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Hasselblad und iPhone

BLITZ Am Wochenende wurden die Gewinner des World Press Photo Award in Amsterdam gewürdigt. Mads Nissen, ausgezeichnet für das „Foto des Jahres“, und Darcy Padilla in der neuen Kategorie „Langzeitprojekt“ stehen für einen neuen Typus von Fotografen

„Ich wurde die Person, die Julie am längsten kannte“

DARCY PADILLA ÜBER DIE PROTAGONISTIN IHRER LANGZEITBEOBACHTUNG, EINE AIDSKRANKE MUTTER

VON GUNDA SCHWANTJE

In der professionellen Fotografie hat sich in den vergangenen Jahren ein neuer Typ Fotojournalist herauskristallisiert. Der Däne Mads Nissen, diesjähriger Gewinner des Fotos des Jahres im internationalen Wettstreit von World Press Photo, ist einer davon. „Wir nutzen alles, was wir zur Verfügung haben, um visuelle Geschichten zu erzählen: iPhones, traditionelle Hasselblad-Kameras, Video, Audio. Wir recherchieren unsere Themen selber, schreiben selbst und wir fotografieren, in Schwarz-Weiß oder in Farbe.“ Fotografen wie Nissen arbeiten immer öfter auch in eigenem Auftrag.

Mads Nissen wurde wie die anderen Gewinner am vergangenen Wochenende bei den World Press Award Days in Amsterdam gefeiert. Er erhielt die Auszeichnung für das Foto eines homosexuellen Paares beim Liebesspiel in Sankt Petersburg. Ein intimer Moment. Er ging um die Welt. Seine Arbeit zum Thema Homosexualität in Russland wurde, wie so oft, erzählt Nissen, inspiriert durch persönliches Interesse. Als er im Sommer 2013 die „Gay Pride“ in Sankt Petersburg fotografierte, wurde er Zeuge eines Übergriffs. Ein Homophober schlug einem jungen Schwulen unvermittelt mit der Faust brutal ins Gesicht. Nissen beschloss, sich weiter in das Leben und die Situation von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen in Russland zu vertiefen, in alle Facetten: Diskriminierung, Hetze, Gewalt zu fotografieren, aber auch und vor allem die Liebe.

Nissens Bilder sind voller Empathie. Er bemüht sich, eine Person, eine Lebenslage von innen heraus und intuitiv zu begreifen, erzählt er. „Ich versuche aufzunehmen, wie sich ein Mensch fühlt, und diese Emotion mittels Fotografie zu transportieren. Ich probiere, meine ‚Leser‘ dichter an das heranzuführen, was sich vor meiner Kamera abspielt, also eine emotionale Brücke zu bauen zwischen den Menschen, die ich fotografiere, und denjenigen, die meine Bilder sehen.“

Sieben Jahre an einem Projekt

Der 36-Jährige lebt mit seiner Gefährtin und Sohn in Kopenhagen. Er arbeitet für die dänische Zeitung Politiken und veröffentlicht in internationalen Magazinen. Er hat viel Erfahrung mit längeren Projekten. Sieben Jahre lang hat er am Buch „Amazonas“ gearbeitet. „Ich habe mir die Zeit gelassen, die ich brauchte, und das Buch genau so gemacht, wie ich es haben wollte“, berichtet er. „Der Amazonas hat so viele Widersprüche.“ Dies sind nun deutlich sichtbar in dieser Arbeit.

„Durch das Internet erhalten wir eine Flut an Informationen“, so Nissen, „Menschen bleiben irritiert zurück. Nicht mehr Informationen, sondern bessere Informationen sind von Nöten, nicht intellektuell tiefgreifendere, sondern emotional tiefgreifendere Geschichten. In vielen Arbeiten spüre ich einen Mangel an Verbindung. Menschen sehen eine Fotografie, lesen einen Artikel, aber sie fühlen nichts.“

Vom Mehrwert lang andauernder, ausgearbeiteter Geschichten: World Press Photo hat wieder auf die aktuellen Veränderungen im Fotojournalismus und der Dokumentarfotografie reagiert und erstmals die Kategorie „Langzeitprojekte“ aufgenommen. Hier werden Arbeiten prämiert, die mindestens drei Jahre gedauert haben und veröffentlicht sind. Häufig geschieht dies in Form eines Buches. Fotobücher sind populär. Den ersten Preis in dieser Kategorie hat die US-Amerikanerin Darcy Padilla gewonnen. In „Family Love“ dokumentierte Padilla den Lebensweg von Julie Baird – 18 Jahre lang, bis Baird starb. Die an Aids erkrankte Frau und Mutter von sechs Kindern fristete ein chaotisches Dasein, in großer Armut, zunächst in San Francisco, später in Alaska, am untersten Rand der Gesellschaft. Bairds Geschichte ist unvollendet, denn Padilla fotografiert die Familie weiter. Sie traf die Protagonistin 1992 in einem Hotel, in dem Aidskranke wohnten. Dort erschien sie, mit ihrem ersten, gerade geborenen Baby und dem damaligen Gefährten. Padilla fotografierte dort eine Langzeitstudie zu Aids.

Padilla wollte wissen, wie ist es, arm zu sein. Sie wollte zeigen, wie „ungeheuer komplex das Leben so einer Julie ist“. Es gehe ja nicht nur um Geld, um Bildung. Es geht um Menschen, die Depressionen haben, um sexuellen Missbrauch in Familien, um Gewalt, Drogen, Alkohol, Sucht. „Ich wurde die Person, die Julie am längsten kannte. Julies Geschichte ist öffentlich, vor allem aber ist ‚Family Love‘ ein Dokument für Julies Kinder. Sie sollten wissen, was geschehen ist“, erzählt Darcy Padilla. „Sie sollten wissen, dass Julie ihre Kinder geliebt hat und sie aufgab, weil es besser für die Kinder war und auch für Julie selbst.“ Nur das jüngste Kind hat sie behalten. Julies Erstgeborene fand Padillas Geschichte online im Internet und meldete sich daraufhin bei der Fotografin.

Darcy Padilla hat viele Reaktionen erhalten von Menschen rund um den Globus, berichtet sie. Und genau das wünschen sich Fotojournalisten: Diskussionen, Veränderung zu beflügeln.

■ Alle Preisträger sind zu sehen unter www.worldpressphoto.org

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