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Der DDR-Versteher

Für Lothar Peter war die Deutsche Demokratische Republik ein Vorbild. Bis heute sieht er das so und kritisiert ihre einseitige Bewertung als Unrechtsstaat. Der emeritierte Soziologieprofessor aus Bremen wirkt wie ein Gefangener der Vergangenheit

An die Wende erinnert er sich und spricht über „die mit Sekt vollgelaufenen Leute an der Mauer“

AUS BREMEN CHRISTIAN JAKOB

Es ist der Tag der Deutschen Einheit, und alles strahlt. „Wünsche und Hoffnungen haben sich erfüllt“, sagt Angela Merkel (CDU), die erste ostdeutsche Kanzlerin, beim Staatsakt in Hannover. „Städte, die grau und kaputt waren, wurden bunt.“ Wer durch Ostdeutschland gehe, „sieht, wie unendlich viel seit 1990 geleistet wurde“.

Lothar Peter bewertet das natürlich anders. Die Abwicklung der DDR sei geprägt von „Abrechnung, Ressentiments und intellektuellen Vernichtungsfantasien“, sagt der Mann mit dem Schnurrbart und dem freundlichen Lächeln. Während Merkel spricht, steht er in seiner Küche im Dachgeschoss eines Hauses im Bremer Stadtteil Schwachhausen. Er nimmt eine Teekanne, gießt zwei Tassen ein und setzt sich in einen Sessel vor dem Fenster, sodass die Oktobersonne ihm direkt ins Gesicht scheint. Der „Triumphalismus“ des Westens befremde ihn, das war schon damals so, sagt er und spricht über „die mit Sekt vollgelaufenen Leute an der Mauer“.

Peter, 72 Jahre alt, emeritierter Soziologieprofessor, war einer der wichtigsten Forscher aus den Reihen der kommunistischen DKP. Er trägt Jeans und Pullover, die Wohnung ist klein, ebenso das Bücherregal, nicht so überladen, wie sonst üblich bei Intellektuellen. Als wolle er allen Anschein von Dünkel vermeiden.

„Die DDR gilt heute durch und durch als Unrechtsstaat. Als wäre nichts an ihr gut gewesen, als gäbe es nichts an ihr, was sich gelohnt hätte“, sagt er.

Peter arbeitete eng zusammen mit dem DKP-nahen Institut für Marxistische Studien in Frankfurt, das die SED finanzierte. Er stritt im Westen für die Politik des Ostens. Das Verhältnis zur DDR prägte sein Leben. Lange war sie für ihn der „unbedingt zu schützende“, ja vielleicht teils schon geglückte Versuch, ein besseres Deutschland zu schaffen. Bis zum Ende hielt er ihr die Treue.

25 Jahre später holt er in seiner Wohnung aus, erzählt von der jungen BRD, seiner Oberschule, an der alte Nazis ohne eine Spur schlechten Gewissens an der Tafel stehen. Von seiner Uni in Marburg, an der nach 1945 der einstige „Gaudozentenführer“ wieder Professor wird und der an Todesurteilen beteiligte Ex-NS-Richter Erich Schwinge den Lehrstuhl für Strafrecht bekommt.

„Damit aufzuräumen hatte für mich hohen Stellenwert“, sagt Peter. So, wie es sich die DDR auf die Fahne schrieb. Doch tatsächlich machten auch dort ehemalige Nationalsozialisten Karriere.

1965 geht Peter zum Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Die Marburger Gruppe besteht vor allem aus Schülern des Marxisten Wolfgang Abendroth. „Der konnte nur strukturell hassen, niemals persönlich“, sagt er. Auch nicht die Nazis, die ihn verfolgt hatten. „Wer nicht vom Kapitalismus reden will, der soll vom Faschismus schweigen“ – Abendroth schärft den Studenten das Horkheimer-Zitat ein, beschwört die Bedeutung der Arbeiterklasse. „Das hat uns tief geprägt“, sagt Peter. Er sucht Kontakt zu den Gewerkschaften, gibt Seminare für die ÖTV und wendet sich der DKP zu.

Einem Apparat, hierarchisch, dogmatisch, streng an Marx orientiert. Die Profitrate, um den Kapitalismus zu erklären, die Partei, um die Bourgeoisie zu entmachten. Wie die DDR. Für Peter war das der richtige Weg.

Seine Reisen in den Osten überzeugten ihn immer wieder. Kultur, Bildung Sozialpolitik – „alles war egalitär“, sagt Peter. „Wenn Frauen schwanger aus dem Betrieb rausgingen, hatten sie die Garantie, mit derselben Qualifikation wieder reinzukommen.“ Im Westen empörte man sich, dass die DDR Kinder aus dem Bürgertum nicht studieren ließ, Peter dachte: „Die haben’s nötig. Hier bei uns werden Arbeiterkinder systematisch von den Unis ferngehalten.“

Die Repression der DDR sei überbewertet

Über 160 Hinrichtungen, die politischen Gefangenen in Bautzen, die konspirative „Zersetzung“ Oppositioneller, der allgegenwärtige Spitzelstaat, die Verfolgung von Hippies – die DDR war ein Staat voller Repression. Ihren dunklen Seiten aber, so ist Peter überzeugt, habe er „nicht das Gewicht verliehen, das ihnen im Westen allgemein verliehen wurde“.

