: Negative Identität
Auf Einladung der Grünen diskutieren Experten wie Salomon Korn und Martin Sabrow über die künftige Gestaltung der nationalen Erinnerungspolitik
Katrin Göring-Eckardt, kulturpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, hatte am 24. dieses Monats zu einem „Fachgespräch“ in Berlin geladen. Verhandlungsgegenstand: die künftigen Formen staatlichen wie zivilen Gedenkens an das NS-Regime und an die Herrschaft der Realsozialisten in der DDR.
Geladen waren Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Salomon Korn, Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, Martin Sabrow vom Institut für zeithistorische Forschung in Potsdam, und Jörg Skribeleit, Leiter der neu gestalteten Gedenkstätte Flossenbürg. Aleida Assmann, Spezialistin für kollektive Erinnerungsformen, steuerte ein Positionspapier bei. Göring-Eckardt legte Thesen vor. Das „Fachgespräch“ wurde zum Forum für scharfe Attacken auf Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) und dessen „Diskussionspapier“ über die künftige Gestaltung der öffentlichen Gedenkstätten in Deutschland.
Salomon Korn, die personifizierte Vernünftigkeit, legte eingangs dar, dass in Deutschland zwar der Verstand die Zeit des Nationalsozialismus durchdringe, sich aber das Gefühl dagegen wehre, mit einer „negativen Identität“ leben zu müssen. Diese innere Abwehr führe zu einer fortwährenden Ambivalenz, die in dieser Form für die DDR-Geschichte nicht existiere, da die SED-Herrschaft als von außen aufgezwungen interpretiert werde. Korn mahnte zur Geduld. Drei bis vier Generationen seien zur „Aufarbeitung“ nötig.
Einer solchen Sicht mochte sich Volkhard Knigge nicht anschließen. Er prangerte die Methode des Ministers Neumann an, ohne vorhergehende Bewertung der bisherigen Arbeit der Gedenkstätten und unter Umgehung der Öffentlichkeit ein Konzept vorgelegt zu haben, das diktatorisch die künftigen Bewertungsgrundlagen für die Geschichte der DDR festlege, eine Verschiebung der Gedenkstättenarbeit in Richtung Behandlung der „SED-Diktatur“ festlege und trotz gegenteiliger Beteuerungen mittels einer Verschleifungstaktik die beiden Herrschaftssysteme, die „zwei Diktaturen auf deutschem Boden“, einander angleiche. Statt einer kritischen Erinnerungsarbeit werde in Deutschland ein Larifari-Begriff der historischen Erinnerungs-Orte lanciert. An Stelle der Kritik trete substanzloses Moralisieren.
Martin Sabrow, der bereits eine Kritik des Neumann-Papiers publiziert hat, stellte nicht in Abrede, dass die Erinnerungsarbeit zum SED-Regime nachhinke, vermisste allerdings bei Neumann jede Beweisführung zu dieser These. Er resümierte die wissenschaftlichen Mängel bei den existierenden DDR-Gedenkstätten und stellte in den Mittelpunkt, dass erst die Erforschung der Alltagserfahrungen in der DDR, der Normalität des Lebens in ihr, einen historisch sinnvollen Zugang eröffne. Sabrow stellte das kritische Geschichtsbewusstsein ins Zentrum seiner Analyse. Er kam zu dem etwas resignativen Schluss, dass ein solches Bewusstsein notwendig einen Gegner voraussetze, an dem man sich abarbeiten könne. Dies sei heute nicht mehr der Fall, da „wir es sind, die jetzt zu den Etablierten gehören“.
Jörg Skribeleit schließlich mühte sich, die Diskussion auf die praktische Gedenkstättenarbeit zu lenken. Er machte geltend, dass von Holocaust-Müdigkeit keine Rede sein könne, da die Besucher zwar über reiche Emotionen, aber über so gut wie keine historischen Kenntnisse verfügten. Sich Knigge wie dem Papier Göring-Eckardts anschließend, forderte er, die Bildungsarbeit der Gedenkstätten, die heute chronisch unterfinanziert seien, besser auszustatten.
Das allgemeine kritische Unisono wurde nur am Schluss durch die Kontroverse gestört, ob Rituale des Gedenkens dem kritischen Bewusstsein widersprechen. Diese spannende Diskussion fiel allerdings dem Ritual des Sitzungsablaufschlusses zum Opfer. CHRISTIAN SEMLER
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