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„Sehr oft neurotisch gestört“

Private Bildungsangebote in den Schulferien haben großen Zulauf. Schuld daran sind Eltern, die ihre Kinder bestmöglich fördern möchten. Und dabei nicht selten über das Ziel hinausschießen

PETER STRUCK, 65, arbeitete zehn Jahre als Lehrer und ist heute Professor für Erziehungswissenschaft in Hamburg.

taz: Herr Struck, ist es sinnvoll, Kinder in den Schulferien lernen zu lassen?

Peter Struck: Das hängt von der Motivation des Kindes ab. Wenn es Lust dazu hat, ist es sehr sinnvoll. Andernfalls muss man sagen: Dafür sind die Ferien nicht da.

Was halten Sie von Sprachkursen für Kleinkinder?

Wenig. Es gibt neben fremdsprachlichen Frühförder-Instituten die Kumon-Schulen, die man in jeder nordrhein-westfälischen Kleinstadt finden kann. In solchen Einrichtungen müssen dreijährige Kinder Sprachen und Mathe lernen, weil die Eltern so ehrgeizig sind. In Neumünster boomt ein solches Frühförder-Institut. Die haben deutlich mehr Anmeldungen als Plätze.

Wo liegt das Problem?

Es ist nicht gut, wenn die Kindheit für eine ungewisse Zukunft aufgeopfert wird. Mama führt den Terminkalender und fährt das Kind täglich zum Musikunterricht, zum Tennis, zum Hockey und zum Kindergeburtstag. Das ist furchtbar, weil diese Kinder nie die Erwartungen ihrer Eltern erfüllen können und immer auf enttäuschte Gesichter stoßen.

Was ist die Folge?

Auf diese Weise erleben sie viele Niederlagen. Diese Kinder sind sehr oft neurotisch gestört und versuchen später mit allen möglichen Dingen wie Alkohol, Arbeitswut, Spielsucht oder auch Drogen, diesen Übererwartungen zu entgehen.

Verfügen diese Kinder denn über mehr Wissen?

Es kann sein, dass man mit Zwang und Druck dafür sorgt, dass sie etwas besser englisch können als andere, auch weil sie schon mit elf Jahren in den Sommerferien in eine schottische Familie geschickt wurden. Dann können sie natürlich etwas besser englisch, aber ansonsten sind das oft Erziehungsruinen.

Sind Ferien also auch ein Raum, in denen Kinder ihre Kindheit ausleben sollten?

Ja, Kinder müssen zweckfreie Zeit und Muße haben und sich selbst bestimmen können. Außerdem brauchen sie Zeit zum Spielen und für Freunde. Diese Zeit darf man nicht restlos verplanen.

Was raten Sie Eltern, die ihr Kind bestmöglich auf „das Leben“ vorbereiten möchten?

Man kann Kinder anregen, animieren und sie auch mal in ein Museum mitnehmen. Da wird man schon feststellen, ob das Kind daran Interesse hat oder nicht. Wichtig ist, dass man mit ihm spricht.

Warum verplanen Eltern das Leben ihrer Kinder?

Oft haben sie Angst, dass das Kind nicht beim Abitur ankommt. Das ist ja eigentlich auch gut gemeint von den Eltern.

INTERVIEW: JOHANNES DESTA

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