Er sah die Verantwortung vor allem diesseits der Grenze. Die Stasi, davon war er damals überzeugt, sei „notwendiges Instrument zur Sicherung der DDR“. Die Mauer eine „bedauerliche Folge der Spaltungspolitik des Westens“, der den SED-Staat niederkonkurrieren wollte. „Wer glaubte, dass die DDR eine überlegene Entwicklungsperspektive hatte, der durfte sich nicht um die Voraussetzungen drücken, diese Perspektive zu bewahren.“ Und die mehreren Hundert Menschen, die an der DDR-Grenze getötet wurden? „Das war tragisch“, sagt Peter. Er habe immer gehofft, dass die Mauer eine „transitorische Erscheinung“ sei, „bis sich die DDR stabilisiert. Ich war nicht blind, aber das, was mies war, habe ich für korrigierbar gehalten.“

Ganz anders als die Antiautoritären von 1968 oder die spätere Alternativbewegung – West-Linke, die nicht viel hielten vom real existierenden Sozialismus. „Die wollten nur die Individuen emanzipieren, die Tradition der Arbeiterbewegung hielten sie für Ballast.“ Ihre Alternativbetriebe waren für Peter „Utopismus“. Ernst zu machen mit Enteignung, die Widersprüche aushalten – dafür waren sie sich zu fein, so sah Peter das. „Eine letztlich bürgerliche Truppe, aus der dann ja auch die Grünen hervorgingen.“

Als 1977 „Die Alternative“ von Rudolf Bahro erschien, dem wohl bekanntesten linken DDR-Kritiker, kam der Autor ins Gefängnis, und Peter organisierte an der Uni in Bremen, wo er vier Jahre zuvor Professor für Industriesoziologie geworden war, eine Veranstaltung gegen Bahros Thesen. „In der nichtkommunistischen Linken war das Buch ein Hype. Wir wollten die Leute daran hindern, auf diesen Hype abzufahren.“ Bahros Inhaftierung verteidigte er nicht, das Buch zerpflückte er. Bald darauf verhängte Polen das Kriegsrecht, um die oppositionelle Gewerkschaft Solidarnosc zu zerschlagen. Peter rechtfertigte das auf einer Veranstaltung öffentlich. „Im Sozialismus können Krisensituationen entstehen, in denen der Einsatz staatlicher Machtmittel gerechtfertigt ist“, sagte er. „Du Verbrecher“, schrien die Zuhörer.

Auf die Spontis gab Peter nichts, auf den etablierten Wissenschaftsbetrieb auch nicht. Zu bürgerlich. Er habe sich selbst kulturell abgeschottet, sagt Peter heute. „Ein wenig so, wie die DDR.“ Seine marxistischen Forschungen wurden von Wissenschaftsbetrieb nicht ernst genommen. Ganz kalt ließ Peter das nicht.

Das Ende der DDR ändert auch Peters Leben. „1989 schaute die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung binnen Kurzem nur noch nach Westen – wenn auch voller Illusionen“, sagt Peter. Die Arbeiterklasse, weiter Fixpunkt seines Denken, wendet sich endgültig von der DDR ab. „Das System hatte dadurch für mich keine Legitimation mehr.“ Der Arbeiter-und-Bauern-Staat zerfällt, seine Anhänger im Westen verstreuen sich. „DKP-Professoren an der Uni, die stramm für die DDR eingetreten sind, haben fünf Minuten später behauptet, sie hätten schon immer gewusst, dass das alles problematisch war“, sagt Peter. Zu denen gehört er nicht.

1992 ehrt ihn der etablierte Wissenschaftsbetrieb dann doch: Peter wird Träger des Fritz-Thyssen-Preises für die „besten sozialwissenschaftlichen Zeitschriftenbeiträge in deutscher Sprache“. Er hatte über die DDR-Soziologie geschrieben.

Später sieht er bestätigt, was er 1989 befürchtete. „Hartz IV hätten die sich vor der Wende nicht getraut.“ Er sucht eine neue politische Heimat, versucht es mit der WASG, der Linkspartei. Doch dort gibt es „die alten Auseinandersetzungen mit den Trotzkisten. Das brauchte ich nicht noch einmal.“ Als Aktivisten aus der autonomen Szene die Deutsche Bank in Bremen besetzen, um gegen deren Nahrungsmittelspekulationen zu protestieren, besucht er sie. Es geht undogmatisch, hierarchiefrei zu, meint er. Antiautoritär. Genau wie auf den Demos der Occupy-Bewegung, zu denen er geht. Peter gefällt es. „Das würde ich wieder machen, wenn es gesundheitlich geht.“

Der sogenannte Westen blieb Peter bis heute suspekt. Im Osten, über den er intensiv forschte, sah er hingegen stets das Gute. Die Implosion der DDR, sagt er dann, sei „natürlich auch von außen kräftig gefördert worden“. Aber das habe sie nicht zerstört. „Sie hat sich von Anfang an gegen alle anderen kulturellen Einflüsse abgeschottet.“

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