Die Differenz von Kino und Kunst

Am 25. März 2008 wäre Helmut Käutner 100 Jahre alt geworden: Das Zeughauskino widmet ihm daher eine Retrospektive mit ausgewählten Kinofilmen wie seinen Meisterwerken „Romanze in Moll“, „Große Freiheit Nr. 7“ und „Unter den Brücken“

Nicht nur Glaube an die Kunst, sondern auch Misstrauen gegen den Film

VON EKKEHARD KNÖRER

Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs drehte Helmut Käutner mit „Unter den Brücken“ seinen schönsten Film. Er erzählt eine Dreiecksliebesgeschichte auf einem Schleppkahn, mit zwei Männern, einer Frau und einer Gans. Die Gans landet im Backofen, die anderen lieben sich und zanken sich, und am Ende, als sich die Frau für den einen von ihnen entschieden hat, bleiben sie auf dem Kahn dennoch zu dritt. Nichts ist zu sehen von den Kriegszerstörungen in Berlin und Umgebung, nichts auszumachen vom Leben in einem totalitären Staat – und doch gibt es in dem Film keinen falschen Ton. An keiner Stelle wird der Widerspruch zur Nazi-Ideologie explizit. Wer aber das schneidige Dröhnen und das Menschenbild der Nazi-Filme kennt, spürt sofort: Damit hat „Unter den Brücken“ einfach nichts zu tun.

Erstaunlich also, dass Helmut Käutner, der von Theater und Kabarett kam, erst im Dritten Reich als Regisseur Karriere machte, und doch die gemeingefährliche Erbaulichkeit dieses kulturellen Umfelds mied. Wie keinem anderen deutschen Regisseur gelang ihm der halbwegs aufrechte Gang auf dem schmalen Grat der kompromissbereiten Erfüllung des Unterhaltungsauftrags bei gleichzeitiger kategorischer Missachtung der Nazi-Ideologie. Er bekam Probleme. So wurden schon sein Debüt „Kitty und die Weltkonferenz“ (1939) und dann auch das Hans-Albers-Vehikel „Große Freiheit Nr. 7“ (1944) verboten – Marinechef Dönitz: „Ein deutscher Seemann betrinkt sich nicht“. Aber mit „Romanze in Moll“ (1942) kam Käutner durch, einem sehr kühlen und sehr todverfallenen Melodram nach Maupassant, in dem Marianne Hoppe eine Ehebrecherin spielt, der der Film seine Sympathie nicht verweigert.

Käutners Meisterwerk „Unter den Brücken“ kam zu spät fürs Dritte Reich und wurde erst 1950 uraufgeführt. Inzwischen hatte er mit ganz wenig Geld und unter schwierigen Bedingungen nach dem Krieg gleich weitergedreht. Der Episodenfilm „In jenen Tagen“ (1946/7) war durchaus ein Wagnis, da er das deutsche Publikum mit seinen Verbrechen konfrontierte. In der Rahmenhandlung sieht man zwei Männer, die ein Auto, Baujahr 1933, ausschlachten, und das Auto erzählt dann – mit Käutners Stimme – von seinem Schicksal im Dritten Reich. Der Filmwissenschaftler Karsten Witte hat den mit Mitläufern wie Verfolgten des Dritten Reichs besetzten Film als „kollektive Versöhnungsleistung“ gewürdigt – und doch wird die äußerst ambivalente Verdrängungsleistung mindestens ebenso deutlich. Alles Politische ist ins Private, in vielen Episoden ins Melodramatische gewendet; es geht um das allgemein Menschliche, um Opfer und gute Deutsche, und weder der Name „Hitler“ noch das Wort „Jude“ wird ausgesprochen.

Helmut Käutner war kein Neuerer, aber ein glänzender Handwerker und ein grandioser Schauspielerregisseur: So natürlich und unprätentiös wie bei ihm haben deutsche Darstellerinnen und Darsteller sonst nie geklungen. „Kunst im Film ist Schmuggelware“, lautet sein berühmtester Satz. Es spricht daraus nicht nur ein Glaube an die Kunst, sondern auch ein Misstrauen gegen den Film. Und in der Tat ist die Differenz zwischen Kino und Kunst vielen seiner Filme abzulesen, allerdings als eine, die Käutner zum Schaden seines Werks erst hervorbringt.

Das wird an „In jenen Tagen“ sehr deutlich, der seine kurzen Geschichten packend erzählt, aber mit aufdringlichen Symbolismen garniert und der angekündigten sachlichen Auseinandersetzung ins Pathos der Menschlichkeit ausweicht. Neben zu Recht Vergessenem drehte Käutner eine Reihe ähnlich ambivalenter Kunst-Kino-Mesalliancen, etwa die Hamlet-Transposition „Der Rest ist Schweigen“ (1959) und die Andersch-Verfilmung „Die Rote“ (1962). Nur mit dem tief pessimistischen ost-westdeutschen Grenzdrama „Himmel ohne Sterne“ (1955) gelang ihm noch einmal ein durchgehend überzeugendes Werk.

Dabei feierte Käutner große Publikumserfolge mit Filmen wie „Der Hauptmann von Köpenick“ (1956) oder „Monpti“ (1957). Und Hollywood wurde auf ihn aufmerksam. Ende der Fünfzigerjahre bekam er einen Siebenjahresvertrag bei einem der großen Studios. Er drehte zwei kleinere Filme – den großen Western, den man ihm daraufhin anbot, hielt er aber für unter seiner Würde und löste den Vertrag. Das hat er später bereut, zumal er in der sich verändernden Filmlandschaft in Deutschland nicht mehr recht Fuß fassen konnte.

Über die Konventionen des deutschen Nachkriegsfilms wollte er, ohne immer zu können, sehr wohl hinaus, die Radikalität der Nouvelle Vague oder des Neuen Deutschen Films aber blieb ihm fremd. Seinen letzten großen Auftritt hatte er 1974 als Schauspieler beim konservativen Avantgardisten Hans-Jürgen Syberberg: Er spielte in dessen schön artifiziellem Film „Karl May“ die Titelfigur des Mythen schaffenden Volksschriftstellers, der lieber etwas Geringeres, nämlich ein großer Künstler, gewesen wäre.

Das Zeughauskino Unter den Linden zeigt bis zum kommenden Sonntag eine Retrospektive auf die Filme Helmut Käutners