: Das Problem mit der Pose
Das Hamburger Lenzviertel ist eine Hochhaussiedlung, die als Musterbeispiel für gelungene Integration gilt. Nun steht der gute Ruf auf dem Spiel: Die so genannte Lutteroth-Gang steht auf Gangsta-Rap, sieht das Lenzviertel als ihr Ghetto und ist durch Gewalttaten in die Schlagzeilen gekommen
VON ANTJE BONGERS
Murat darf nicht mehr ins Jugendhaus. Seit der 15-Jährige dort ein Mädchen verprügelt hat, nennen ihn seine Freunde „Frauenschläger“. Sie treffen ihn jetzt im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel an einem Ausgang der U-Bahn-Station Lutterothstraße. Murat, breite Schultern, dunkler Bartflaum, wirkt älter als er ist – vielleicht wegen der dunklen Jacke seines Vaters, die er sich ausgeliehen hat und über dem grauen Kapuzenpulli trägt. Alle paar Sekunden spuckt er auf den Boden, während er spricht. „Ich würde mal so sagen: Ich hab’ schwache Nerven“, das ist sein Kommentar zur der Schlägerei.
Murat grinst. Morgen muss er wieder zum Gericht, wegen schweren Raubs und gefährlicher Körperverletzung. Murat kennt das schon. „Aber bestraft haben die mich erst einmal – da musste ich zwei Stunden arbeiten. Blätter kehren oder so.“ „Müll aufsammeln!“, verbessert ihn sein Freund Paddy. Der meint: „Wenn reden nichts bringt, muss man eben schlagen.“
Wegen ihrer Gewalttaten landeten die Jungs schon auf der Titelseite des Hamburger Abendblatts. Als ,,Lutteroth Kings“ wurden sie dort bezeichnet und mit verfremdeten Bildern in Gangster-Posen gezeigt. Der Anlass war damals eine Massenprügelei mit einer anderen Jugend-Gang aus dem Karoviertel, die sich auf den U-Bahnhof Lutterothstraße verirrt hatte.
Die Lenzsiedlung, in der Murat, Paddy, Ali, Louis und John leben, nennen sie stolz das „Lutteroth-Ghetto“. Tatsächlich erinnern die riesigen weiß-blauen Wohnblocks an trostlose Vorstadthäuser aus amerikanischen Hip-Hop Videos. Einkaufswagen stehen im Hausflur, einige Balkon-Türen fallen fast aus der Verankerung. In der Lenzsiedlung leben rund 3.000 Menschen aus 50 Nationen, ein Drittel der Bewohner ist unter 18.
Doch obwohl alle Voraussetzungen gegeben wären, galten die Wohnblocks bisher nicht als sozialer Brennpunkt. Probleme mit Drogen und Kriminalität sind eher selten. Für das gute nachbarschaftliche Zusammenleben und gelungene Integration wurde die Siedlung in den vergangen Jahren sogar mehrfach ausgezeichnet. 2004 gewann sie den Titel „Soziale Stadt“, 2005 wurde sie zur „Besten Nachbarschaft“ in Hamburg ernannt und 2006 als „Ausgewählter Ort“ bei „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.
Der Erfolg ist auch Monika Blaß vom Verein Lenzsiedlung e.V. zu verdanken. Sie ist eine zierliche Frau mit dunklen Locken, und die Tür zu ihrem kleinen, gelben Stadtteilbüro steht immer auf. Drinnen herrscht kontrolliertes Chaos, die hellen Holztische sind übersäht mit Broschüren, Ordnern und Unterlagen. An den Wänden hängen Fotos und Plakate ihrer Projekte. Die meisten, die hierher kommen, nennen Monika Blaß nur „Moni“.
Monika Blaß glaubt, dass die Jugendlichen sich häufig selber schaden und um ihre Chancen bringen. „Die orientieren sich an Bushido und versuchen eben auch, harte Ghetto-Jungs zu sein“, sagt sie. Monika Blaß kämpft gegen den schlechten Ruf der Siedlung. Jungs wie Murat, sagt sie, machten ihre ganze Arbeit kaputt.
Die Lenzssiedlung gehört zum braven Stadtteil Eimsbüttel. Schon auf der anderen Seite des U-Bahnhofs Lutterothstraße dominieren Altbauten das Bild, kleine Cafés und kleine Läden. An Murats Ausgang dagegen gibt es einen Döner-Imbiss im Erdgeschoss des 14-stöckigen Wohnblocks.
Nur wenige Besucher aus dem „anderen“ Eimsbüttel verirren sich hierher, als sei die U-Bahn-Haltestelle eine unsichtbare Grenze zwischen zwei Welten. Und die Jugendlichen aus der Lenzsiedlung merken das. Paddy, der Freund von Murat, glaubt zu wissen, weshalb er nicht auf die benachbarte Gesamtschule gehen darf: „Weil die nicht so viele von uns wollen!“ Die Schule bestreitet dies. „Davon kann keine Rede sein“, sagt Bernd Mader, der Gesamtschulleiter. „Natürlich haben wir auch Kinder aus der Lenzsiedlung.“
Trotzdem stapeln viele Jugendliche bei Berufswünschen von vornherein tief. Einige würden gar nichts anderes erwarten, als Sozialhilfeempfänger zu werden, glaubt Katja Kachel, die beim Bürgerhaus ein Praktikum macht. „Hier fehlen in vielen Familien die Vorbilder.“
Murat hingegen hat anscheinend Glück. Er fange nächstes Jahr eine Ausbildung zum Schlosser an, erzählt er. Beim Onkel von Ali, der hat ihm bei der Jobvermittlung geholfen. Sonst sähe es auf dem Arbeitsmarkt schlecht für ihn aus. Firmen haben kein Interesse an einem 15-jährigen Bewerber mit Vorstrafen, das weiß er.
Dass Murat und seine Freunde mit ihren Gangster-Posen ihre Chancen weiter verschlechtern, scheint ihnen jedoch wenig auszumachen. „Heute Abend lassen wir uns mit Wodka voll laufen“, kündigen sie an. Vielleicht sagen sie das nur, um cool zu wirken. Vielleicht aber werden sie es tatsächlich tun.
Auf die Frage, was denn seine Eltern zu den Straftaten sagten, antwortet Murat: „Mein Vater hat schon Stress gemacht.“ Dass er Murat zur Strafe für ein halbes Jahr in die Türkei schickte, erzählt ein Freund von ihm später.
Murat selbst spricht lieber davon, dass man ihn auch gerne „Massiv“ nennen könne. Das sei nämlich sein neuer Spitzname. Seine Freunde nicken, Louis zeigt auf Murats Oberarme. „Der hat trainiert!“ Seine Muskeln stählt Murat im Fitness-Studio, die Sportangebote und Projekte des Vereins Lenzsiedlung interessieren ihn nicht. Das sei etwas für die Jüngeren.
Nur im Sommer spielen die Freunde Fußball auf dem Platz hinter den Hochhäusern, erzählt Louis. Der Platz gehört dem Sportverein Grün-Weiß Eimsbüttel, der mit dem Verein Lenzsiedlung kooperiert. „Dann kommen sie alle“, sagt Louis. „Von A wie Ali bis Z wie Zedad.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen