: Neue Träume gegen alte Erinnerungen
KONZEPTFUSSBALL Borussia Mönchengladbach freut sich nach dem 3:0 gegen Leverkusen auf die Champions League – und sorgt sich überraschend wenig um den drohenden Verlust des wieder mal überragenden Max Kruse
AUS MÖNCHENGLADBACH DANIEL THEWELEIT
Die eigene Geschichte umgibt Borussia Mönchengladbach wie ein prachtvoller Überbau süßer Erinnerungen. In den Fluren des Stadions hängen Bilder aus glorreichen Zeiten, in jedem Stadionheft wird an irgendeinen unvergessenen Helden oder einen längst verblassten Erfolg erinnert. Jahrzehnte haben sich die Fans nun mit der Legende von der Fohlen-Elf der 70er Jahre über eine oftmals triste Gegenwart hinweggetröstet, und nach dem 3:0-Sieg über Bayer Leverkusen war die große Vergangenheit erneut sehr präsent. Allerdings nicht mehr als Fluchtort, sondern als Bezugspunkt.
Denn die Borussia wird in der kommenden Saison zum ersten mal seit 1978 wieder am wertvollsten Europapokal teilnehmen, der in den langen Jahren der Gladbacher Abstinenz von Europapokal der Landesmeister in Champions League umgetauft wurde. Davon ist Granit Xhaka überzeugt. „Ich glaube, mein Traum ist heute in Erfüllung gegangen, das wird uns Leverkusen nicht mehr nehmen, wir werden auf jeden Fall in der nächsten Saison Champions League spielen“, sagte der Schweizer. Theoretisch kann der Werksklub von der rechten Rheinseite Gladbach noch überholen, aber daran glaubt angesichts der fünf Punkte Vorsprung niemand mehr.
Längst sind die Gladbacher das beste Team der Rückrunde. „Meinen Vater müsste ich fragen, wann das in Gladbach zum letzten mal so gewesen ist am Ende einer Saison“, spielte auch Max Eberl auf die historische Dimension des Erfolges an. In der nunmehr sechseinhalbjährigen Amtszeit des Sportdirektors hat sich der Klub vom chronischen Abstiegskandidaten in eine stabile Spitzenmannschaft verwandelt. „Es ist wunderschön, dass das, was wir hier aufgebaut haben, solche Blüten treibt“, sagte Eberl, an dessen gelassener Reaktion auf den bevorstehenden Vereinswechsel von Max Kruse sich ganz gut erkennen lässt, wie strapazierfähig die Gladbacher Entwicklung mittlerweile ist. Als die Borussia vor drei Jahren Vierter geworden war und mit Dante, Marco Reus und Roman Neustädter drei wichtige Spieler abgeworben wurden, verfiel der ganze Klub in einen Zustand des Trübsinns. Nun geht Kruse nach Wolfsburg und Christoph Kramer, dessen Leihvertrag mit der Borussia endet, muss zurück nach Leverkusen. Es gäbe also gute Gründe, ein wenig sorgenvoll in die Zukunft zu blicken. Doch Eberl lächelte nur sanft, als er auf den Verlust von Kruse angesprochen wurde und sagte: „Dass die Möglichkeit des Wechsels da ist und der Vollzug wahrscheinlich auch nächste Woche verkündet wird, das ist so“, sagte er. „Aber wie Max sich die letzten vier Wochen, als dieser Wechsel öffentlicher wurde, verhalten hat, das ist herausragend und hoch professionell. Wir können stolz sein, einen richtig guten Jungen bei uns zu haben.“
Kruse schoss – wie in sieben Bundesligapartien zuvor – das wichtige 1:0, und sein brillantes Passspiel im Gladbacher Konterkonzept war ebenfalls zu bewundern. Aber die Substanz im Team bleibt auch ohne ihn und Kramer exzellent, und das Vertrauen ins Transfergeschick der sportlichen Leitung ist groß. „Es ist schade, dass Max wahrscheinlich weggehen wird, aber wir werden uns schon auch noch verstärken“, sagte der ebenfalls brillant spielende Patrick Herrmann.
„Wir haben Geld“
Denn die Gladbacher sind wohlhabend. Wenn die Einnahmen aus der Champions League hinzukommen, sind richtig teure Transfers denkbar. Vermutlich wäre es auch möglich gewesen, Kruse ein ähnlich gutes Angebot vorzulegen wie Wolfsburg, aber das wollte Eberl nicht. „Alle wissen, dass wir Geld haben“, sagte der Sportdirektor, „aber wir werden keine verrückten Dinge machen, bloß weil es vielleicht die Champions League wird.“
Das Gladbacher Konzept sieht vor, dass kein Spieler viel mehr als drei Millionen Euro verdienen soll. Würde Kruse einen deutlichen Aufschlag erhalten, würden Leute wie Xhaka, Herrmann, Tony Jantschke oder Yann Sommer mit recht ähnliche Gehaltsverbesserungen verlangen. Solch eine Dynamik wollen die besonnenen Gladbacher unbedingt vermeiden. Bei der Borussia steht immer noch das Konzept im Vordergrund. Denn mit diesem Konzept haben sie einen Punkt erreicht, an dem neue Bilder entstehen, die vielleicht irgendwann mal die Flure des Borussia-Parks schmücken werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen