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Obamas New Yorker Illusion

Wie Joyce Johnson im New Yorker Hauptquartier Obamas sich der Anhänger kaum erwehren kann. Und einsehen muss, wie schwierig Wandel sein kann

AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL

Das Büro Nummer 508 im fünften Stock der Fulton Street 139 ist zum Bersten voll. Die beiden winzigen Räume in der Nähe der Wall Street sind das New Yorker Hauptquartier der Barack-Obama-Kampagne. Einsatzleiterin Joyce Johnson weiß gar nicht, wo sie mit den ganzen Freiwilligen hinsoll, die am Morgen des Super Tuesday hier ihren Beitrag leisten wollen. „Wir waren an der Haltestelle Parkchester in der Bronx eine Viertelstunde vor den Hillary-Leuten“, ruft einer der Helfer in die Runde, den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt. „Da war keine einzige Plakatfläche mehr frei, als die kamen.“ Lauter Jubel schallt durch den Raum, und die zumeist jungen Wahlkämpfer spenden sich selbst einen kurzen Applaus.

Geschichte schreiben

„So etwas wie hier habe ich noch nie erlebt“, sagt Joyce Johnson, eine schwarze Frau um die 50, die zwischen ständigen Anrufen auf ihrem Handy kaum einen Gedanken formulieren kann. Johnson ist eine erfahrene Wahlkämpferin. Schon Anfang der 80er-Jahre arbeitete sie für die New Yorker Senatorin Geraldine Ferraro, die beinahe Vizepräsidentin geworden wäre. Auch für den schwarzen New Yorker Bürgermeister David Dinkins und Bill Clinton war sie im Einsatz. „Hier laufen jeden Tag 200 Leute herein, die etwas tun wollen“, sagt sie. Das Maß an Enthusiasmus und Energie, das im Obama-Lager herrsche, habe sie in keinem Wahlkampf zuvor erlebt.

New York ist angestammtes Hillary-Terrain. Die Obama-Anhänger träumen von einem Überraschungssieg im Hinterhof der Staatssenatorin. Die Wahlkämpfer sind von dem Glauben beseelt, eine Bewegung zu verkörpern. „Wir wollen Geschichte schreiben“, sagt Joyce Johnson. „Hört sich kitschig an, aber Obama ruft das „Wir“ in Erinnerung, das als erstes Wort in der Unabhängigkeitserklärung steht.“

Für Cynthia, die auf dem Gang vor dem Büro an die ausschwärmenden Freiwilligen Ansteckbuttons verteilt, ist die Obama-Kampagne aus einem anderen Grund wichtig. Sie schäme sich so für George Bush, sagt die kleine schwarze Frau. Sie könne gar nicht erwarten, dass Obama das Ansehen der USA in der Welt wiederherstellt. „Vielleicht merken die Leute ja, wenn wir Obama wählen, dass wir gar nicht so schlimm sind.“

Zwei Straßen weiter, an der Wall Street, ist in der mit Marmor ausgeschlagenen Lobby eines Bürohochhauses ein Wahllokal eingerichtet. Die Menschen, die vor der Arbeit hier schnell ihre Stimme abgeben wollen, stehen bis auf die Straße Schlange. „Vielleicht bin ich zynisch“, sagt Jennifer Leighdon, „aber die Obama-Kampagne ist mir ein wenig zu sehr stilisiert.“ Die elegant gekleidete PR-Chefin einer großen Finanzfirma hier an der Wall Street hat sich nach langem Hin und Her für Hillary entschieden. Das Gerede von einer Bewegung, vom Wandel, von einem Neubeginn, das ist Leighdon alles zu vage und hat für sie den Beigeschmack der Effekthascherei. „Es ist wie ein cooler lancierter neuer Poptrend“, sagt sie.

Ähnlich skeptisch ist Barbara Schachter, eine der wenigen Clinton-Wahlkämpferinnen, die man inmitten der Heerscharen von Obama-Leuten am Super Tuesday auf den Straßen New Yorks sieht. Die 55 Jahre alte Psychologin steht im Greenwich Village vor dem Wahllokal in einer Schule an der Hudson Street und verteilt Karten mit Argumenten für die Lokalmatadorin. „Wirkliche Lösungen für Amerikas große Probleme“ steht darauf gedruckt. „Wenn wir eine Monarchie hätten“, sagt sie, „wäre es wunderbar, Obama als König zu haben. Ich liebe sein Charisma, und ich liebe seine Reden. Aber in einer Demokratie ist mir jemand lieber, der ohne viel Getue ganz handfest die Dinge anpackt.“

Edward Thomson hingegen ist ganz und gar vom Obama-Virus infiziert. „Ich habe so etwas noch nie gemacht, ich habe mich noch nie freiwillig für eine politische Kampagne engagiert“, sagt der 77 Jahre alte pensionierte Rechtsanwalt, der in einem Gewerkschaftsbüro an der Varick Street in Tribeca versucht, Wähler zu mobilisieren. „So etwas wie Obama hat es noch nie gegeben. Ich glaube fest daran, dass er wirklich etwas verändern wird.“ Das letzte Mal, so Thomson, sei er so begeistert gewesen, als der linksdemokratische Kandidat Adlai Stevenson 1956 gegen Eisenhower angetreten sei. Selbst John F. Kennedy, findet er, hätte Obama nicht das Wasser reichen können. Obama meine es ernster mit der Erneuerung Amerikas als Kennedy zu seiner Zeit.

Etwas bewegen können

Mit dieser gleichen Siegesgewissheit beginnt am Abend um acht im Lokal Baton Rouge an der 145. Straße die Wahlparty. Als um neun über den Flachbildschirm hinter der Theke die Hochrechnungen für New York flimmern, wird es still Raum: Hillary Clinton hat New York überlegen gewonnen. „Eigentlich konnte man das ja erwarten“, sagt Danaka Perry, eine elegant gekleidete schwarze Rechtsanwältin. „Wir hatten uns Illusionen gemacht, dass wir einen Uberraschungssieg schaffen.“ Ihr Engagement für den weiteren Wahlkampf wird durch die Niederlage jedoch nicht gedämpft. „Das gießt nur Öl ins Feuer. Das ist heute erst der Anfang.“ Nach Jahren der Ohnmacht, sagt Danaka, habe sie erstmals wieder das Gefühl, etwas bewegen zu können.

An diesem Gefühl möchte sie unbedingt festhalten.

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