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Reden ohne Dartpfeile

Halime Cengiz und Maren Bock kommen aus unterschiedlichen Welten. Die eine ist türkischstämmige Muslima und Mutter von drei Kindern, die andere kinder- und konfessionslose Leiterin eines Frauenzentrums. Seit einem Jahr organisieren sie für andere Frauen einen Austausch zwischen ihren Welten

MAREN BOCK, 47, studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Erziehungswissenschaft, Abschluss als SekII-Lehrerin, Mitbegründerin des Bremer Frauenkultur- und bildungszentrums belladonna, mittlerweile dessen Geschäftsführerin. Sie ist aktives Mitglied im Frauenrat der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin, zuvor im Aufsichtsrat. Hat drei Patenkinder und eine Fernbeziehung.

Moderation: Eiken Bruhn

Frau Bock, Frau Cengiz: Gibt es Themen, über die Sie nicht miteinander sprechen – weil sie Ihnen zu heikel erscheinen?

Maren Bock: Nein, das ist das Schöne. Ich habe bei Halime keine Angst, eine Frage zu stellen. Ich weiß, sie würde mir ihre Meinung sagen. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass Halime sagt: „Dazu sage ich nichts, dafür kennen wir uns nicht gut genug.“

Sie würden alles fragen?

Ja. Aber natürlich gibt es Sachen, die ich jetzt nicht ansprechen würde, aber nicht, weil sie Muslima ist, sondern weil wir uns noch nicht gut genug kennen. Ich frage Sie ja auch nicht, wie leben Sie Ihre Sexualität oder haben Sie Ihre Kinder schon mal geschlagen. Darüber spreche ich nur mit sehr guten Freundinnen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so einfach ist, schließlich kommen Sie aus sehr unterschiedlichen Welten.

Klar, unsere Welten sind verschieden. Das ist aber auch das Spannende.

Was sind die Unterschiede?

Halime Cengiz: Wir gehören verschiedenen Religionen an, ich habe einen türkischen Migrationshintergrund, bin aber in Bremen und mit einheimischen Kindern groß geworden, das hat mich sehr geprägt. Deshalb ist es für mich auch genauso ein Unterschied, wenn ich mit einer Muslima zusammen bin, die erst als Erwachsene nach Deutschland gekommen ist. Mir hilft, dass ich keine Angst habe, Menschen anzusprechen, die ich nicht kenne. Egal, ob sie Deutsche sind oder nicht.

Bock: Ganz ehrlich, Halime, wenn ich dich nicht kennen würde, würde ich dich nicht ansprechen. Da sind Barrieren: Das Kopftuch signalisiert erst einmal eine kulturelle Andersartigkeit. Eine streng katholische Frau würde ich nicht sofort erkennen.

Haben Sie die Kopftuch-Frage gestellt?

Bock: Nein, warum denn? Halime fragt mich ja auch nicht, warum ich keins trage. Mir würden erst einmal tausend andere Fragen einfallen.

Cengiz: Mir ist die Person doch wichtiger als das, was sie anhat – mich interessiert, wer Maren ist und nicht, wie sie aussieht oder welche Frisur sie hat.

Das Kopftuch spielt keine Rolle?

Bock: Es stimmt, das Kopftuch ist etwas anderes als eine Hose oder ein Pullover. Die sagen nichts über die Religion einer Person aus. In der Runde, in der wir uns treffen, sind auch immer ein oder zwei Frauen dabei, die plötzlich mitten in eine Diskussion hinein fragen: „Warum tragt ihr ein Kopftuch?“ Als Moderatorin sage ich dann: „Das ist jetzt nicht das Thema.“ Das kann noch kommen, aber erst einmal möchte ich, dass wir uns kennen lernen. Dann kann es auch sein, dass Halime mich fragt: „Warum bist du eigentlich nicht Christin?“. Halime ist doch so viel mehr als ihr Kopftuch!

Ich nehme Ihnen nicht ab, dass alles so harmonisch ist.

Bock: Natürlich gibt es Unterschiede, das ist auch in Ordnung. Wir haben das letzte Mal zum Beispiel über Gesundheit gesprochen und da sagte eine Frau: „Wenn ich im Krankenhaus liege und neben mir eine Türkin, dann habe ich nie meine Ruhe, das nervt mich, das Tohuwabohu.“ Das ist ein klassisches Vorurteil, das aber auch eine Wahrheit enthält. Da knallen zwei Kulturen aufeinander! Die einen wollen reden, die anderen ihre Ruhe.

Cengiz: Bei uns wäre das anders!

Bock: Ja, wir haben uns ausgemalt, wie es wäre, wenn wir zusammen im Krankenhaus liegen würden.

Cengiz: Sie würden uns beide rausschmeißen.

Bock: Ich würde nämlich auch sehr viel Besuch bekommen.

Cengiz: Noch einmal zurück zu dem, was Sie gerade gesagt haben. Es geht bei unseren Treffen darum, uns kennen zu lernen, ganz einfach. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Foren, in denen ich diskutiere. Dort komme ich mir oft vor wie eine Dartscheibe, die mit allen möglichen Pfeilen beworfen wird, sei es zum Kopftuch, zu Ehrenmorden oder zu Zwangsverheiratungen. Ich versuche, Menschen zusammenzubringen, weil ich festgestellt habe, dass Menschen keine Angst mehr voreinander haben, wenn sie zusammenkommen und Vertrauen gewonnen haben, das kann auch beim Tee oder Kaffee passieren – sogar dann, wenn sie nicht eine Sprache sprechen. Die Mauer ist nicht auf einmal weg, aber man kann Schlupflöcher bauen. Als wir zum Beispiel das erste Mal in die Kirche in Gröpelingen gegangen sind, hat ein älterer Herr aus der Moschee richtig mit mir geschimpft. „Warum schleppst du uns hierher, Halime? Was sollen wir hier?“ Ich habe ihm gesagt: „Guckt doch einfach mal zu, was christliche Menschen in der Kirche machen, wie sie beten.“ Nach zwei, drei Jahren kam derselbe Mann zu mir und hat sich dafür bedankt, dass ich nicht aufgegeben habe: „Die älteren Frauen auf der Straße haben jetzt keine Angst mehr vor mir, die grüßen mich sogar.“

Aber diejenigen, die Sie jetzt über belladonna, ein feministisches Frauenkulturzentrum treffen, sind ja ganz andere als die, die Sie über die Kirche kennen gelernt haben.

Cengiz: Das haben einige auch nicht gerne gesehen. Als ich davon erzählt habe, wurde ich von einer Frau gefragt: „Weißt du denn überhaupt, mit wem du dich da einlässt? Wissen die Frauen, wo du sie hinbringst?“ Für mich gibt es kein Problem. Was Maren in ihrer Freizeit macht, wie sie orientiert ist, das ist für mich in dem Moment nebensächlich. Das spielt auch bei unseren Treffen keine Rolle, da haben wir andere Themen wie Nachbarschaft oder Erziehung.

Bock: Da würde ich dir widersprechen. Wir haben ja nicht zufällig entschieden, über frauenspezifische Erkrankungen sprechen zu wollen.

HALIME CENGIZ, 41, verheiratet seit 22 Jahren, drei Kinder (21,18, 14). Mit zwei Jahren aus der Türkei nach Bremen gekommen, einzige Türkin in ihrer Klasse. Bekam 2006 für ihr Engagement im interreligiösen Austausch den Bremer Preis für Integration. Vorstandsmitglied im Bremer Rat für Integration, Weiterbildungen als Leiterin für Sport- und Familienbildungskurse für Migrantinnen.

Cengiz: Ist das feministisch?

Bock: Ja, indem wir sagen, dass die Gesundheit von Frauen in der Forschung bisher eher nebensächlich behandelt wurde. Und wir haben doch festgestellt, dass mit Depressionen in den Kulturen unterschiedlich umgegangen wird, dass es zu wenig migrantische Psychologinnen gibt. Das ist ein feministischer Ansatz.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihren Treffen?

Bock: Das ist genau der Punkt. Dass wir hinterher keine Pamph–lete schreiben. Es geht um was anderes: Wir wollen herausfinden, wie andere Frauen in Bremen leben, was sie denken. Dieses Interesse an anderen Menschen verbindet uns.

Gibt es etwas, um das Sie die andere beneiden?

Cengiz: Wenn wir uns beide um einen Job bewerben würden, dann würdest du ihn wegen deiner besseren Ausbildung wohl bekommen.

Bock: Ich beneide dich darum, dass du in deiner Community so unangefochten bist, das wünsche ich mir in der frauenpolitischen Szene in Bremen auch manchmal. Weißt du, mir fällt gerade etwas ein, über das ich doch gerne mal sprechen würde. Vielleicht nicht nächstes Mal, aber über- oder übernächstes Mal. Ich möchte über die Burka sprechen, ich habe neulich eine Frau gesehen, die ganz verhüllt war, nur ihre Augen schauten durch einen Schlitz hinaus. Ich empfinde das in Bremen als sehr fremd. Mich interessiert, wie du darüber denkst.

Cengiz: Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Es ist nicht alltäglich. Ich denke, sie hat sich dafür entschieden, das muss ich respektieren. Aber ich frage mich schon, warum zieht sie nicht einfach einen langen Mantel an. Man könnte doch so eine Frau mal einladen.

Bock: Ich glaube, ich würde lieber erst einmal unter uns darüber sprechen.

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