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DIE EINE FRAGECem Özdemir macht Ernst

WAS BEDEUTET DIE DERZEITIGE AUFREGUNG DER LINKEN GRÜNEN ÜBER DEN REALO-PARTEICHEF WIRKLICH?

Für Unternehmen, die aus den emanzipativen Impulsen von 1968 entstanden sind, gibt es nur eines, das schlimmer ist als Führungsleute, die nicht führen: Führungsleute, die tatsächlich Führung übernehmen. Dann geht das Geheule erst richtig los. Tenor: Eigentlich gern. Aber nicht so.

So verhält sich sehr wahrscheinlich auch die Sache mit dem Grünen-Parteivorsitzenden Cem Özdemir. Den hatten vor anderthalb Jahren selbst enge Realo-Gewährsleute abgeschrieben. Jetzt ist er von den wahrnehmungsschwachen Grünen-Bundespolitikern noch der Sichtbarste und Prominenteste. Und das ist selbstverständlich auch wieder nicht recht.

Anders ist die anhaltende Aufregung bei Grünen-Funktionären nicht zu verstehen, die eines seiner Zitate auslöste, das nur eine Mininebenrolle spielte in einem FAS-Porträt über Schleswig-Holsteins Vizeministerpräsidenten Robert Habeck, den bisher einzigen Bewerber für die grüne Spitzenkandidatur im Bund 2017. Darin konstatierte Özdemir, dass es die doppelte Doppelspitze in Berlin „nicht leichter“ mache, „personelles Profil zu gewinnen“ und damit politische Wirkung.

Wenn man Özdemir einen Vorwurf machen muss, dann den, dass die Aussage banal ist. Normale Menschen jenseits der kleinen grünen Scheinwelt beschäftigen sich im Schnitt fünf bis zehn Minuten die Woche mit Politik. Sich da zwei Partei- und zwei Fraktionschefs einer 8,4-Prozent-Partei zu merken ist nicht drin. Schwabotürke, Langhaarbayer, vielleicht noch Betschwester – das ist das inhaltliche Maximum. In den Ländern haben die Grünen-Vizeministerpräsidenten Medienpräsenz und Statur, weil sie eben keine zwei sind; und die Fraktionschefinnen genauso. Warum also die Aufregung?

Wie stets geht es nicht darum, was jemand sagt, sondern was die anderen projizieren, das er will. Bei Özdemir denken viele linke Grüne sofort an das Schlimmste: die Macht im Bund. Und an ihn als Führungsfigur einer Regierung. Das geht gar nicht. Jedenfalls nicht so.

Weil bei den Grünen das offene Sprechen strengstens verboten ist, greift man auf einen Topklassiker zurück: Man unterstellt Özdemir Diskriminierung. Ha! Er will die Doppelspitze abschaffen, also die Frau. Nun ist es in der Tat eine systematische Geschlechterdiskriminierung, dass die Grünen-Doppelspitzen mit zwei Frauen besetzt werden können, aber maximal mit einem Mann. Aber das sind halt ungerechte und antiemanzipative Traditionalismen, die die Privilegierten ja auch in anderen Kulturen als „Werte“ verteidigen.

Wie wir alle wissen, geht es selten um das, was vorgeschoben wird. Meistens geht es bei Menschen um Neid oder, sagen wir, Sensibilitäten. Um Repräsentation von Seilschaften. Das Problem der Linken ist nicht, dass Frauen verhindert würden, sondern dass sie keine Frau haben, die bei der Urwahl der Spitzenkandidaten eine Chance hätte, neben Katrin Göring-Eckardt gewählt zu werden. Geschweige denn statt. Und mit einem Mann sieht es auch mau aus.

Worum geht es also? Es geht darum, dass man Cem Özdemir, 49, inzwischen politisch sehr ernst nehmen muss. Wem das noch nicht klar war, der weiß es spätestens jetzt, da Parteifreunde sich wegen Pipifax gegen ihn formieren. Der „Kanake“, wie er sich manchmal selbst nennt, gewinnt zunehmend an Profil und ist diesmal offenbar entschlossen, die grünen Bildungsbürgerkinder in die Regierung zu führen. Und manche auch zu zerren.

In der richtigen Welt wird man sagen: Was denn sonst?

Die eine Frage bleibt aber bis auf Weiteres: Was schert die Grünen die richtige Welt?

PETER UNFRIED IST TAZ-CHEFREPORTER

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