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USA unterdrücken Forschung zur Arktis

Wissenschaftler dürfen nur allgemein vor der Förderung von Öl und Gas im hohen Norden warnen. Ihre 60 Empfehlungen an den Arktischen Rat müssen unter Verschluss bleiben. Die USA versteigern derweil Erkundungsrechte vor Alaska

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Drei Jahre lang haben WissenschaftlerInnen eines internationalen Netzwerks zur Arktisforschung daran gearbeitet. Doch nun bleiben ihre Empfehlungen im Zusammenhang mit den Gefahren der Öl- und Gasgewinnung in der Nordpolarzone erst einmal unter Verschluss.

Die USA sind der Zensor. Die Regierung in Washington blockiert als Mitglied des Arktischen Rats – dem neben den skandinavischen Staaten auch noch Kanada und Russland angehören – eine Veröffentlichung der 60 Warnungen und Empfehlungen. Zunächst einmal sollten „alle relevanten Fachbehörden“ in den USA Einblick erhalten und dann über Art und Umfang einer Veröffentlichung entscheiden.

„Das ist ein einmaliger Vorgang“, sagt John Calder, wissenschaftlicher Leiter des „Arctic Monitoring and Accessment Programme“ (AMAP). Und Mikaela Engell, im dänischen Außenministerium zuständig für die Arktisregion, fürchtet um die weitere Zusammenarbeit angesichts solcher Versuche, den Arktischen Rat zu einer Art „Politbüro“ zu machen.

Die in der Arktis vermuteten Öl- und Gasvorkommen sind ein heißes Thema: Es gibt Schätzungen, wonach ein Viertel aller weltweit bislang unentdeckten Vorkommen sich unter arktischem Eis und Permafrost verstecken. Gleichzeitig ist der Abbau in der Polarregion besonders kompliziert und mit Gefahren für die empfindliche Natur verbunden. Mit großem Interesse waren deshalb in der vergangenen Woche 500 Fachleute zu der „Arctic Frontiers“-Konferenz über die ökonomischen, ökologischen und sozialen Effekte der Öl- und Gasaktivitäten ins nordnorwegische Tromsø gekommen. Doch ohne die Möglichkeit, die unter Verschluss gehaltenen politischen Konsequenzen ihrer Studien zu präsentieren, konnten die AMAP-WissenschaftlerInnen nur eine pauschale Bestandsaufnahme ihrer Ergebnisse vorlegen.

Danach werden bereits jetzt ein Zehntel allen Erdöls und ein Viertel allen Erdgases in der Arktis gefördert. Russland ist mit 80 Prozent des Arktis-Öls und 99 Prozent des Gases Vorreiter. Die Folgen der bisherigen Ausbeutung waren teilweise katastrophal: Die ForscherInnen erinnern daran, dass 100.000 Tonnen Öl in der russischen Republik Komi im Jahr 1994 durch eine defekte Pipeline austraten. Auch ein Gasausbruch im sibirischen Petschora-Delta hatte fatale Folgen: Das Leck konnte erst 1987 und damit sechseinhalb Jahre nach seinem Entstehen unter Kontrolle gebracht werden.

Einzelne Beiträge von AMAP-ForscherInnen in Tromsø machten deutlich, dass nach ihrer Auffassung mehrere Öl- und Gasgewinnungsprojekte in Angriff genommen wurden und werden, obwohl es bislang an grundlegender Forschung über deren mögliche Auswirkungen fehlt. So gebe es kaum belastbare Dokumentationen über die Folgen bisheriger Aktivitäten. Auch wisse man viel zu wenig über die möglichen kumulativen Konsequenzen aller neuen Projekte auf das arktische Ökosystem. Unerforscht seien auch die Folgen eines Ölaustritts in eisbedeckten Gewässern und wie dort eine Ölpest bekämpft werden könnte. Schließlich forderten die ForscherInnen, zu überlegen, in welcher Form die in der Arktis lebenden Menschen an den Profiten beteiligt werden können, die durch die Rohstoffförderung erzielt werden.

Die WissenschaftlerInnen möchten also gerne bremsen, bevor die Öl- und Gasindustrie einfach weiter Fakten schafft. Genau das ist deren Absicht, und die US-Regierung unterstützt sie nicht nur durch die Unterdrückung der Forschungsergebnisse dabei. Gestern begann auch der Bieterwettbewerb für die Versteigerung umfassender Rechte zur Erforschung der Ölvorkommen in der Tschuktschensee zwischen Alaska und Russland.

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