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„Gilt es mein putt putt Hühnchen?“

In der Idylle der Harburger Berge lehrt der Musiklehrer Josef Ecker einer Horde Nordlichter das Jodeln. Anfängliche Unsicherheiten sind rasch beseitigt, und spätestens abends sind die Lernenden sich einig: Bayern kann ja auch ganz toll sein – solange man bereit ist, sich zum Spacken zu machen

VON JESSICA RICCÒ

Weit vor den Toren Hamburgs. Die Sonne geht auf und lässt die Alpen glühen, hier im Rosengarten, dem Bergmassiv in den Südtiroler Dolomiten. Nein, pardon, in Rosengarten, der kleinen Gemeinde im Kreis Harburg. Wir befinden uns auf dem Kiekeberg, mit 127 Meter der höchste in der Gegend, immerhin. Mit etwas Abstand zum Bergabhang sieht es hier wirklich ein bisschen aus wie in den Alpen – hügelig und grün und ab zwei Dioptrien aufwärts ist auch der Hafen am Horizont nicht mehr als solcher auszumachen.

Geht man jedoch näher an den Abhang, sieht man ganz genau, dass man hier eben doch nicht in den Alpen ist: Unten stehen Reetdachhäuser mit gekreuzten, weißen Pferdeköpfen dran. Für unser heutiges Vorhaben ist das aber egal, denn: „Gejodelt wird überall auf der Welt.“ Sagt zumindest Josef Ecker. „Das gibt es auch in Schweden, in Afrika oder den USA als Country-Yodel.“ Sollen also auch wir Norddeutschen unser Jodeldiplom machen, ausgefertigt von unserem Lehrer Josef Ecker. Wenn dann die Kinder aus dem Haus sind oder mal was passiert, haben wir immer noch das Jodeldiplom in der Tasche und stehen auf eigenen Beinen – würde Loriot jetzt sagen. Und genau das, was an der Jodelschülerin Frau Hoppenstedt so besonders lächerlich wirkt, das konzentrierte Nachsprechen der Jodelsilben „Holleri du dödl di“, steht uns auch bevor, den zwölf Teilnehmern an Eckers eintägigem Seminar.

Seit zehn Jahren veranstaltet Josef Ecker diese Wochenendseminare schon, und in Hamburg ist er heute zum vierten Mal zu Gast. Es könnte eine spannende Mischung werden: Auf der einen Seite steht er – in Trachtenhose, Trachtenhemd und Trachtenhosenträgern, die in der Mitte König Ludwig II. von Bayern ziert; auf der anderen Seite wir Teilnehmer: Wir kommen aus Hamburg, Kiel und Bremen und möchten zwar alle Jodeln lernen, finden diese Art des Singens aber auch urkomisch – weil es so lustig klingt, weil es nicht Teil unserer norddeutschen Tradition ist und keiner auch nur entfernte Sympathien für Marianne, Michael oder den Jodelgott Franzl Lang hegt.

Ecker stört sich nicht an unserer anfänglichen Trägheit und lässt uns erst mal Trockenübungen machen. „S-Sch, s-sch“ flüstern wir im Chor vor uns hin und klingen ein wenig wie ein anfahrender Zug. Allerdings wie einer der immer leiser wird, weil niemand am lautesten „S-Sch“ machen möchte – wäre ja zu peinlich, dann ein „Sch-S“ oder „Sch-Sch“ oder etwas ähnlich Verkehrtes rausrutschen zu lassen; und alle lachen. Uns heute noch laut zum Jodeln zu bringen, das dürfte Josef Ecker noch alles pädagogische Können abverlangen.

„Es gibt zwei Arten des Jodelns“, versorgt er uns erst mal mit etwas Theorie. „Das langsame Jodeln ist der Ausdruck der Schönheit der Natur, das schnelle Jodeln dient dem Ausdruck der Geselligkeit.“ Dann weist er uns darauf hin, dass wir uns mit der vielen Natur der Harburger Berge um uns herum glücklich schätzen können. „In Berlin konnte ich die Teilnehmer nur 286 Stufen auf den Grunewaldturm heraufsteigen lassen“, sagt Ecker und gewinnt mit dem Hieb auf die Hauptstadt schlagartig unser aller Sympathie. Beim nun folgenden Rollenspiel imitieren wir das Liebesspiel der Mücken – Verzeihung, Schnaken – die sich ein hohes „düüüü“ und ein tiefes „rüüüü“ zurufen. Ist schon viel weniger peinlich, es machen ja alle mit. Doch: Josef Ecker ist ein toller Pädagoge. Der Musiklehrer schafft es sein urbayrisches Kulturgut – neben dem Jodeln gibt es auch eine Einführung ins Kuhglockenspiel und die „bayrischen Kastagnetten“, aufeinander geschlagene Löffel – als selbstverständlichste Musik der Welt zu verkaufen und geht dabei auf jeden Schüler gezielt ein. „So hoch komm ich beim ‚djedürü‘ gar nicht“, nörgelt eine ermattete Teilnehmerin. „Gut,“ meint Ecker, „dann singen sie jetzt zweite Stimme.“

Bis Ende November hält er an jedem Wochenende seine Seminare ab, quer durch Deutschland, für Firmen, für Kinder, für Hausfrauen. „Anfangs ging es mit der Beliebtheit der Seminare steil bergauf“, erzählt er. „Dann stagnierte der Andrang und ich sah zwei Möglichkeiten, die Qualität zu verbessern: Entweder ich bringe den Ablauf der Kurse in eine neue Reihenfolge – oder ich arbeite an mir selbst.“ Er erzählt, wie wichtig es sei, auf die verschiedenen Mentalitäten seiner Schüler einzugehen und dass in den letzten Jahren kein Kurs mehr einem festen Muster gefolgt sei, sondern sich immer den Gegebenheiten angepasst habe. Das klingt sehr NLP-gewieft, auch wenn er es nicht so nennt, und man merkt: Josef Ecker kann viel, viel mehr als einfach nur Jodeln. Und allein das ist ja schon eine Kunst – auch nach acht Stunden Kurs will der blitzschnelle Übergang von der Brust- zur Falsettstimme, der den typischen Jodelklang erzeugt, nicht einfach so gelingen. Und auch mit dem gerollten „R“ tun sich die meisten Nordlichter schwer.

„Dafür sind die Hamburger überhaupt nicht die kühlen Norddeutschen, für die man sie in Bayern oft hält“, berichtet der Jodellehrer. „Es gibt hier im Gegenteil ein starkes Bewusstsein dafür, aus sich rauszugehen.“ Hamburg, Tor zur Welt – was bringst du für lächerlichkeitsbereite Freigeister hervor.

Immerhin haben wir bis zum Mittag nun alle Hemmungen verloren, lassen auch schon mal ein vorbeitrabendes Pferd mit Reiter scheuen und vertreiben sogar ein Ehepaar, das seine Klappstühle eigens hierher in den Wald geschleppt hatte – um die Stille zu genießen, vermutlich.

„In Rheinland-Pfalz und Hessen verläuft in der Regel die Grenze für die bayrischen Texte“, erklärt Ecker. „Weiter oben kann man zwar Jodeln lernen, aber mit der Sprache wird es schwierig.“ Wie das in der Praxis aussieht, zeigt sich am Text des Kinderliedes „Bibihenderl“. Ecker singt es vor, begleitet von seinem Schifferklavier – pardon, seiner „Quetschn“ –, und wird nach einer Strophe von einem Schüler, der es ganz genau wissen möchte unterbrochen. „Verzeihung, was heißt denn ‚Bibihenderl‘ genau?“ – „Des isch a Huhn.“ – „Aber das Bibi davor?“ „Des isch’s G’räusch was ma macht, ums Huhn zu ruf’n.“ – „Also heißt das dann: ‚Gilt das mein putt putt Hühnchen‘?“ – „Gäi mei Bibihenderl, genau.“ Und wieder etwas Völkerverständigung geschaffen.

Am Ende des Kurses sind alle Teilnehmer platt vom Singen, der frischen Luft und dem Pollenflug – und erkundigen sich sofort nach dem Fortgeschrittenenkurs, im Herbst.

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