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SPD geht Richtung Mitte

Auf ihrer Klausur auf Borkum beraten die SPD-Abgeordneten aus Niedersachsen ihre Strategie für die nächsten fünf Jahre. Unter Fraktionschef Jüttner als Dirigent darf jeder mal Solo spielen

Alles neu in der SPD

Die niedersächsische SPD hatte bei der Landtagswahl am 27. Januar mit nur 30,3 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Krieg eingefahren. Im Vergleich zur Landtagswahl 2003 sank die Zahl der Wähler im Land um rund 300.000 auf rund eine Million. Um die Landes-SPD schlagkräftiger zu machen, berät bis zum Mai eine „Zukunftskommission“ unter Vorsitz von Ex-Bildungsministerin Edelgard Buhlman. Zur Diskussion steht unter anderem auch die Neustrukturierung der vier Bezirke Hannover, Braunschweig, Weser-Ems und Nord, deren Streitereien die Landesorganisation seit Jahren lahm legen. KSC

aus Borkum KAI SCHÖNEBERG

Steuerbord, Backbord oder noch weiter Richtung Abgrund? Wohin steuert Wolfgang Jüttner das schlingernde Schiff der niedersächsischen SPD-Fraktion? Wird er noch von den Matrosen als Kapitän geachtet? Kapert Parteichef Garrelt Duin mit den frisch in den Landtag gewählten Leichtmatrosen aus seinem Parteibezirk Weser-Ems das niedersächsische SPD-Boot?

Fragen über Fragen, die sich die 48 Ende Januar gekürten Landtagsabgeordneten seit Sonntag bei ihrer Klausur auf der Nordseeinsel Borkum stellen. Jüttner wollte bei der schönen Seemanns-Rhetorik im Borkumer Veranstaltungszentrum „Kulturinsel“ natürlich nicht mitmachen. „Am besten, wir agieren in den nächsten fünf Jahren wie eine Jazzband“, sagte der Mann, der sich trotz seiner historischen Wahlschlappe wieder zum Fraktionschef hatte küren lassen . „Jeder“, kündigte Jüttner an, „darf mal Solo spielen, und ich bin wahrscheinlich der Dirigent.“

Doch zu viele Solisten können die Gesamtmelodie stören. Da ist Landesparteichef Duin, der die Niedersachsen-SPD stärker nach rechts drängt. Das kann vielen Altlinken, darunter Jüttner, nicht gefallen. Da waren auf Borkum die SPD-Frauen, die wissen wollten, warum Jüttner keine Frau auf den Posten des Landesrechnungshofspräsidenten hieven will, auf den die SPD Zugriff hat. Und da sind die neuen SPD-Parlamentarier.

Kritik? Keine. Von niemandem. „Die wollen nicht nur im Landtag sitzen und Opposition machen, die wollen pushen“, schilderte Landesparteichef Duin nach der Diskussion im Raum „Störtebecker“ seinen Eindruck von den 21 neuen SPD-Abgeordneten. In sechs Gruppen hatte die Fraktion unter Führung der Parlamentsnovizen getagt und ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre im Landtag beraten.

„Ich will nicht die besten Jahre meines Lebens in der Opposition versauern“, erklärte Swantje Hartmann, 35 und eine der Nachwuchshoffnungen der Fraktion. „Wir dürfen uns nicht in Vielfalt verlieren, wir müssen Kernthemen herausgreifen“, sagte Wiard Siebels, 30. Und präzisierte: „Seltener über Miesmuschelmanagment, öfter darüber debattieren, wie Mieter steigende Nebenkosten senken können.“ Hartmann und Siebels sind zwei der Duin-treuen SPD-Youngster, die sich jüngst in einer „N 13“ genannten Truppe formiert hatten. „N 13“ steht für „Niedersachsen 2013“, dem Termin der nächsten Wahl. Für viele in der Jüttner-Crew steht „N 13“ für innerparteiliche Opposition.

Siebels hatte Jüttner und seinen „Gerechtigkeit kommt wieder“-Wahlkampf angegriffen, als er sagte: „Sozial allein reicht nicht.“ Jüttner bekräftigte auf Borkum prompt, dass die Fraktion künftig Richtung rechts tippeln werde: Weg von den „gesellschaftlichen Randgruppen“ – so nannte er tatsächlich die bislang umworbene Hartz IV-Klientel – hin zu Wirtschaftsthemen. „Wir sind auch für die Eliten im Land da“, sagte der Fraktionschef. Gleichzeitig beschloss die Fraktion, der Diätenanhebung um zwei Prozent zuzustimmen.

Immerhin sprach an diesem Montag niemand öffentlich von Stephan Weil und Thomas Oppermann. Hannovers OB und der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion hatten in einem internen Papier den Zustand der Niedersachsen-SPD als „niederschmetternd“ beschrieben.

Nach Generalabrechnung war den Parlamentariern auf Borkum aber – noch – nicht. Stattdessen gab es praktische Tipps: Nicht während des Plenums Shoppen gehen, nicht im Parlament die Bild-Zeitung lesen.

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