: Die schottische Hefepaste
LONDON CALLING Die einen lieben ihn, die anderen hassen Alex Salmond. Er selbst und die Buchmacher glauben an seinen Sieg
AUS INVERURIE RALF SOTSCHECK
Dem Applaus nach zu urteilen, hat er die Wahl bereits gewonnen. Als der ehemalige schottische Premierminister Alex Salmond auf dem Marktplatz von Inverurie auftaucht, bleiben die Menschen stehen und klatschen. Seine Partei, die Scottish National Party (SNP), hat auf dem dreieckigen Platz gegenüber dem großen Rathaus von 1862 einen Informationsstand aufgebaut. Die Sonne scheint, es ist für schottische Verhältnisse sehr warm.
Inverurie liegt im Wahlkreis Gordon, wo Salmond für die Unterhauswahlen am 7. Mai kandidiert. Nachdem die SNP das Unabhängigkeitsreferendum im vergangenen September verloren hatte, war er als Premierminister und SNP-Chef zurückgetreten und hatte die Ämter seiner Stellvertreterin Nicola Sturgeon übergeben. Nun ist er wieder da.
Schafe und Erdöl
Gordon ist ländlich, es gibt jede Menge Schafe, aber auch kleinere Städte sowie Vororte der britischen Ölhauptstadt Aberdeen gehören dazu. Der Wahlkreis ist dank des Nordseeöls wohlhabend, es gibt kaum Arbeitslosigkeit. 32 Jahre lang hieß der Abgeordnete Malcolm Bruce, ein Liberaler Demokrat, der sehr beliebt in der Gegend ist. Diesmal kandidiert er nicht mehr.
Seine Parteikollegin Christine Jardine soll ihn beerben. Früher hat sie als Journalistin gearbeitet, dann war sie Beraterin der Regierung in London. Während des Unabhängigkeitsreferendums spielte sie eine prominente Rolle in der Nein-Kampagne. In Gordon stimmten 62 Prozent gegen die Unabhängigkeit von Großbritannien, mehr als in den meisten anderen Landesteilen Schottlands.
Gordon galt stets als sicherer Wahlkreis für die Liberalen. Aber bei dieser Wahl gibt es keine sicheren Wahlkreise mehr für die Partei. Sie hat es sich bei den Wählern verscherzt, weil sie in London mit den konservativen Tories koaliert und deren Politik mitträgt. Außerdem fühlen sich die Schotten, die für die Unabhängigkeit gestimmt haben, betrogen, denn die Regierung hat ihre Versprechen weitgehender Autonomie nicht eingelöst. Deshalb gilt Alex Salmond bei den Buchmachern als Favorit.
„Es besteht die große Chance, dass die SNP zur drittstärksten Kraft im Unterhaus wird“, sagt er. „Weder Labour noch die Tories können eine absolute Mehrheit erreichen, und sie verdienen sie auch nicht. Das lässt jede Menge Raum für einen sehr bedeutenden SNP-Einfluss.“ Was die Mitgliederzahl betrifft, so ist die Schottische Nationalisten-Partei bereits die drittgrößte Partei in Großbritannien. Mehr als 100.000 Menschen sind seit dem verlorenen Referendum beigetreten.
Salmond läuft auf der Grünanlage des Marktplatzes herum und spricht mit den Leuten, die auf dem Gras liegen und die Sonne genießen. Ab und zu hupen vorbeifahrende Autos, die Fahrer geben damit ihre Unterstützung für Salmond kund. Angus Donaldson, ein Maurer von Mitte 50, fragt ihn, was er gegen die Krise der Krankenhäuser und den Mangel an Allgemeinärzten unternehmen werde. Salmond will dafür sorgen, dass Milliarden lockergemacht werden. Sarah McInnes, eine 22-jährige Studentin, spricht ihn auf den sozialen Wohnungsbau an. „Die durchschnittliche Miete für eine kleine Wohnung liegt in Aberdeenshire bei 600 Pfund“, sagt sie. „10.000 Menschen stehen auf der Warteliste für eine Sozialbauwohnung, aber in den vergangenen zwei Jahren wurden nur 71 Häuser gebaut.“ Salmond versichert ihr, sich für eine Besserung einzusetzen.
Nationalisten auf Kurs
Es gibt aber auch Kritik: Die Zentralisierung der Polizei sei ein Fehler gewesen, sagt eine ältere Dame, die weder ihren Namen nennen möchte noch Salmond ihre Stimme verspricht. „Man fühlt sich nicht mehr sicher, seit viele Reviere geschlossen worden sind“, sagt sie.
Das Referendum beschäftigt die Menschen noch immer. Ob es einen neuen Volksentscheid für die Unabhängigkeit geben werde, fragt Mary Cummins, eine Grundschullehrerin. Salmond lässt das offen. Das sei Sache des schottischen Volkes und der Premierministerin Sturgeon. Man müsse ohnehin die schottischen Parlamentswahlen in einem Jahr abwarten, sagt er.
Bei den Unterhauswahlen ist die SNP jedenfalls auf Kurs. Schottland schickt insgesamt 59 Abgeordnete nach London. Bisher entfallen davon 41 auf die sozialistische Labour-Partei, elf auf die Liberalen, einer auf die konservativen Tories und sechs auf die SNP. Das wird sich am 7. Mai gründlich ändern. Labour steht vor einem Debakel. Lord Ashdown, der frühere Tory-Schatzmeister, prophezeit, dass die Labour Party leer ausgehen könnte, selbst Parteichef Jim Murphy werde sein Mandat verlieren.
Strategisch brillant
Ashdown hat sich auf Meinungsumfragen spezialisiert und lag bislang meist richtig. Er ist gewiss kein Freund von Salmond, er bezeichnete dessen Buch über die Referendumskampagne als „längste Übung in literarischer Masturbation, seit die Politik begann“. Aber er rechnet damit, dass die SNP bis zu 56 Sitze gewinnt, und einer davon werde an Salmond gehen.
Auch wenn er nicht mehr Parteichef ist – Salmond ist die SNP. Er ist klug, schlitzohrig, ein großartiger Redner und strategisch brillant, sagen selbst seine Gegner. Er wurde an der Eliteuniversität St. Andrews ausgebildet, arbeitete danach für eine Bank als Experte in Ölgeschäften und gewann 1987 das Direktmandat in seinem Wahlkreis.
Drei Jahre später wurde Salmond Parteichef. Nach internen Führungskämpfen trat er 2000 ab, doch vier Jahre später holte man ihn zurück, weil sein Nachfolger John Swinney selbst im besten Schottenrock wie ein blasser Bürokrat wirkte. 2007 wurde die SNP stärkste Kraft im schottischen Parlament von Edinburgh, Salmond wurde Erster Minister. Vier Jahre später reichte es zur absoluten Mehrheit.
Salmond malt ein Szenario für die Zeit nach der Wahl. Es werde eine Pattsituation geben, und David Cameron werde vorerst Premierminister bleiben, wenn die Tories stärkste Partei werden, sagt er. „Aber sie müssten sehr schnell die Vertrauensfrage stellen, und wir werden dagegen stimmen. Wenn die Labour Party das auch tut, ist Cameron weg. Dann sind laut Gesetz zwei Wochen Zeit, um eine neue Regierung zu bilden.“ Labourchef David Miliband hat eine Koalition mit der SNP ausgeschlossen, nicht aber eine Kooperation bei Abstimmungen.
Cameron und seine Tories, die vor dem Referendum noch Liebesbriefe an die Schotten geschickt haben, warnen deshalb vor der „schottischen Gefahr“. „Der karierte Schwanz wird mit dem roten Hund wedeln“, mahnt Cameron und meint damit, dass die SNP den Kurs einer Labour-Regierung bestimmen könnte. Schottlands Premierministerin Nicola Sturgeon scheint das zu bestätigen. „Bei einer Minderheitsregierung hätten wir die Möglichkeit, die Richtung einer Regierung zu ändern, ohne sie zu Fall zu bringen“, sagt sie. Sturgeon ist inzwischen in Inverurie eingetroffen, als Parteivorsitzende und Regierungschefin will sie Salmond im Wahlkampf unterstützen. Er wirkt aber keineswegs, als ob er Unterstützung nötig habe.
Sturgeon begleitet Salmond auf dem Rundgang durch den Park. Er nimmt die Gelegenheit wahr, sich mit kleinen Kindern und Hunden fotografieren zu lassen. Ein junger Mann trägt ein Che-Guevara-T-Shirt, das Gesicht ist durch Salmonds ersetzt. Der ist entzückt: „Kann man das kaufen?“
Schottisches Getue
Die Leute schwenken schottische Papierfähnchen, die am SNP-Stand verteilt werden. „Die SNP denkt, die Andreaskreuzfahne und das Schottenkaro gehören ihnen, aber wir sind genau so schottisch wie sie“, sagt Jardine, die Kandidatin der Liberalen in der Region. „Das Getue geht den Menschen auf die Nerven. Schottland ist doch schon weitgehend autonom.“ In den nächsten 10 bis 15 Jahren werde auch England Regionalparlamente bekommen, glaubt sie. „Zuerst Cornwall, dann der Norden. Dann haben wir ein föderales System, das die Liberalen seit jeher befürworten.“ Während draußen die SNP den Marktplatz beherrscht, sitzt Jardine nebenan in Mitchells Dairy, einem Lebensmittelladen mit Café, am Resopaltisch beim Lunch.
Salmond sei ein „Marmite-Politiker“. Marmite ist eine Hefepaste, die manche Leute wie Nusscreme auf Brot essen. „Man liebt sie, oder man hasst sie“, sagt Jardine. „Und es gibt eine Menge Leute in diesem Wahlkreis, die ihn hassen.“ Sie hofft auf das taktische Wahlverhalten der Wähler. Labour und Tories haben ihre Anhänger in Gordon aufgerufen, Jardine zu wählen, weil ihre eigenen Kandidaten in dem Wahlkreis keine Chance haben. Labour hat den 23-jährigen Braden Davy aufgestellt, der betont, dass er schon Hamburger in einer Imbissbude gewendet habe. Für die Tories kandidiert Colin Clark, ein reicher Geschäftsmann, der damit angibt, wie erfolgreich er ist. Und die Kandidatin der rechten United Kingdom Independence Party (Ukip), Emily Santos, eine junge Krankenschwester, hat sich bislang nicht in der Öffentlichkeit blicken lassen. Ukip bekommt in Schottland kein Bein auf die Erde.
Jardine rechnet fest mit den Stimmen der Anhänger der anderen Parteien. Es sei die einzige Möglichkeit, Salmond zu stoppen. „Wenn ich von Haustür zu Haustür gehe, sagen mir die Menschen oft, dass sie noch nie die Liberalen gewählt haben, aber es diesmal tun werden“, sagt Jardine.
Taktik zählt nicht
Salmond macht sich deshalb keine Sorgen. „Keine erfolgreiche Kampagne verlässt sich auf taktisches Wahlverhalten als Modus Operandi“, sagt er. „Du musst etwas vorweisen, für das man stimmen kann. Der größte Fehler in der Politik ist es zu glauben, dass andere Menschen so denken wie du.“ Salmond will sein Mandat im schottischen Parlament niederlegen, falls er gewählt wird.
Jardine glaubt nicht, dass es dazu kommen wird. „Ich bin ja nicht die Herausforderin“, sagt sie. „Dieser Sitz ist seit 32 Jahren in der Hand der Liberalen Demokraten, und so wird es auch bleiben.“ Salmond müsse erst mal die Mehrheit von 7.000 Stimmen für die Liberalen bei den letzten Wahlen aufholen, fügt sie hinzu. Schafft er das? Salmond ist verblüfft über die Frage. „Ja, natürlich“, sagt er energisch. „Ich liege laut Umfragen bei 55 Prozent.“
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