piwik no script img

normalzeitHELMUT HÖGE über Bezugsgruppen

„Einen Stein zu schmeißen ist ein Verbrechen, hundert Steine zu schmeißen ist ein politischer Akt.“ Ulrike Meinhof

Am Samstag fand unter dem Ulrike-Meinhof-Spruch ein Antikriegskongress statt – mit Pazifisten und Antimilitaristen. Letztere unterscheiden sich von Ersteren durch ihre Propaganda der Tat („Gewalt gegen Sachen“). Doch beide beackern ein und dasselbe Möglichkeitsfeld. So gestand zum Beispiel kürzlich Hans Schuierer, der SPD-Landrat des Kreises Schwandorf, in dem es 1985 gelang, den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage zu verhindern: „Wir haben die Autonomen gebraucht. Denn die Regierung hätte uns noch zehn Jahre um den Zaun tanzen lassen.“

Die obige Unterscheidung – zwischen Lichterketten und Panzerknackern – machen nicht einmal mehr die Gerichte in manchen EU-Ländern, wenn sie der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen mit Nachsicht begegnen – sofern die sich nur gegen das Kriegsgerät von (ausländischen) Kriegstreibern richtet. Das gilt zum Beispiel für die Bezugsgruppe eines irischen Anarchisten, der auf dem Kongress im Kreuzberger Statthaus Böcklerpark darüber berichtete.

Das Marx’sche Credo „Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffe nicht ersetzen“ ist fast schon eine Binsenweisheit. Gerade bei den heutigen „Sabotage- und Blockade“-Aktionen der antimilitaristischen „Bezugsgruppen“ spielt die Medienaufmerksamkeit jedoch unter Umständen eine größere Rolle als der militärische Schaden, den sie anrichteten. Dies wurde besonders bei der Power-Point-Präsentation einer friesischen Bundeswehrzug-Blockiererin deutlich: Erstens gerät auf diese Weise die Existenz eines Militärstandorts überhaupt erst ins öffentliche Bewusstsein. Und zweitens zieht sich dann die Berichterstattung über die gesamte Dauer des Gerichtsverfahrens hin und „politisiert“ es damit. Außerdem werden so über die Medien Sympathisanten mobilisiert – und sogar Sponsoren, von denen die junge Friesin freigeistig berichtete.

Überhaupt griff keiner der als Erzähler geladenen Bezugsgruppenvertreter aus Irland, Friesland und Holland auf getextete Reden zurück. Dafür gab es jedoch vor der Halle Stände mit Broschüren und Flugblättern – zum Beispiel darüber, wo konkret in Berlin „die Rüstungsindustrie zu Hause ist“.

Nachdem die Staatsorgane im Sommer 2007 drei Antimilitaristen als vermeintliche „militante gruppe“ (mg) beim versuchten Anzünden von Armeelastwagen in Brandenburg als „kriminelle Vereinigung“ verhaftet hatten, fackelte eine Bezugsgruppe aus Solidarität mit den dreien einige Militär-Lkws bei Hamburg ab. Daraus machte sie eine Medienkampagne unter dem Titel „Es gibt zu viele Bundeswehrfahrzeuge“. Auf dem Kongress war diese Gruppe mit einer Rede auf Tonband vertreten.

Die Veranstaltung wurde „von polizeilichen Maßnahmen begleitet“. Das hatte der SPD-Innensenator vorab den Abgeordneten versprochen, nachdem er den Kongress allein wegen dessen Motto „Kriegsgerät interessiert uns brennend!“ nicht schon im Vorfeld hatte verbieten lassen können. Ehrhart Körting bedauerte das sehr, denn er fand: „Leute, die Brandanschläge verüben, sind schäbig und zu verurteilen.“ Das gelte „auch für reine Meinungsäußerungen“.

Die damit Gemeinten sprachen dann auf dem Kongress von non-violent direct actions mit einem immer breiteren Spektrum von antiautoritären Protesten, Blockaden und Sabotageaktionen, aber auch, wie der irische Sprecher mit Nachdruck hervorhob, indem man das Personal auf den Militärbasen agitiert. In Zeiten der Privatisierung sogar von militärischen Aufgaben werden an den Standorten immer mehr „ausländische Zivilisten“ eingesetzt, um deren Sympathien man sich besonders bemühen sollte.

Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen!“ Während jedoch Mao Tse-tung damit noch zur Bewaffnung des Widerstands gegen die in- und ausländischen Militärmächte aufrief, ist den heutigen Antimilitaristen eher daran gelegen, die Gewehrläufe unschädlich zu machen: Die Aktivistin aus der holländischen Friedensbewegung sprach von „Konversion“. Notfalls tut es aber auch die Schrottpresse oder das bloße Abfackeln. Die irische Bezugsgruppe ging zum Beispiel mit dicken Hämmern gegen Militärflugzeuge der Amerikaner auf dem Flugplatz Shannon vor: „Man glaubt es gar nicht, mit was für kleinen Schlägen man einen so großen Schaden anrichten kann“ (2,5 Millionen US-Dollar).

Nach Ende der Veranstaltung erwarben wir für 50 Cent noch die Broschüre „Zusammen mehr erreichen“. Darin heißt es: „Es ist gut, sich einen Bezugsgruppennamen zu überlegen“, das erleichtere es, „in unübersichtlichen Situationen wieder zusammenzukommen.“ Die Unübersichtlichkeit ist da – trotzdem kam man, auch ohne Namen, schnell mit einer gemeinsamen Sprache zusammen. Erstaunlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen