piwik no script img

DIE ACHSE DER ANSCHLÄGE VON TIM BOEHMENachhilfe

Klang auf dem Weg zu sich selbst. Miniaturen, die oft nur eine Minute dauern, ohne unfertig zu wirken. Für das Material ihres Debütalbums als „Non Standard Institute“ haben sich die Elektronik-Produzenten Max Loderbauer und Tobias Freund Zeit gelassen. Denn alles, was das NSI präsentiert, entsteht beim Improvisieren. Zum Einsatz kommen ausschließlich Klavier und Effektgeräte, was man im Zeitalter der rechnergestützten Musik-Erzeugung kaum glauben mag. Das macht die Ergebnisse umso bestaunenswerter.

Oft hört man gar nicht, dass ein Klavier als Grundmaterial dient, so stark hat Freund die Töne bearbeitet, die Loderbauer in Tastentestreihen erzeugte. Nach Spielerei klingt das nicht, alles findet wie selbstverständlich zueinander. Mal hallen düstere Akkorde wie von weit her, mal flirren Melodien in seltsam schillernden Farben.

Ihre Studioerfahrung lassen die beiden Musiker dabei entspannt durchblicken. Während sich ihre bisherigen Produktionen als NSI im Orbit der Clubmusik bewegten, schlagen sie mit ihrem neuen Album eine Brücke zwischen Electronica und zeitgenössischer Musik. Leicht, aber zugleich durchdacht, schimmert bei NSI die Zukunft der elektroakustischen Musik auf. Toll, was sich aus so einem Klavier alles herausholen lässt.

NSI: „Plays Non Standards“ (Sähkö)

Exkursion

Ein Klavierduo, und das bei Staubgold? So ähnlich hat Markus Detmer, Betreiber des vor allem für experimentelle Klänge bekannten Elektronik-Labels, zunächst wohl auch gedacht. Doch Chris Abrahams und Simon James Phillips brauchen keine anderen Hilfsmittel als ihre beiden Instrumente, um sich Gehör zu verschaffen.

Chris Abrahams ist hier vor allem als Pianist des australischen Jazztrios The Necks bekannt. Sein noch zu entdeckender Kollege Simon James Phillips stammt ebenfalls aus Sydney. In ihren gemeinsamen Exkursionen fließen mindestens 100 Jahre Klaviermusik zusammen: Der Reduktionismus eines Morton Feldman, Terry Rileys repetitive Mantras oder die Sprödheit von Erik Satie – all das versetzt mit Anklängen an Impressionismus und ein wenig Romantik. Wem das zu wenig spektakulär vorkommt, wird von den beiden eines Besseren belehrt. Unter ihren Fingern bekommen die Klangsprachen, die sie inspirieren, etwas vollkommen Gegenwärtiges, das die Musik definitiv zu ihrer Eigenen macht. Mit verhaltenem Anschlag malen sie ruhige, leicht verwaschene Stimmungsbilder. Die beiden Flügel klingen dabei so weich, als sei bei der Aufnahme ein Filter verwendet worden, was den nebligen Charakter ihrer Improvisationen noch verstärkt. Das Wort „Schönheit“ mag ganz sicher nicht mehr die höchste Konjunktur haben, für die Musik von Pedal kann man es aber guten Gewissens bemühen.

Pedal: „Pedal“ (Staubgold)

Analyse

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit schärft bekanntlich den Blick für die Gegenwart. Beim französischen Pianisten Pierre-Laurent Aimard lässt sich dagegen sagen, dass ihn die Auseinandersetzung mit der Musik der Gegenwart für vergangene Epochen sensibilisiert hat.

Sein analytischer Ansatz, geschult an Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Olivier Messiaen oder György Ligeti entschlackt auf seiner Debütaufnahme für die Deutsche Grammophon Bachs „Kunst der Fuge“ von jeglicher pianistischer Romantik. Aimard hat sich mit diesem Spätwerk gelinde gesagt etwas vorgenommen. Bach führte gegen Ende seines Lebens all sein kontrapunktisches Können zu einem Fugenkompendium von labyrinthischer Komplexität zusammen. Viele Einspielungen für Klavier gibt es von diesem theoretisch wie technisch einschüchternden Werk bisher nicht.

Vom ersten Ton an macht Aimard vor allem eines deutlich: den Notentext. Wer wissen will, was Mehrstimmigkeit auf dem Klavier sein kann, wird reich beschenkt. Trotz seiner nüchternen Spielweise in mittlerem Tempo arbeitet er lyrische wie expressive Nuancen souverän heraus und schlägt Bögen, die den Hörer wie in einer Kathedrale umherführen.

Johann Sebastian Bach: „Die Kunst der Fuge“, Pierre-Laurent Aimard (Deutsche Grammophon)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen