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Sex und Seekrankheit

Wo sonst nichts ist, zeugen Japaner Nordlicht-Babys, buddeln Reisende Steine aus dem Schnee – Reise von Oslo nach Bodö via Lofoten und Nordkap

HURTIGRUTEN

In den besonders Nordlicht-schwangeren Zeiten (die sind angeblich von Ende Oktober bis Mitte Dezember sowie von Ende Februar bis Anfang April, jedoch herrscht darüber keine Einigkeit) veranstalten die norwegische Postschifffahrtsgesellschaft Hurtigruten elftägige Themenreisen „Nordlicht und Sterne“ (ab 2.495 Euro). Die Schiffe sind modern und komfortabel, Linienflüge, Vollpension, Vorträge und Ausflüge sind im Preis inbegriffen. Aber selbstverständlich zeigt sich das Aurea Borealis, wie das Nordlicht auch heißt, nicht nur auf diesen Reisen. www.hurtigruten.de

VON JUDITH BOROWSKI

Das Schiff rollt, es stampft. Zwei Meter hoch, drei runter. Mein Gesicht ist grün, ich knie im Bad und tue, was die Norweger „einen Elch rufen“ nennen: All die Miesmuscheln, der Dorsch und der Seewolf, die so prima geschmeckt hatten, lasse ich schwimmen. Kein schöner Anblick, und eigentlich will ich sterben. Doch so was geht vorbei. Kurz zuvor war der Himmel grün gewesen: Nordlicht, das erste in meinen 37 Jahren. Erst wie eine Wolke, dann heller, grüner. Backbord krönte ein smaragdfarbener Schweif die Küste, feine Linien fielen aufs Wasser – wenn man so will, als würden Elfen überm Fjord tanzen. Alles knipste, nur – Ausnahme! – die Japaner nicht, nein. Scheppert „Northern Light!“ durch die Lautsprecher, rennen sie auf ihre Kabinen: Bei Aurora Borealis gezeugte Babys werden besonders groß, schön, klug. So was glauben die Japaner. Und solche Babys, sagt man, sind der Zweck vieler, die zu Nordlicht-schwangeren Jahreszeiten reisen. Viel Zeit hatten sie nicht, lang hat das Schauspiel nicht gedauert.

Natürlich sollte eine Geschichte, die von der Schönheit einer Landschaft berichten will, nicht unbedingt mit Übelkeit und Sex beginnen. Doch so war es nun mal, und in Nordnorwegen gehört beides dazu. Jedenfalls, wenn man das Postschiff der Hurtigruten (sprich: Hurtigrüten) nimmt, die „Reichsstraße 1“ der Norweger. Dann kann man Rentnerinnen mit gefönter Innenrolle sehen. Andere, die sich an Messing-Handläufe klammern und in fremden Sprachen beten. Oder rennen: auf Toiletten, Kabinen, Außendecks. An diesem Sonntag jedenfalls, den ich an Bord der „MS Trollfjord“ (16.000 Tonnen schwer, 135,75 Meter lang, 21,5 Meter breit, 45 Autostellplätze, 18 Knoten Geschwindigkeit) verbringe, rufen selbst Besatzungsmitglieder Elche im Bad, und das Spektakel, das das Schiff knarzen lässt wie einen Schoner, der im Eismeer versenkt werden soll, fegt bis morgens mit neun, zehn Beaufort über Deck. Dann, endlich, ist Ruhe.

Ich habe Leute die Rezeptionistin fragen hören, ob das Nordlicht auch für diesen Abend geplant sei

Ich habe viel gesehen auf dieser Reise von Oslo nach Bodö via Lofoten und Nordkap rechts rum in Richtung russischer Grenze bis Kirkenes (das, richtig ausgesprochen, mit einem „Ch“, fast schwyzerdütsch klingt). Ich habe den Mond bewundert, der als goldene Bilderbuch-Sichel am Himmel klebte: nichts, was jenem blassen Käse zu Hause ähnelt. Walfische habe ich gesehen. Und bei jeder Mahlzeit zu viel gegessen. Wie alle. Schiffskoch Robert spricht von „drei bis fünf Kilo Gewichtsgewinn pro Passagier und Reise“. Er sagt wirklich: „Gewinn“. Ich habe die Bewohner winziger Inseln bewundert, die ohne jeden Inneneinrichter Geschmack beweisen: Man möchte klingeln und einen Kakao mit den Menschen trinken, die hinter diesen Fenstern leben. Die Norweger haben ihren Öl-Reichtum gleichmäßig untereinander verteilt, legen gut was beiseite, anstatt zu prahlen, und das auch noch mit Stil.

Am Nordkap buddeln Reisende Steine aus dem Schnee und stapeln sie: „Wir wollen wiederkommen“, heißt das. Hierher? An diesem Ort, eine Busstunde vom Hafen entfernt, gibt es denselben hübschen Blick wie überall, Toiletten und einen Laden, wo man Schuhe aus Seehundfell und „Nordkap“-Tassen kaufen kann. Sonst nichts. Ich treffe eine Holländerin, Anna, die hierher gezogen ist. Sie hat Bäume neben ihre Hütte gepflanzt, die sie für gut zehn Monate im Jahr in Decken packt – in den restlichen sechs Wochen, sagt Anna, sollen die Bäume zwei Zentimeter wachsen. Menschen sind unterschiedlich. Ich habe Leute die Rezeptionistin fragen hören, ob das Nordlicht auch für diesen Abend geplant sei und wann dann genau. Deutsche stapeln Bildungsbürger-Reiseführer neben sich im „Panorama-Saal“, pauken Namen von Wasserfällen, Fjorden, Vögeln. Ich konnte lauschen, wie sie einander Dinge fragten, die ARD-Quizsendungen schmücken würden: „Wie kalt ist es nun auf gleicher Höhe in Sibirien?“ (Doch ist das tatsächlich interessant: In Sibirien ist es stets gut 20 Grad kälter, wieso dort eine Birke mitunter ein paar hundert Jahre zum Großwerden braucht, nicht aber in Norwegen, denn der Golfstrom spielt Zentralheizung. Die Klugscheißerei nahm ich gern in Kauf, auf einem auf Naturbeobachtung ausgelegten Dampfer wird man milde.

Verbieten müsste man anderes: Ich habe Edvard Griegs Lyrische Stücke für Klavier als Aufzugsmusik gehört. Das Jakuzzi auf Deck neun konnte ich nicht nutzen, weil es a zu stürmisch, b zu kalt oder c zu voll war. Einer 67-jährigen Doktorin der Archäologie schien ein Rettungsschiff vor ihrer Kajüte gleichbedeutend mit dem Untergang Trojas. Sie bockte, weinte, tobte laut. Männer, denen es an Attraktivität fehlte, nicht aber an Wappen auf Sakko und Socken, beobachtete ich bei hilf- und ehrlosen Versuchen, hübsche Frauen anzugraben. Marginalien. Und ich? Habe in der Sauna gesessen, nackt aufs Eismeer geblickt, mir die Hitze von der Stirn gewischt. Habe die Namen sämtlicher Hurtigruten-Schiffe seit 1893 samt Höchstgeschwindigkeit gelernt, weiß, wie viele Passagiere (bei Einzel- oder Doppelbelegung der Kabinen) sie aufnehmen können. Ich kenne den Betrag, mit dem der Staat die Schifffahrtslinie über den Winter bringt, damit auch die Bürger ganz oben Autos, Sitzlandschaften und ab und an Besuch bekommen (die Antwort lautet: 22 Millionen Kronen). Ich weiß, wie viele Kubik Sahne die Kühlräume fassen und dass es der Besatzung erlaubt ist, den Aerobic-Raum zu nutzen, nicht aber die Bar oder gar die Kajüten der Passagiere.

Schiffskoch Robert spricht von „drei bis fünf Kilo Gewichtsgewinn pro Passagier und Reise“

Bis hier habe ich mich durchgemogelt: Was genau habe ich da oben eigentlich getan? Ich war in Nordnorwegen unterwegs, mit einer Gruppe Journalisten, denen man beweisen wollte, wie schön es ist. Und? Ja, hat geklappt. Ich, die ich mit Bratäpfeln vorm Ofen auf den Sommer warte, erwäge Neustart in: Kirkenes. Kirkenes an der Grenze zu Russland (Osten) und Finnland (Süden) ist eines der Enden dieser Welt. Wir fischten dort noch einen Tag lang Königskrabben (das heißt: Wir ließen fischen. Lars, ein rotgesichtiger Norweger im Trockenanzug, kletterte für uns durch ein Eisloch ins Schwarz und kam mit sieben armlangen Riesenkrebsen wieder hoch. Ich habe mich ad hoc verliebt). Die Tiere, sonst unerschwinglich, schmecken – in Meerwasser gekocht, mit Aioli und Brot – unverschämt. (Übrigens: Die Japaner zahlen fürs Kilo 1.000 Dollar und essen die Genitalien der Tiere. Aber das konnte man sich ja denken.)

Dann waren wir auf Motorschlitten unterwegs über die Fjorde der Barentsee. Die Schlitten waren laut, sie stanken, sie waren sehr schnell. Ich war Co-Pilotin und drum unschuldig, als unser Schlitten einem anderen mit 40 Sachen ins Heck bretterte. Schwester Anni im einzigen Krankenhaus in 400 Kilometern Umkreis macht das Röntgenbild, und Doktor Harald las mir nach der OP aus dem Buch vor, das er über die „Festung Kirkenes“ und die Zeit unter deutscher Besatzung geschrieben hatte, er übersetzte ins Englische. Mein Knie war kaputt, zum Heulen – aber nö: Ich war glücklich. Nie waren gleichzeitig so viele Menschen so nett zu mir. Die Kellnerin im Fischrestaurant, die Zimmermädchen und Kabinenfeen, die dicke Wirtin im Schneehotel, an Bord der Erste Offizier, Schwester Anni, Doktor Harald. Nie fand ich außerdem das Licht so schön, die Luft so gut, die Lagerfeuer so wohltuend wie ebendort, wo doch sonst nichts ist.

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