piwik no script img

Dreck ist mehr als eklig

SPEKTAKEL Mud-Wrestling als schöne Kunst betrachtet: Mit Staub, Matsch und Kohlenhydraten nähert sich das Festival „Dreck: Ein Apparat“ in den Uferstudios dem Begriff der Materie mit performativen Mitteln

Bleigieß-, Wolkenguck- und „Freundin“-Lese-Erfahrungen kommen zum Einsatz

VON ASTRID KAMINSKI

„Ich habe noch nie ein Publikum bei einer zeitgenössischen Performance gesehen, das ‚Kämpft! Kämpft! Kämpft!‘ ruft“, groovt Kareth Schaffer auf Englisch ins Mikro. Sie ist definitiv eine Naturbegabung als Wrestling-Kommentatorin. Sie macht nicht nur Stimmung, sie sagt den Zuschauern auch, wo’s langgeht – mit ihnen selbst. Im Ring, der auf dem Innenhof der weitläufigen Uferstudios im Berliner Wedding aufgebaut ist, tummeln sich die Kracher*innen der Performance-Szene.

Sie tragen rudimentäre Kostüme: „The Cosmetician“ hat sich Gurken aufgeklebt, die sakrosankte „Deine Mudda“ eine Daisy-Schleife im Haar, der siamesische Zwilling steckt zusammen im XL-Pullover, und „Cerebro Gut Thunder“, die Siegerin, zugleich die Kleinste des Casts, geht einfach nur brillenlos in den Matsch. Ja, Matsch, nicht Match, denn das hier ist „Dirty Money Mud Wrestling“. Ein paar Kiezkids stehen mit in der lärmenden Menge. Es ist ihnen anzusehen, dass sie nicht so ganz wissen, wer hier wie tickt, aber ein Handyvideo ist es allemal wert.

Der Ring ist mit nassem Dreck gefüllt, es geht darum, sich metaphorisch am Geld abzuarbeiten. Am Steuergeld, das die sechs Wochen von „Dreck: Ein Apparat“, dessen Auftakt das Wrestling ist, möglich macht, genauso wie an den 350-Euro-Wetteinsatz des Publikums. Die Metapher ist gut. Nicht nur, weil das Konzept aufgeht und die Zuschauer aus der ironischen Mitspielhaltung in echtes Wettkampffieber verfallen, sondern auch weil die Mud-Wrestler nach dem Kampf so aussehen wie die Arbeiter aus den Goldminen im Kongo. Schlammig eben. Und ausgezehrt. Der Körper als Beute des Systems.

Kochen mit Resten

Das Mud-Wrestling hat in dieser Form die junge Performerin Kereth Schaffer erfunden, das Konzept für „Dreck: Ein Apparat“ stammt von der freien Kuratorin Stefanie Wenner. Aufbauend auf dem Pilzfestival „Mykorrhiza“ vom Vorjahr, hat sie das turmhohe Heizhaus der Uferstudios zum Labor für Dreckfragen erklärt, in dem die eingeladenen Künstler mehrere Wochen residieren und ihre Projekt entwickeln. Zweimal wöchentlich werden sie präsentiert, gratis, dazu gibt es Left-over-Dinners, Mahlzeiten aus Übriggebliebenem. Beim letzten Mal: Brötchenkörbchen mit Kartoffelstampf – nicht so gut für die Verdauung, aber gut gewürzt. Die Kiezkids essen lieber zu Hause.

Dabei ist es gemütlich im Heizhaus. Der Dreck liegt nur in Vitrinen oder unterm Mikroskop, angehäuftes Verpackungsmaterial ersetzt die Clubsessel, die Bar ist mit Rasen überwachsen, die Papp-Hocker sehen nach Design aus, und das Relief aus Tellern mit Resten in Form einer unfertigen Weltkarte ist auch nicht eklig. In diesem Setting mit Installations-, Atelier- und Clubanteilen kann man mit den Künstler*innen über ihre Projekte sprechen.

Ein ähnlich irres Event wie das Wrestling könnte der „Dirty Secret Choir“ der Schaumexperten cobratheatre.cobra werden. Derzeit bietet das Kollektiv in der Weddinger Nachbarschaft einen Tausch an: Hausputz gegen dreckige Geschichten. Aus denen sollen dann wiederum Songs werden. Der Aufruf zum Mitsingen sei auch noch erwähnt.

Als theoretischer Hintergrund dient Wenner die Schule des „Neuen Materialismus“, die die Dinge in ihrer Materialität als dynamisches Prinzip mit einer interaktiv wirksamen Potenzialität begreift. Zentral steht dabei, etwa bei der Theoretikerin Jane Bennett, der – ursprünglich sozialwissenschaftlich besetzte – Begriff der Assemblage als Miteinander von Dingen, Beispiel Plastiklandschaft im Ozean. Am 25. Juni (erst) wird der Dreck-Begriff in dieser Hinsicht in einer Lecture der Expertin Diana Coole von der Birkbeck University of London unter die Lupe genommen.

Der Ansatz ist nicht unspekulativ, und die Frage, wohin das Ganze eigentlich will, steht durchaus im Raum. Aber so muss es für Prozesskunst ja auch sein. Mal fällt die Rede auf das Anthropozän, das Zeitalter der menschengemachten Natur, mal überlegt jemand, ob das Internet der Dinge dem New Materialism implizit ist, mal geht es um Recycling – obwohl es eigentlich gerade nicht um Recycling gehen soll, denn das ist für die Dreckisten viel zu alibibelastet –, mal um Dreck als Müll, als Magie, Medizin, dann wieder um die Schwerkraftlosigkeit von Staub.

Eines aber ist schon einmal klar: Dreck ist mehr als eklig. Gelegentlich sogar tatsächlich magisch, etwa wenn sich Maika Knoblich und Hendrik Quast absurd relaxt wie Prinz und Prinzessin bei der Pause von einer unmöglichen Aufgabe durch ihre „Fortune Teller“-Performance quatschen. Sämtliche Bleigieß-, Wolkenguck- und Freundin-Lese-Erfahrungen kommen zum Einsatz, um aus dem Kaffeesatz des mokkatrinkenden Publikums zu lesen. Ständig gibt es was zu lösen, aber keine Lösungen. Mit ihrer Donquichotterie beförderten sie ihre Gäste auch ohne harte Drogen ins Delirium.

Anders unspektakulär und eine Art Prototyp-Apparat ist als belebendes Denkspiel das Tarotlegen mit der Architektin Bettina Vismann. Ihr „Deck-of-Dust“-Kartenset bietet einen faszinierenden Zettelkasten zur Geschichte des Staubs, von den Atomisten und Lukrez zum Reinraum, von Da Vincis skurriler Tuschezeichnung „The rain of householdobjects“ zum selbstreinigenden Haus und Nanotechnik. Mit vier zufällig gezogenen Karten entstehen gemeinsame Denkbewegungen und Denkmodelle. Der nicht berechenbare Staub ist für sie ein Transmitter zwischen physischer und fiktionaler Welt. Nun ist Staub, auch wenn ihn Paracelsus als „Schmutz der Erde“ bezeichnete, nicht unbedingt Dreck. Aber im kosmischen Staubregen zu sitzen, bis zu 40.000 Tonnen sind es pro Jahr, ist zumindest ein gutes Setting, um über Dreck nachzudenken anstatt einfach gedankenlos darin zu ersticken.

■ „Dreck: Ein Apparat“, Uferstudios, bis 11. Juli, Programm unter: www.uferstudios.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen