Einführung in taktische Softness

PERFORMANCE Beim 7. Live-Arts-Festival im Hamburger Kampnagel wird ergründet, wie viel Protestpotenzial in choreografischen Strategien steckt

Wer möchte, kann sich mit duftendem Schaum einreiben lassen, oder im Zelt nebenan eine Massage nehmen

Es ist eine Choreografie, die man schon oft gesehen hat. Die Uniformierten schlagen ihre Knüppel auf die Schilde, vertreiben die Maskierten, tragen sie unter Buhrufen weg. Dann geht es in die andere Richtung. Mit bengalischem Feuer beworfen, zieht sich die Staatsmacht zurück. Jeder Meter auf dem Vorplatz des Hamburger Hauptbahnhofs ist umkämpft. Es knallt und qualmt, aus den Boxen dröhnt Musik. Nach einem Ringen mit einem leeren Transparent liegen die Uniformierten nach einer Dreiviertelstunde regungslos auf dem Boden. Tosender Applaus.

„Now (The Clash)“ heißt die spektakuläre Performance des Künstlers Omer Krieger, die vergangenen Mittwoch zum Auftakt des siebten Live-Art-Festivals der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel zu sehen war. Zusammengebastelt hat sie der Israeli aus den Versatzstücken der Proteste um den Istanbuler Gezipark, und in Ostjerusalem, die er in choreografische Muster zerlegt und neu zusammengesetzt hat. Ganz ohne Worte und ideologischen Kontext untersucht sie, welche Spuren Protest in den Körpern und im öffentlichen Raum hinterlässt.

Körperlich, wenn auch ganz anders, wird es auch auf Kampnagel selbst: Sanft rieselt warmer Regen auf den Nabelstein in der Mitte des Waschraums. Wer möchte, kann daneben seinen handgemachten Petamal ablegen und auf einer Liege von einem Tellak mit duftendem Schaum einreiben lassen, im Zelt nebenan eine Massage nehmen oder sich einfach im Ruheraum davor einen Tee einschenken lassen und auf dem Teppich die feuchte Wärme von 45 Grad genießen.

„Hamamness“ heißt die 140-Quadratmeter-Installation, in der jeden Abend kollektive Intimität, eine „osmonische Gemeinschaft“, entstehen soll. Ein Hamam ist hier in der großen Vorhalle aufgebaut, in drei sanft illuminierten aufblasbaren Kuppelzelten. Nicht nur Poren, auch Augen, Herz und Hirn sollen hier geöffnet werden, um „kulturelle Verpanzerungen“ aufzuweichen und abzuschrubben, erklärt Kuratorin Nadine Jessen. Täglich gibt es ein performatives Programm, „taktische Softness“ lässt sich da lernen oder wie man Rassismus einseift.

Tief entspannt geht es in die Halle nebenan. Das in Serbien und Deutschland arbeitende Künstler- und Aktivistenkollektiv um Sasa Asenti und Ana Vujanovic lädt dort ins „Cabinet of Political Wonders“. Am Eingang werden weiße Masken ausgehändigt und die Einladung, sie aufzusetzen und für eine Stunde die Persönlichkeit abzulegen. Dann geht es zur runden Bühne, auf der drei Performer mit Schnabelmasken, die Rücken einander zugewandt, aus einflussreichen politischen Reden über Freiheit zitieren, von Churchill über Lenin bis Franjo Tudman.

Wie auf dem Jahrmarkt geht es mit Popkorn oder Zuckerwatte in der Hand an den 13 Stationen des Kabinetts entlang, die sich mit der Rede von der Freiheit auseinandersetzen. Zwischen Projektionen von Gorbatschow oder Nelson Mandela tanzt ein Maskierter, zur Lenin-Rede vom Plattenspieler entsteht auf einer großen Tafel ein Kreidewandbild rund um berühmte Gesten des Revolutionärs. Wer möchte, lässt sich direkt daneben hinter glitzernden Vorhängen von einer Wahrsagerin in die Zukunft blicken, gegenüber spielt eine Jukebox Freiheitslieder. Vor einer kleinen Liegewiese liest auf dem Fernseher eine Schauspielerin Rosa-Luxemburg-Texte, auf den Tischen des Klassenzimmers nebenan liegen Ordner mit transkribierten Reden aus.

Zum siebten Mal findet das Performance-Festival seit Mittwoch statt. „Choreografie & Protest“ heißt das Thema diesmal und greift damit zwei Entwicklungen auf: Immer wichtiger werden choreografische Elemente in öffentlichen Protesten, immer wieder haben sich KünstlerInnen in der letzten Spielzeit auf Kampnagel mit Widerstandsformen auseinandergesetzt. Wie spielen Choreografie und Protest zusammen, welches Protestpotenzial steckt in choreografischen Strategien, fragt nun das Festival. Ganz bewusst gehe es dabei nicht darum, Protest auf die Bühne zu bringen, sagt die Dramaturgin Melanie Zimmermann, sondern um das Schaffen einer Plattform für KünstlerInnen, TheoretikerInnen und AktivistInnen. Vieles, was hier zu sehen ist, entstand er auch erst in den Wochen vor dem Festival, bleibt Skizze und Vorschlag. Wer Antworten erwartet, wird enttäuscht. Wer Fragen stellen will, findet eine experimentelle Spielwiese, auf der man sich noch bis Samstag nach allen Regeln der Kunst austoben kann.

ROBERT MATTHIES

■ Noch bis 16. Juni im Kampnagel, Hamburg