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Die entscheidenden Fragen

Die Rosa-Luxemburg-Konferenz lockt 2.000 Besucher in die Urania. Dort wird darüber debattiert, ob neben der Linken eine marxistische Partei notwendig sei. Manche halten beide für überflüssig

VON HELMUT HÖGE

Der Gang ans Grab von Karl und Rosa ist nicht die einzige Traditionsveranstaltung am Luxemburg-Liebknecht-Wochenende. Auch die von der jungen Welt organisierte Rosa-Luxemburg-Konferenz gehört längst zum Standardprogramm. Sie ist dem Bolschewismus verbunden und wird von den meist ergrauten (Ost-)Aktivisten der Linken, von DKP und Trotzkisten dominiert. Dazu gehört, dass die jW sich noch immer für staatssozialistische Führer wie Milošević, Lukaschenko, Castro, Chávez etc. ins Zeug legt – was seit der globalen Deutungshoheit des Westens per se widerständig ist.

Zwar öffnet sich die Konferenz, die diesmal in der Westberliner Urania von rund 2.000 Leuten besucht wurde, immer mehr für Jüngere und Unbedarftere, aber die meisten Referenten sind nach wie vor akademisch und politisch geschulte Kader. Weil sich seit der Wende die USA vornehmlich in Asien verausgaben und ihren „Hinterhof“ vernachlässigen, hat der Staatssozialismus in Lateinamerika erneut Konjunktur – diesmal unter Einbeziehung der Indigenen. Deshalb kamen auch diesmal von dort wieder die meisten Redner. Sie diskutierten über die dortigen traditionellen linken Medien und ihre Funktion im Kampf gegen den Neoliberalismus. Auch der Herausgeber von Le Monde diplomatique und Attac-Initiator Ignacio Ramonet gab seinen Senf dazu. Von den führenden EU-Kommunisten hatte man die griechische KP-Vorsitzende eingeladen, deren Partei angeblich besonders gut in ihren Massen verankert ist. Eine Trotzkistin warf der Rednerin jedoch vor, die Minderheiten im Land zu vernachlässigen.

Höhepunkt der Konferenz war indes wie immer die Perspektivdiskussion. Sarah Wagenknecht (kommunistische Plattform/Die Linke), Hans-Heinz Holz (DKP), Helmut Laakmann (Sprecher im Arbeiterkampf bei Krupp-Rheinhausen) und Markus Mohr (Westberliner Autonomer) äußerten sich zu der Frage: „Brauchen wir neben der Linken eine marxistische Partei?“ Während Laakmann und Mohr, die Bewegungsaktivisten aus dem Westen, beides für eher überflüssig hielten, warben die Ostkommunisten Holz und Wagenknecht für ihre Organisationen, wobei sie sich einig waren: „Ohne Theorie keine Praxis.“ Der Marxist Holz bestand auf der alten Begrifflichkeit, „Proletariat“, „Klassenkampf“ etc., während die EU-Politikerin Wagenknecht lieber den ungeschulten Massen verständlich bleiben wollte.

Irritierenderweise kam es nicht zur Debatte darüber, ob die aus der Fernlenkwaffenforschung des Zweiten Weltkriegs hervorgegangene „Elektronische (Dritte) Revolution“, die eine Abkopplung des Finanzkapitals von der Produktion einleitete und diese in Billiglohnländer verschob, eine Veränderung in der Klassenstruktur nach sich zog. Anders gefragt: ob das hiesige Proletariat beziehungsweise die letzten Reste davon, nicht heute ebenso seinen Wanst ständig in Schusshöhe trägt wie die Bourgeoisie oder das, was sich für die neue EU-Elite hält, die sich 1989/90 nicht traute, über den Staatssozialismus hinauszugehen, sondern es vorzog, privatkapitalistisch wieder hinter ihn zurückzufallen. Für die bewegungsorientierten Westaktionisten Laakmann und Mohr stellte sich diese Frage überhaupt nicht.

Mohr war bemerkenswerterweise der Einzige, der in seiner Vita für die Pressemappe nicht spießige Meriten wie Hochschulabschlüsse, Publikationen oder Verantwortungspositionen aufzählte, sondern das Vermeiden derselben. Dass er sich dennoch erdreistete, den respektablen DKPisten Holz anzugreifen, quittierte das wenig bis gar nicht antiautoritäre Publikum damit, dass es ihn niederbuhte.

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