalter. Ganz so viele waren es wohl nicht, doch auf der Piazza San Giovanni, direkt vor der Lateransbasilika, drängten sich Hunderttausende quer durch die Generationen. Angereist waren sie aus ganz Italien, mit 2.000 Bussen, mit Zügen, mit Fähren von Sardinien.
Hauptaufreger für die Demonstranten war der dem italienischen Parlament vorliegende Gesetzentwurf, den Ministerpräsident Matteo Renzi bis September durchbringen will. Danach sollen Homo-Paare bei der steuerlichen Behandlung, bei Rentenansprüchen oder dem Erbrecht weitgehend gleichgestellt werden. Für Italien wäre das eine mittlere Revolution. Auch heute noch haben schwule oder lesbische Partner zum Beispiel keinerlei juristischen Anspruch darauf, im Krankenhaus ihrem Freund oder ihrer Freundin beizustehen und sind allein auf die Gnade der behandelnden Ärzte angewiesen.
Eben das Vorhaben, diese Situation zu ändern, passte den Fundi-Katholiken auf dem Platz nicht. „Gott schuf sie männlich und weiblich“ konnte man auf einem Transparent lesen. Neben der Homo-Ehe trieb die Gekommenen nämlich ein weiteres Gespenst um: die „Gender-Erziehung“. Auch zu diesem Thema liegt ein Gesetzentwurf vor, das in den Schulen die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Formen gesellschaftlicher Diskriminierung verbindlich machen will.
Doch so mächtig die Kundgebung war, so sehr repräsentierte sie doch nur einen Ausschnitt des italienischen Katholizismus. Der progressive Flügel, die große Scout-Bewegung etwa, die Laienbewegung Comunità di Sant’Egidio oder die katholischen Arbeitnehmer hielten sich ebenso fern wie die eher konservative Laienbewegung Comunione e Liberazione.
Mobilisiert hatte dagegen die Gemeinschaft der Neokatechumenalen, die in Italien mittlerweile zahlreiche Pfarreien dominiert und selbst auf dem Feld „traditionelle Familie“ mit gutem Beispiel vorangeht: Kinderreichtum gilt ihnen als einer der höchsten Ausweise eines gottgefälligen Lebens. Und so waren auch in Rom am Samstag Familien mit einer Schar von acht oder zehn Kindern zu besichtigen. Neben ihnen hatten diverse Pro-Life-Vereine wie „Scienza e Vita“ („Wissenschaft und Leben“) aufgerufen. Und Zuspruch gab es auch von einem Imam aus Rom, der auf der Kundgebung sprach, sowie von dem Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Roms, der ein Grußtelegramm schickte.
Abseits stand bei der Mobilisierung dagegen die italienische Bischofskonferenz, die verlauten ließ, das Anliegen der Protestierer sei „in der Sache, jedoch weniger in den Formen unterstützenswert“. Gegenüber der Tageszeitung Corriere della Sera sagte der Sprecher des Protestkomitees, „die Bischöfe sind ganz normale Personen, die auch irren können“.
Die Bischöfe fehlten
Eben hier liegt der große Unterschied zu früheren Katholikenprotesten gegen die Homo-Ehe, vorneweg zum „Family Day“ von 2007, als ebenfalls Hunderttausende gegen den von der damaligen Mitte-links-Regierung unter Romano Prodi vorgelegten, windelweichen Gesetzesvorschlag für eine eingetragene Lebenspartnerschaft aufmarschiert waren. Seinerzeit hatte die Amtskirche mit der Bischofskonferenz des Landes selbst die Speerspitze des Protestes gebildet, und sie konnte sich auf die Rechtsparteien unter Führung des Familienmenschen Silvio Berlusconi als treue Alliierte verlassen. Ja selbst zahlreiche katholische Politiker des Mitte-links-Lagers waren damals beim „Family Day“ dabei.
Doch an diesem Samstag fehlten nicht bloß die Bischöfe; auch Italiens Rechte waren bloß durch einige Protagonisten aus dem zweiten Glied vertreten. In ihren Reihen haben sich die Positionen in den letzten Jahren deutlich verschoben. Berlusconi zum Beispiel hat seine Gegnerschaft gegen eingetragene Lebenspartnerschaften revidiert, ja er empfing vor einigen Monaten die Transaktivistin und ehemalige Links-Parlamentarierin Vladimir Luxuria zum trauten Gespräch über das Thema.
So verkörperte die Kundgebung vom Samstag am Ende auch nicht mehr das Gros des italienischen Katholizismus, sondern nur noch dessen rechten, fundamentalistischen Rand, der ebenso lautstark wie minoritär ist. So tönte ein Redner, mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zur eingetragenen Lebenspartnerschaft werde „eine Bombe geworfen, und wir müssen die Familie wie die Mauer einer belagerten Stadt verteidigen“.
Monica Cirinnà, Autorin des angefeindeten Gesetzentwurfs, kommentierte: „Ich glaube, dass es sich da um eine Kundgebung von privilegierten Heterosexuellen gehandelt hat, die sich ihre Privilegien erhalten wollen.“ Privilegierte allerdings, die sich im Kampf zunehmend isoliert fühlen. Bezeichnend war, dass in den Reden zum Beispiel Johannes Paul II. viel Lob erfuhr, aber der aktuelle Papst, Franziskus, kein einziges Mal erwähnt wurde.
Meinung + Diskussion SEITE 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen