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Selbstgemachte Träume

KURZFILMTAGE OBERHAUSEN Räume für nichtformiertes Kino sind nötiger denn je. Ohne sie könnte man die tollen Filme von Vipin Vijay oder Wojciech Bakowski nicht sehen

In vielen deutschen Hochschulfilmen ging es erstaunlich oft erstaunlich biedermeierlich zu

VON SILVIA HALLENSLEBEN

Mit den Slogan „abenteuerlicher kaufen“ wirbt die Importhandelsfirma Xenos für ihre Filiale in der Oberhausener Innenstadt. Die Realität ist eher ärmlich. Und weil sich die großen Konsumtempel schon lange in das Mega-Einkaufszentrum Centro außerhalb der Stadt abgesetzt haben, ziehen auf dem „Frühlingsfest“ am 3. Mai alteingesessene und aus aller Welt zugewanderte Familien von Billigladen zu Billigstand. Zugleich hat in den letzten Tagen in der Fußgängerzone auch eine andere, ähnlich bunte Truppe ihr zeitweiliges Domizil gefunden: die Teilnehmer der Oberhausener Kurzfilmtage, die zwischen dem Kino Lichtburg und dem Festivalcafé gegenüber für ein Gespräch oder einen Kaffee pendeln.

Neben dem starken Ausländeranteil sind es vor allem die Schulvorstellungen am Vormittag, die Oberhausener und Festivalgäste verbinden und hoffentlich Wirkung in Sachen Filmbildung zeitigen. Sonst wirken die angereisten Kurzfilm-Aficionados in der Ruhrgebietsstadt eher wie kurzfristig eingefallene Marsianer, die mit ihren Badges und Stoffbeutel behangen auf Ameisenpfaden durch die Stadt ziehen. Auch im Programm haben sich die nun seit fast zwanzig Jahren von Lars Henrik Gass engagiert geleiteten Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen in ihrem 61. Jahr längst von den „Kulturfilm“-Ursprüngen abgesetzt und bedienen mit insgesamt fünf Wettbewerben und einem gewichtigen Rahmenprogramm seit vielen Jahren äußerst erfolgreich den globalisierten Festival- und Kunstzirkus, der mangels adäquater Kinoauswertung neben dem Internet den Kurzfilmmarkt bestimmt.

So sieht man auch einigen der vorgestellten Arbeiten deutlich an, dass sie ohne Umweg übers Publikum gleich für die kuratorische Auswertung produziert sind: Die Rezepte variieren, bevorzugen aber eine Melange aus privaten und politischen Andeutungen und kulturell-regionalen Stereotypen, die mehr oder weniger gekonnt mit medienreflexiven Elementen und Selbstverrätselung gewürzt werden.

Symptomatisch mag dafür der mexikanische Wettbewerbsfilm „Tiempo Aire“ von Bruno Varela stehen, der für sein „audioviduelles Projekt“ familiäre Szenen mit der aus dieser Weltregion erwarteten Mischung aus Gewalt und Festlichkeiten montiert. Die unterlegt er dann mit scheinbar willkürlichen Zahlen und Satzfetzen, die laut Abspann aus den Untertiteln diverser Spielfilme stammen. Dafür gab es den neu gestifteten e-flux-Preis. Ihren Großen Preis gab die Jury dann mit „Glos mojej duszy“ („Klang meiner Seele“) fast selbstkritisch an den polnischen Filmemacher Wojciech Bakowski für eine fast kubistische gebaute, witzige Miniatur, die in ihrem lakonischem Humor auch die medienkünstlerischen Ambitionen, die ein Film wie „Tiempo Aire“ entwickelt, auf die Schippe nimmt.

In den vor allem mit Hochschulfilmen bestückten deutschen Wettbewerben ging es angesichts der Weltläufe erstaunlich oft erstaunlich biedermeierlich zu. Aber nicht immer: So hat es der halbdokumentarisch inszenierte Kurzspielfilm „Wada‘“ des dffb-Studenten Khaled Mzher über einen syrischen Deutschen, der seinen Bruder zur Bestattung nach Deutschland überführen will, als einziger deutscher Beitrag auch in den Internationalen Wettbewerb geschafft. Und die Filmemacherin Alex Gerbaulet gewann mit „Schicht“ den Deutschen Wettbewerb, einem Film, in dem sie etwas überambitioniert die eigene Liebes- und Familiengeschichte mit der der niedersächsischen Atomlagerstätte Schacht Konrad kurzschließt. Für ihren schwülstigen Kommentar erntete sie aber auch Gelächter.

Den richtigen Ton für eine kluge und gewollt amüsante Inszenierung fand dagegen Eva Könnemann in ihrem 29-minütigen, selbstreflexiv erzählten Versuch, in einem vermuteten Niemandsort am Niederrhein einen Film über das Nichts zu drehen. Selbstverständlich geht der Plan daneben, doch die Einsichten, die „Das offenbare Geheimnis“ über die westdeutsche Provinz und das Filmemachen selbst zu bieten hat, sind köstlich.

Sogenannte Profile waren den Filmemachern Erkka Nissinen, William Raban und Takashi Itogewidmet. Auch die Arbeiten des bei uns ganz zu Unrecht fast unbekannten Vipin Vijay aus dem indischen Kerala waren zu sehen. Vijay legt mit seinen Filmen faszinierende „selbstgemachte Träume“ vor, die traditionelle Mythen zur Grundlage eines befreiend offenen filmischen Denkens nehmen. Ein Publikum hat er bisher zu Hause kaum, dafür vor allem auf westlichen Filmfestivals wie Rotterdam – oder eben Oberhausen – gefunden. Das ist bitter, zeigt aber auch, wie wichtig solche lebendigen Exklaven nichtformatierten Kinos sind.

Weniger ergiebig als erhofft war dieses Jahr das sogenannte Themenprogramm, das Björn Speidel kuratierte und das sich der Dreidimensionalität widmete. Ein aktuelles Sujet, das dann aber statt zur erhofften begrifflichen und historischen Tiefe in den karg kommentierten Programmen nur zu einer Leistungsschau aktueller – und oft erschreckend kitschiger – 3-D-Produktionen wurde. Besonders enttäuschend, dass Beziehungen in die Welt jenseits der Kunst – wie Games, Virtual Reality oder Krieg – nicht einmal thematisiert wurden. Da hätte man sich zumindest den Geist von Harun Farocki gewünscht.

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