: Schlafende Schönheit
BÖTZOW-BRAUEREI Es gibt große Pläne für die alten Gemäuer: Sie sollen zum „Ereignisort für Kunst und Kulinarik“ werden. Bars und Restaurants gibt es schon – doch das 30.000 Quadratmeter große Areal bietet Platz für mehr
VON MAJA BECKERS
Zwei Krokodile sollen der Legende nach durch die Kellergewölbe der Bötzow-Brauerei in Prenzlauer Berg geschwommen sein. Bierbrauer Julius Bötzow soll sie im Zweiten Weltkrieg aus dem Zoo-Aquarium gerettet und in seinem Gärbecken ausgesetzt haben. Nach diesen Tieren ist Le Croco Bleu benannt, die Bar im ehemaligen Kühlraum der Bötzow-Brauerei. Im Schummerlicht werden hier zwischen Rohren und Kesseln neue Cocktail-Kreationen gemixt, als regelrechtes „Bar-Labor“ bezeichnet es Barchef Michael Hanke. Ein ausgestopftes Krokodil schaut ihm beim Herumprobieren zu.
Das Croco Bleu ist eines der vielen Projekte, die auf dem Gelände der Bötzow-Brauerei angesiedelt wurden und noch werden. Das über 30.000 Quadratmeter große Areal an der Prenzlauer Allee kennen bislang nicht sehr viele, aber diese „sleeping beauty“, wie der für die Gestaltung mitverantwortliche Kreativdirektor Sebastian Peichl das Gelände nennt, soll zum „Ereignisort für Kunst und Kulinarik“ werden. Die Bild-Zeitung freute sich schon auf „Berlins coolsten Freizeitpark“.
Peichl ist Kreativdirektor von Hans Georg Näder, einem Unternehmer und Multimillionär, der das gesamte Gelände 2010 gekauft hat und seitdem Pläne schmiedet, was mit dem Areal passieren soll.
Neben dem Croco Bleu gibt es bereits das Soupe Populaire, ein Restaurant, in dem Sternekoch Tim Raue neben typischer Berliner Küche auch wechselnde Menüs anbietet, die thematisch zur den jeweiligen Kunstausstellungen in der Bötzow-Brauerei passen. Zurzeit sind das Fotos von Andreas Gursky aus seiner „Bangkok“-Serie von 2011. Auch vom Restaurant aus im offenen ersten Stock sind sie zu sehen.
Bis zum Jahr 2019 sollen zum bereits Bestehenden ein Schwimmbad, eine Brauerei plus Biergarten, ein Hotel, ein Thinktank für Medizintechnik, Lebensmittel-Manufakturen und manches mehr dazukommen – vieles davon mit zumindest losem Anschluss an die Geschichte der Brauerei.
Die begann im 19. Jahrhundert, als der Brauer Julius Bötzow auf den Windmühlenberg kam, wie der damals noch vor den Toren Berlins liegende Prenzlauer Berg hieß – auf der Suche nach einem Kühlkeller für seine 1864 eröffnete Brauerei in der Alten Schönhauser Straße. Denn der sandige Boden innerhalb Berlins eignete sich dafür nicht. Bötzow ließ einen 5.000 Quadratmeter großen Gewölbekeller in den Stein hauen, und der angeschlossene Kellereiausschank entwickelte sich bald zu einem riesigen Biergarten mit Platz für 6.000 Gäste. Schließlich baute Bötzow hier die größte seiner Brauereien, die sein Enkel Julius Bötzow dann 1885 eröffnete und von da an leitete.
Ungewöhnlich war: Julius Bötzow lebte auch auf dem Gelände. Wohlhabende wohnten damals in Wannsee oder Grunewald, aber Bötzow war wohl ein Patriarch, der immer alles im Auge haben musste. Deshalb stand er, wann immer es ging, auf dem Balkon seiner Villa und zählte die Bierfässer, die auf Kutschen das Gelände verließen. So erzählt es zumindest eine Ausstellung zur Geschichte der Brauerei auf dem Hof des Geländes.
Außerdem ließ Bötzow sich ein Schwimmbad auf dem Gelände bauen. Die Villa ist zwar zerstört – aber spätestens 2019 soll hier eben wieder ein Schwimmbad zu finden sein. Und auch ein Biergarten und eine kleine Brauerei. Letztere kommt von etwas weiter weg: nämlich die Brooklyn Brewery, die Hans Georg Näder bei einem New York-Besuch kennengelernt hatte.
Außerdem: Kunst. Die Gursky-Ausstellung hat der Bötzow-Brauerei bereits einiges an Aufmerksamkeit beschert. Doch das soll nicht das Konzept sein, versichert Susanne Grieshaber, Kuratorin auf Bötzow. Stattdessen werden eher unbekannte Künstler gezeigt, nur ab und zu ist mal auch ein berühmter dabei. Dabei wird dann Wert darauf gelegt zu zeigen: „Auch ein Gursky kommt nicht aus dem Nichts“, so Grieshaber. Deshalb sind parallel Arbeiten von Vorläufern ausgestellt, die diesen Stil der subjektiven Fotografie geprägt haben.
Alle Kunstwerke, die auf Bötzow zu sehen sind, stammen aus der umfassenden Sammlung von Hans Georg Näder. Der neue Besitzer der Bötzow-Brauerei ist ein, wie sein Kreativchef Peichl sagt, „typischer deutscher hidden champion“. Seine Medizintechnik-Firma Ottobock ist Weltmarktführer in Sachen Prothesen. Und dennoch ist Näder als Person wenig bekannt.
Selbst wolle er sich nicht als Investor sehen, sondern als Gestalter eines öffentlichen Raumes, zu dem er inhaltlich etwas beisteuere. Näder wolle unbedingt „die DNA des Gebäudes erhalten“, erklärt Peichl, er habe etwa vom Bau von Lofts Abstand genommen, nachdem die Interessenten zu viele Änderungen am Gebäude gefordert hätten. Es klingt ein bisschen wie vorauseilende Rechtfertigung: bloß nicht der rücksichtslose Investor sein.
Dabei gibt es bis jetzt gar keinen Gegenwind. Bei der Kiezzeitung Prenzlauer Berg Nachrichten ist man der Meinung, die meisten seien einfach froh, dass endlich etwas passiere auf dem Grundstück. Zwar gab es auf der Brache seit 2001 mit dem Deep Club eine bekannte Party-Adresse, und die Berliner-Unterwelten-Touren liefen manchmal durch die Keller. Ansonsten aber tat sich nicht viel.
Trotzdem gibt man sich vorbeugend volksnah, die Ausstellungen sind gratis, und das Restaurant von Tim Raue – Soupe Populaire – ist übersetzt eben eine „Volksküche“. Und der kommt man mit Gerichten zwischen 10 und 20 Euro womöglich so nahe, wie es für eine Sterneküche eben geht.
Raue selbst sagt: „Hier werden die Leute schon nach drei Gängen satt.“ In seinen anderen Restaurants dauert das länger. „Im Soupe Populaire sind die Portionen größer. Es geht hier nicht um Höchstleistung in der Küche, sondern darum, einer möglichst breiten Menge den Zugang zu diesem Areal und zu diesem guten Essen zu ermöglichen. Deshalb kalkulieren wir extrem freundlich. Allein mit diesem Restaurant könnte man nicht reich werden.“ Etwa 500 Gäste kommen in einer Woche.
In die Kellergewölbe sollen Lebensmittel-Manufakturen ziehen – so soll ein Markt zum Essen und Kaufen entstehen. Auch dabei zieht Peichl Vorbilder heran, die nicht unbedingt den Eindruck von überteuertem Luxus erzeugen – gern nennt er die Markthalle Neun in Kreuzberg.
Aber Näder hat auch noch andere Interessen: neben dem Freizeitvergnügen soll auf Bötzow 2016 eine Kreativfabrik, das „Future Lab“, für seine Firma Ottobock öffnen. Man sehe das kreative Potenzial in Berlin, sagt Peichl. Am Schornstein der Brauerei steht hoch oben in leuchtenden Buchstaben „Futuring“ – „ein Kunstwort vom Künstlerpaar Eva und Adele“, sagt Peichl, „und unser Motto hier.“
Die Zukunft des gepflegten Trinkens wird derweil schon im „Bar-Labor“ erforscht. Zwischen den Rohren ranken sich dunkle Pflanzen und schwach beleuchtete Kirschblüten, eine Atmosphäre zwischen Brüder Grimm und der Kunst von Damien Hirst. Die Kessel wirken nicht mehr wie etwas, das jemals in Gebrauch war, sondern eher wie Readymades. Das alte Bierfass bietet nur noch die Form, heraus fließt ein Orangenlikör.
■ Die Gursky-Ausstellung im Atelierhaus auf Bötzow ist bis 12. Januar zu sehen Do.–So. 12–18 Uhr boetzowberlin.de
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