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Ein Ohr für Cameron

EUROPA Britischer Premier droht mit Austritt aus der EU. Seine Wünsche stoßen auf Protest – außer bei Merkel

VON TOBIAS SCHULZE

Der britische Premierminister David Cameron wirbt in Europa für EU-Reformen – und stößt zumindest im Kanzleramt auf Verständnis. „Wir haben in der Europäischen Union ein Prinzip: Wenn ein Mitgliedsland ein Anliegen hat, versuchen wir, eine Lösung zu finden“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag nach einem Treffen mit dem Briten in Berlin. Eine Änderung der EU-Verträge schloss sie dabei nicht aus. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagte Merkel.

Ein Erfolgserlebnis für Cameron, dessen Forderungen in anderen europäischen Hauptstädten beinahe durchweg Skepsis hervorrufen. Schon im Wahlkampf hatte der Premierminister mit EU-kritischen Tönen geworben, nach seinem Wahlsieg kündigte er ein Referendum über den Verbleib seines Landes in der EU an. Spätestens 2017 will er die Briten abstimmen lassen. Seine Botschaft an den Rest Europas: Entweder, ihr setzt unsere Reformwünsche um – oder wir sind weg.

Welche Änderungen dem Premierminister vorschweben, bleibt bisher allerdings vage. Seine konservative Tory-Partei stört sich unter anderem an den europäischen Freizügigkeitsregeln. Sie möchte, dass Einwanderer aus anderen EU-Ländern in Großbritannien erst später Sozialleistungen erhalten als bisher. Um auszuloten, welche Reformen tatsächlich möglich sind, tourt Cameron derzeit durch mehrere europäische Staaten.

Einen offenen Empfang bereitete ihm allerdings nur Merkel. Zuvor hatte der britische Premier schon am Freitagvormittag in Warschau vorgesprochen. Die polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz teilte nach dem Treffen mit, ihre Regierung werde Widerstand gegen Lösungen leisten, „die zu einer Diskriminierung von Polen und anderen EU-Bürgern führen, die legal in Großbritannien arbeiten wollen“. Aus Polen sind in den vergangenen Jahren besonders viele Menschen in das Vereinigte Königreich ausgewandert. Am Donnerstag war Cameron bereits zu Gesprächen in Paris. Der französische Außenminister Laurent Fabius sagte im Anschluss, sein Land sei offen für Verbesserungen in der EU, aber gegen eine britische Sonderrolle.

Und doch könnte die Lösung des Konflikts darauf hinauslaufen. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) schaltete sich am Freitag ebenfalls in die Debatte ein. Ohne das Briten-Referendum explizit zu erwähnen, forderte in einem Gastbeitrag in der Bild-Zeitung „mehr Mut zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Zusammenarbeit“. Einige Länder wie Deutschland und Frankreich müssten vorangehen. „Andere können nachkommen, wenn sie so weit sind. Nicht jeder muss alles mitmachen.“

Merkel unterstützte den Vorstoß nach ihrem Gespräch mit Cameron. Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten sei schon heute Realität: Manche Staaten seien Mitglieder des Euro- und des Schengenraums, andere nicht. Ob mit Blick auf das britische Referendum weitere Kompromisse hinzukommen? „Es ist nicht so, dass wir solche Fälle in der Vergangenheit noch nie hatten“, sagte die Kanzlerin. Konkrete Reformen nannte sie allerdings ebenso wie Cameron nicht.

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