: Freiheit im Tritt
RAD FAHREN Es muss nicht immer die große Tour sein: Nirgendwo sind Kurztrips mit dem Fahrrad einfacher als im flachen Niedersachsen – etwa von Hannover ins Teufelsmoor
■ Das Rad: Eine kurze Probefahrt vor der Tour schadet nie. Funktionieren Licht und Bremsen? Ist die Bereifung okay – oder quietscht oder schleift sogar irgendwas?
■ Das Werkzeug: Unverzichtbar sind Flickzeug und für schwere Fälle ein Ersatzschlauch – wer ganz auf Nummer sicher gehen will, nimmt einen faltbaren Ersatzreifen mit (etwa von Schwalbe, ab 40 Euro). Praktisch sind Multi-Tools mit Inbusschlüssel und Kettennieter (ab 20 Euro). Auch gut: Ersatz für Brems- und Schaltzug.
■ Das Gepäck: Super sind Taschen aus LKW-Plane, etwa von Vaude oder Ortlieb. Die kosten zwar pro Paar 70 Euro und mehr – sind dafür aber auch unter der Dusche wasserdicht. Bei langen Fahrten mit viel Gepäck helfen zusätzliche Taschen fürs Vorderrad: Die werden an einem speziellen Gepäckträger („Lowrider“) festgemacht.
■ Die Übernachtung: Die meisten Campingplätze sind gut und günstig – solange kein Meer in der Nähe ist, liegen die Preise pro Person zwischen drei und zehn Euro.
■ Das Zelt: Sollte möglichst kompakt und damit leicht sein. Weil’s auch schon gesichtet wurde: Nicht zusammenfaltbare Wurfzelte taugen natürlich nicht fürs Fahrrad – schließlich muss das tragbare Häuschen mit Spanngurten quer über den hinteren Taschen befestigt werden. Wer will, stopft auch Isomatte und Schlafsack in eine weitere wasserfeste Hintertasche – gibt’s im Motorrad-Fachhandel oft überraschend günstig.
■ Die Navigation: Norddeutschlands Radwege – nicht nur der Elbe-, Weser- oder Aller-Radweg – sind fast immer gut ausgeschildert. In Niedersachsen reicht zur Orientierung fast immer eine Reisekarte im Maßstab 1:200.000 (etwa von Marco Polo mit Zeltplätzen, 8,99 Euro). Vorsicht bei Handynavigation: In vielen Ecken gibt es noch Funklöcher!
Irgendwann wird die Stadt zu viel: zu viel Beton, zu viele Autos, selbst zu viele Menschen. Also raus aufs Land. Am besten mit dem Fahrrad. Das steht für Licht, Luft, die Möglichkeit, sich auszupowern – wer’s romantisch mag, kann’s auch gern „Freiheit“ nennen.
Dabei muss es nicht immer die große Tour nach Frankreich oder Schweden sein. Das Pfingstwochenende bietet Zeit für einen Kurztrip in Richtung Teufelsmoor. Also krame ich schnell die Fahrradtaschen raus, verpacke Zelt, Isomatte und Schlafsack – und raus aus Hannover: Über die Limmerstraße in Linden geht’s zum Leineufer – und prompt wird’s grün: In Richtung Garbsen kommt der erste Traktor schon nach drei Kilometern in Sicht. Danach noch einmal kurz durch das hässlichste Suburbia, das Niedersachsens Landeshauptstadt zu bieten hat: Die Leute an der Bundesstraße 6, die täglich Zehntausende Autopendler und eine unglaubliche Mischung aus Bau- und Möbelmärkten, Küchenstudios und Tankstellen ertragen, haben Mitleid verdient.
Doch die Belohnung für den Autoterror ist nicht weit. In Engelbostel stehen die ersten Schafe, und hinter Berenbostel kann durchgeatmet werden: Felder wechseln sich mit Wald ab. Über kleine, nicht immer geteerte, aber gut ausgeschilderte Feldwege geht’s zur wunderschönen Wassermühle in Laderholz, die von den Dorfbewohnern in jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit restauriert wurde.
Zwischen Äckern, Wiesen und duftenden Rapsfeldern fahre ich weiter zur Weserfähre nach Schweringen – und muss mich zum ersten Mal beeilen: Abends um sechs setzt die Fährfrau zum letzten Mal über. Übernachtet wird dann auf dem Campingplatz „Kellerberg“ in Asendorf, mitten im gefühlten Nichts.
Die Ästhetik der Dauercamper mit ihrem gepflegten Rasen und den Hirschgeweihen am Wohnwagen-Holzvorbau muss man witzig nehmen. Zum Ausgleich verspricht Chefin Ilse Mysegades für zwölf Euro Nienburger Spargel „zum Sattessen“. Serviert werden nacheinander zwei volle Teller, die ich nicht einmal nach 87 Kilometern Radtour leeressen kann.
Über das Weserwehr bei Dörverden, das schon seit mehr als 100 Jahren Ökostrom liefert, sowie das herausgeputzte Verden an der Aller und den Flecken Ottersberg fahre ich in die Gegend, die ich in Niedersachsen neben den Elbauen am meisten mag: Zwischen Bülstedt und Ostereistedt liegt Hepstedt.
In keinem der Dörfer leben mehr als 1.000 Menschen – doch die Landschaft wirkt irgendwie verwunschen, fast verzaubert. Zwar nimmt auch hier die „Vermaisung“ zum Füttern der unersättlichen Biogasanlagen zu, noch aber gibt es viel Grünland, immer wieder Kühe, Pferde, Schafe, dazwischen immer wieder ausgedehnten Wald: Die „Ummel“, in die auch Bremer zum Sonntagsspaziergang fahren, ist so groß, dass man sich darin verlaufen kann und am Ende froh ist, doch wieder eine Straße zu sehen.
Direkt am Waldrand liegt auch der Campingplatz, daneben das Ummelbad, das Mitglieder des Turnvereins MTV Hepstedt vor fast 70 Jahren mit viel Eigeninitiative aushoben und das 2008 von einem Förderverein gerettet wurde. Wer hier weiter in die Pedale treten will, kann sich auf der stillgelegten Bahnstrecke zwischen Wilstedt und Zeven eine Draisine mieten – mir reichen meine 95 Kilometer im Fahrradsattel.
Am Pfingstmontag pendle ich über Zeven, Breddorf, Vollersode und Worpswede zwischen Geest und Teufelsmoor, habe wieder wunderschöne, unverstellte Blicke bis zum Horizont. Zurück geht es dann auf dem Radweg „Jan Reiners“ über Lilienthal nach Bremen.
Die ehemalige Kleinbahnstrecke, die bis 1956 Tarmstedt mit der Großstadt verband, führt direkt in Richtung Hauptbahnhof. Am Abend zeigt der Tacho erstmals mehr als 100 Kilometer Strecke. Meine Beine schmerzen. Ich bin glücklich. ANDREAS WYPUTTA
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