: Vorwärtsverteidigung für Verlierer
Nicht die Portugiesen waren zu schnell, sondern sie selbst zu langsam, glauben die Türken nach einem ernüchternden 0:2. Dabei wurden ihre Hoffnungen womöglich das Opfer einer unsinnigen Systemveränderung ihres Trainers
GENF taz ■ Hamit Altintop kam spät. Die meisten Kollegen aus der türkischen Nationalmannschaft warteten schon im Mannschaftsbus, der direkt hinter der Haupttribüne des Stade de Genève parkte. Müde und desillusioniert sahen die türkischen Spieler aus, als sie an den wartenden Journalisten vorbeischlichen. Es war kurz nach Mitternacht und keine zwei Stunden war das am Ende noch als glimpflich zu bezeichnende 0:2 zum EM-Auftakt gegen Portugal her.
Auch Hamit Altintop war an seinen tief eingefallenen Wangen anzusehen, wie sehr ihn das Spiel mitgenommen hatte. Der Mittelfeldspieler von Bayern München war ja schließlich erst kurz vor EM-Beginn von einem Mittelfußbruch genesen, der ihn zu einer zweieinhalb Monate währenden Pause gezwungen hatte. Nationaltrainer Fatih Terim setzte seinen Lieblingsspieler auf der rechten Seite der Viererabwehrkette ein, und als Terims Kollege Felipe Scolari den dribbelwütigen Weltklassedraufgänger Cristiano Ronaldo in der zweiten Halbzeit vom rechten auf den linken Flügel beorderte, vermochte Altintop den Mangel an Wettkampfpraxis nicht mehr zu verbergen: Er war den rasanten Antritten Ronaldos nicht mehr gewachsen. „Nicht die waren zu schnell, sondern wir zu langsam“, gestand Altintop.
Einen „Albtraum“ wollte die türkische Zeitung Sabah erlebt haben. Und vielleicht, weil Altintop wusste, dass die Kritik auch an ihm festgemacht wird, ging er in die Vorwärtsverteidigung, die ihm zuvor auf dem Platz notorisch nicht gelingen wollte. „Ich werde mit dem Trainer reden, dass wir zielstrebiger spielen müssen“, teilte Altintop mit und meinte weiter: „Die vielen jungen Spieler konnten heute die Nervosität nicht ablegen.“
Doch hier irrte Altintop. Der 25 Jahre alte, in Berlin aufgewachsene Hakan Balta von Galatasaray ließ Ronaldo in seinem erst fünften Länderspiel viel weniger zu Entfaltung kommen als Altintop. Das von Terim für dieses Spiel erfundene 4-1-4-1-System mit den beiden jungen Frischlingen Mevlüt und Kazim Kazim im Vierer-Mittelfeldblock gestattete den überlegenen Portugiesen in der ersten Halbzeit nur bei Standardsituationen Torchancen. Es überraschte, dass Terim in der Halbzeit Mevlüt in der Kabine beließ, der zuvor Hakan Balta immer wieder erfolgreich zu Hilfe geeilt war, um Ronaldo am Tempodribbling zu hindern. Sabri kam, das System der Türken verschob sich eher hin zu einem 4-3-2-1, und Altintop stand meist allein Ronaldo gegenüber.
Die Türken stehen nun gegen die Schweiz am Mittwoch in Basel genauso unter Erfolgszwang wie die Gastgeber, die zuvor gegen Tschechien verloren hatten. Die Chancen, zum zweiten Mal das Viertelfinale nach 2002 zu erreichen, stehen denkbar schlecht. „Wir geben die Hoffnung nicht auf“, sagte Fatih Terim trotzig. Doch bei einer Niederlage am Mittwoch ist die Zukunft der Türken bei diesem Turnier schon vorbei. Der einzige Trost, der ihnen bleibt: Für die Schweizer sieht’s nicht besser aus. TOBIAS SCHÄCHTER
Portugal: Ricardo – Bosingwa, Pepe, Ricardo Carvalho, Paulo Ferreira – Petit, João Moutinho – Cristiano Ronaldo, Deco (90.+2 Fernando Meira), Simão (83. Raúl Meireles) – Nuno Gomes (69. Nani) Türkei: Volkan – Hamit Altintop (76. Semih ), Gökhan (55. Emre Asik), Servet, Hakan Balta – Mehmet Aurélio – Kazim, Emre Belözoglu, Mevlüt (46. Sabri), Tuncay – Nihat Schiedsrichter: Fandel (Kyllburg) Zuschauer: 29.106, Tore: 1:0 Pepe (61.), 2:0 Raúl Meireles (90.+3)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen