: Abgefallen. Aufgefangen?
Konversion bedeutet die Übernahme von neuen, anderen Glaubensgrundsätzen, religiösen Tradionen und Braäuchen. Der Begriff ist aus dem Lateinischen conversio abgeleitet: Umwendung. Sich umwendende werden als Konvertiten oder auch Proselyten bezeichnet. Aus dem Griechichen: Hinzugekommene.
Diese Umwendung erfolgte historisch meist nicht freiwillig sondern aufgrund gewaltsamer Umsetzung des Missionsgedankens bzw. indirektem Konversionsdruck: So war ein sozialer Aufstieg während der Herrschaft der Mauren auf der iberischen Halbinsel nur für diejenigen möglich, die den islamischen Glauben annahmen. Im Rahmen der Reconquista, der christlichen Rückeroberung, wurde die Rechristianisierung auch mit dem Schwert erzwungen. Heute beruhen Konversionen meist auf dem globalisierungsbedingten, wachsenden Angebot auf dem Markt der Weltanschauungen. In einigen islamischen Ländern, etwa in Saudi-Arabien, wird eine Konversion jedoch noch immer mit dem Tod bestraft.
Konvertiten wurden stets mißtrauisch beäugt, sei es von seiten der römischen Inquisition oder von seiten deutscher CDU-Politiker wie Wolfgang Bosbach, der im letzten Jahr die Einführung eines Konvertiten-Registers gefordert hatte, weil sich sich unter den Reihen ausgehobener Terrorzellen einige deutsche „Neomuslime“ befanden. MRE
„Jesus, du allein bist genug“ – das ist Helens Motto. Sie war einmal Muslimin, jetzt ist sie christliche Missionarin. Das Porträt einer stillen Frau mit einem frommen Wunsch
VON ANGELIKA FRIEDL
Helen hält heute die Predigt, sie spricht über das Vaterunser. Satz für Satz erklärt sie es ihren Zuhörern, hauptsächlich sind es Frauen, die vor ihr im Gemeindesaal sitzen. Die Christen, sagt sie, könnten Gott Vater nennen. „Wenn wir an Jesus glauben, kommt der Geist Gottes in uns, so dass wir Gottes Kinder werden können.“ Sie spricht langsam und deutlich, nicht alle der etwa vierzig Besucher verstehen gut Deutsch. Außerdem ist Christentum ein etwas heikles Thema für die Zuhörer: Sie sind Muslime.
Einmal im Monat feiert die Gemeinde, der Helen angehört, eine Art Gottesdienst, mit Predigt, Singen und Beten. Über hundert Menschen, hauptsächlich Kurden, werden regelmäßig eingeladen. Helen und das presbyterische Pastorenehepaar, mit dem sie die Feier organisiert, wollen ihren Gästen den christlichen Glauben nahebringen. Einige der Eingeladenen nennen sich mittlerweile Christen, sagt Helen, aber nur im Geheimen.
Helen war selbst einmal Muslimin. Sie kommt aus einem islamischen Land in Asien, Genaueres möchte sie lieber nicht darüber sagen. Sie fürchtet um die Sicherheit ihre Angehörigen, von denen noch viele in der alten Heimat leben. Wenn die Behörden erfahren sollten, dass sie Christin ist, wären sie in Gefahr. Gewisse Leute würden auf sie aufmerksam werden, wenn ihr wahrer Name in der Zeitung steht, glaubt sie.
In Deutschland leben nach Schätzungen ungefähr fünftausend Menschen, die vom Islam zum Christentum übergetreten sind. Genaueres weiß man nicht: Die Zahl tauchte vor einiger Zeit in den Medien auf, seitdem wird sie fleißig abgeschrieben. Pfarrer Hans-Jürgen Kutzner, der Iran-Seelsorger der Evangelischen Landeskirche Hannover, glaubt nicht an fünftausend. „Es gibt keine genauen Daten. Zum Teil stammen sie von Sektierern, zum Teil sind die Konvertierten schon wieder abgeschoben worden.“
Im Gemeindesaal singt Helen jetzt mit heller, klarer Stimme auf Kurdisch, „Komm, du guter Hirte“, die Pastorin begleitet sie auf einer Laute. Einige Frauen singen mit, die meisten hören schweigend zu. Nach der Feier eilen alle schnell in den Garten hinaus zum Grillen. Helen geht von einer Frau zur anderen, spricht und hört zu. Auf ihrem Gesicht liegt ein konzentriertes Lächeln. Sie achtet darauf, dass die Teller aufgefüllt sind – es gibt Salate, gegrilltes Lamm und Rind, auf keinen Fall Schwein –, und erkundigt sich höflich nach dem Wohlbefinden ihrer Gäste. „Tut mir leid, ich kann mich gerade nicht kümmern. Ich hoffe, es geht Ihnen gut“, ruft sie im Vorbeigehen.
Türken, Kurden und Araber reden durcheinander, einige unterhalten sich auf Deutsch. Helens schwarzer, eleganten Jeansanzug fällt auf, genauso wie das große, rot schimmernde Kreuz, das sie trägt. Sie achtet auf ihre Kleidung, denn als Christin muss sie vorbildlich sein. Nie würde sie ein ärmelloses Kleid anziehen und mit nackten Schultern herumlaufen.
Helen hat sich mit 27 Jahren vom Islam abgewandt, obwohl ihre Mutter eine Sayedin ist, wie die schiitischen Nachkommen des Propheten Mohammed genannt werden. Zu dieser Zeit lebte ihre Familie in der Landeshauptstadt. Das war schon der etwa zehnte Wohnort in ihrem Leben, denn ihr Vater war ein hoher Offizier und wurde oft versetzt. Heimatgefühle konnten so nie richtig in ihr wachsen. „Ich bin immer fremd“, sagt sie lakonisch, ihr Gesicht zeigt keine Regung bei diesen ungeheuerlichen Worten.
Sonst lächelt sie meist, wenn sie erzählt. Sie spricht schnell, als würde sie von etwas getrieben. Temperamentvoll wird sie, wenn sie über ihren Glauben spricht. Man kann sie sich gut vorstellen, wie entschlossen sie damals vor etwa fünfundzwanzig Jahren zu der Bibelgesellschaft marschierte, um etwas über das Christentum zu erfahren.
Apostaten, also Abgefallene, so nannte man früher ehemalige Christen. Eine Konversion war bestenfalls ein Skandal und schlimmstenfalls ein hochgefährliches Unterfangen. Für diejenigen, die vom Islam, der Unterwerfung unter den Willen Gottes, abfallen, gilt dies immer noch. Sie werden bestenfalls scheel angesehen, schlimmstenfalls wie in Saudi-Arabien oder in Afghanistan mit dem Tode bedroht und hingerichtet.
„Die meisten Muslime haben starke Vorbehalte gegen Abgefallene“, sagt Johanna Pink, Islamwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin. Weil Konversionen so selten sind, gibt es derzeit auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Berichte über konvertierte Muslime erinnern an verschlüsselte Nachrichten der Geheimdienste: Namen und biografische Daten werden geändert und Treffpunkte in andere Stadtteile verlegt.
Zweifel am islamischen Glauben kamen Helen schon als Mädchen: Warum muss ich arabisch beten, warum muss ich überhaupt fünfmal am Tag beten, warum ist Gott so fern? Ihr Vater erklärte ihr dann, dass sie so nicht fragen dürfe. Als sie älter wurde, geriet Helens Familie in politische Schwierigkeiten. Ihre eigenen Probleme – eine zu frühe, ungewollte Heirat, ein prügelnder Ehemann, die Scheidung und die Flucht zurück zur Familie – trieben sie in die Einsamkeit. Sie schottete sich ab, fastete und betete und dachte zuweilen, dass Gott eine Erfindung der Menschen ist.
Eines Tages ging sie zu einem Juwelier, um einen Ring reparieren zu lassen. Der Händler sprach sie an, weil er dachte, eine armenische Christin vor sich zu haben. Durch ihn kam sie mit einer christlichen Gemeinde in Kontakt. Zufall, würden die meisten sagen, Gottes Wille, sagt Helen. Nach einem Jahr ließ sie sich taufen.
Sie hatte etwas gefunden, was sie in ihrer ursprünglichen Religion nicht gefunden hat. „Gott ist Liebe“, mehr wolle sie dazu nicht sagen. Die Familie war schockiert. Ihr Vater erklärte, sie sei nicht mehr seine Tochter. Eine Tante befand, sie sei von Grund auf verdorben. Eine Schwester versuchte mehrere Jahre lang hartnäckig, sie wieder zum rechten Glauben zurückzuführen. Besonders mit dieser Schwester stritt Helen erbittert.
Sie sprach in abfälligen Worten über den Propheten Mohammed, was die Schwester noch mehr in Rage brachte. „Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt, niemals mehr etwas Negatives über den Islam zu sagen.“ Auch diskutieren bringe überhaupt nichts, man könne die Menschen so nicht überzeugen. Nur eine liebevolle Einstellung könne Menschen verändern. So hat sich ausgerechnet die Schwester, mit der sie sich so oft gestritten hatte, schließlich auch zum Christentum bekannt.
Seit über zehn Jahren lebt Helen nun in Deutschland, mittlerweile hat sie auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Sie arbeitet für die Evangelische Landeskirche, sie ist so etwas wie eine Sozialarbeiterin. Helen kümmert sich um Asylanten und Flüchtlinge, hauptsächlich Kurden. Sie begleitet sie zu den Ämtern, zeigt ihnen, wie deutscher Alltag funktioniert, und gibt Kindern Nachhilfeunterricht. Oft telefoniert sie den ganzen Tag und redet mit den Leuten über ihre Probleme. „Als hätte sich ein Tornado um mich gewickelt“, so fühlt sie sich manchmal.
Auch an Sonntagen ist sie oft unterwegs, in all den Jahren ist sie bisher nur zweimal in Urlaub gefahren. Aber ihr Körper scheint nicht so stark zu sein, wie es Helen gern hätte. Etwa zweimal im Monat wird sie von heftigen Migräneanfällen attackiert, seit Jahren leidet sie an Rückenschmerzen. Vor einem Jahr hat man sie an der Bandscheibe operiert, aber die Schmerzen stellen sich immer wieder ein.
Helen ist erschöpft von den tagelangen Vorbereitungen für die große sonntägliche Feier. Am nächsten Tag hat sie einen kleinen Zusammenbruch, sie muss sich ausruhen, die Rückenschmerzen quälen sie wieder. Sie liegt im Bett und sinniert darüber, ob sie sich selbst genug liebt. „Jesus hat gesagt, liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Sie müsse sich mehr um sich selbst kümmern, dürfe sich vom täglichen Kampf nicht so aufzehren lassen. Es klingt nicht überzeugend. Immerhin hat sie vor einiger Zeit einen Heimtrainer gekauft, mit dem Gerät kann sie etwas für ihren Rücken tun. Wenn es in den Tagesplan passt, geht sie walken. „Walken ist schön, und ich erlebe die Natur.“ Sie ist dann allein mit sich und kann ungestört beten. Es sei ein faszinierendes Abenteuer, beim Beten eigene Worte zu entdecken, sagt sie. Im Islam würden die Gläubigen immer die gleichen Gebete sprechen, die man nicht versteht, wenn man nicht Arabisch kann.
„Jesus, du allein bist genug“, ein altes deutsches Kirchenlied, für Helen das Motto ihres Lebens. Gott und Jesus begleiten sie den ganzen Tag wie ein lieber Freund. Nur wenige Menschen kommen ihr so nah. Ihre Tochter vielleicht, mit der sie bis vor kurzem zusammengewohnt hat und die sie ihre beste Freundin nennt. Eine deutsche Freundin, mit der sie sich gut verstand, ist an Krebs gestorben. Einen Ehemann oder einen Lebenspartner hat sie nicht, er würde auch nur schwer Platz finden in ihrem Leben. Ohnehin vertraut sie dem irdischen Dasein nicht so recht. Es ist doch so kurz. Ihre Hoffnung setzt sie auf das himmlische Leben, dort, glaubt sie, wird es schön werden.
ANGELIKA FRIEDL, 47, lebt als freie Autorin in Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen