: Empathie statt Fußnoten
TAGUNG Der am 18. Mai 2013 verstorbene Journalist, Gesellschaftskritiker und Historiker Ernst Klee wurde am Wochenende in Frankfurt gewürdigt
„Unbeirrbar für die Menschenwürde“. Das war der Titel der sensibel von Ruth Fühner moderierten Gedenktagung. Und es war auch Ernst Klees Arbeitsprogramm – egal ob er journalistisch, gesellschaftskritisch oder historisch arbeitete. Neben rund 30 Büchern hat er zahlreiche Reportagen für Rundfunkanstalten sowie Zeitungen verfasst und Dokumentarfilme gedreht. Die KZ-Überlebende Trude Simonsohn attestierte ihm ein „Kämpferherz“. Das schlug für die Schwachen und die Opfer. Als deren Anwalt war er zu gezielten Regelverletzungen bereit beim aktiven Engagement für Behinderte ebenso wie bei der verbalen Attacke auf Täter und Mittäter. Empathie mit den Opfern war Klee wichtiger als akademisch korrekte Fußnotenrituale.
Der Historiker und Lektor Walter H. Pehle, der als umsichtiger Lektor beim Verlag S. Fischer 35 Jahre lang eng mit Ernst Klee zusammengearbeitet hat, hielt den brillanten Hauptvortrag der Tagung. Der Verlag widmete sich seit den 70er Jahren wie nur wenige Verlage der kritischen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Ernst Klees Bücher spielten dabei seit 1983 eine zentrale Rolle. Da erschien sein Buch zur „Euthanasie“ im Dritten Reich.
Schon die Berufsbezeichnung für den in einem Arbeiterquartier Frankfurts aufgewachsenen Ernst Klee ist nicht einfach. Der Besuch eines Gymnasiums blieb ihm verwehrt. Er absolvierte eine Lehre als Sanitär- und Heizungstechniker und holte danach das Abitur nach. Das Studium von Theologie und Sozialpädagogik brach er ab und wurde Journalist, bewegte sich aber nicht auf der breiten Hauptstraße, sondern recherchierte in den sogenannten Randzonen, in denen die wohlsituierte Gesellschaft Strafgefangene, Penner, Behinderte, psychisch Kranke als „Randständige“ und für die Wohlfahrtsgesellschaft buchstäblich „Unnützliche“ ansiedelt.
Täter beim Namen nennen
Mit seinen Reportagen und Filmen über diese sozialen Milieus verschaffte sich Klee schnell einen Ruf als Pionier. Die beiden Bücher mit dem Titel „Behinderten-Report“ aus den Jahren 1974 und 1976 und sein demonstrativer, politischer Einsatz für die behindertengerechte Gestaltung öffentlicher Räume – damals noch ein exotisches Thema – brachten ihm mediale Präsenz und Anerkennung ein.
Nachdem sich die Probleme Behinderter auch dank Klees Engagement ihren Platz in der öffentlichen Diskussion erobert hatten, wandte er sich einem Thema zu, das ihn nicht mehr losließ: der Rolle der Medizin unter dem Nationalsozialismus. Mit seinem Buch über „Euthanasie“ (1983, Neuausgabe 2010) geriet das Thema „Medizin und Nationalsozialismus“ erstmals ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Klee gab den Opfern ein Gesicht und nannte „Hunderte von Täterinnen und Tätern unverschlüsselt beim Namen“, was ein politisch und juristisch „heißes Thema“ war, wie Pehle auf der Tagung darlegte.
Weitere Bücher und Quellensammlungen zur Euthanasie, zur Haltung der Kirchen, zur Geschichte der Psychiatrie und zu „Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer“ folgten. Der letzte Titel allein wurde 40.000-mal verkauft. Die professorale Zunft der Historiker reagierte gekränkt oder aggressiv-abfällig auf den Erfolg des Außenseiters. International renommierte Historiker wie Hans Mommsen, Richard Evans und Raul Hilberg lobten ihn aber. 1997 endlich wurde Klees Arbeit anerkannt und für seine „bahnbrechenden Forschungen“ mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.
Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer, würdigte Klees Werk als Ansporn für „eine bessere und menschliche Medizin“. Zeitzeugen, Freunde und Weggenossen Klees ergänzten Pehles Vortrag über Klee als engagierten Intellektuellen. Wolfgang Benz würdigte in seinem launig-scharfsinnigen Beitrag die wissenschaftliche Bedeutung von Klees drei Personenlexika, Thomas Beddies porträtierte Klee als Pionier der medizinischen Zeitgeschichte, und Christoph Schneiders instruktiver Beitrag über Klee als sperrigen Dokumentarfilmer rundete die Gedenkveranstaltung ab. RUDOLF WALTHER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen