piwik no script img

90 Minuten in Frankfurt (Oder)„Pol-ska“ und „Deut-schland“ im Audimax

Im Seminar zusammen, beim Fußball getrennt: Studenten an der Viadrina in Frankfurt (Oder)

Die Polen haben ein Problem. Weil das polnische Staatsfernsehen sich geweigert hat, die geforderten 15 Millionen Euro für die Übertragungsrechte zu zahlen, gucken sie bei der EM in die Röhre. Beziehungsweise scharen sie sich um die wenigen Fernseher, die den Bezahlsender Polsat empfangen können. Und ein solcher steht nicht in Slubice. Resultat: Das Städtchen am östlichen Oderufer ist eine Stunde vor Spielbeginn wie ausgestorben.

Nur ein Plakat an einem Tabakgeschäft weist auf das Ereignis hin, das den polnischen Boulevard so erhitzt hatte und dessen Konstellation in Frankfurt Dauerthema ist: Deutschland/Polen. Deutschland und Polen? Deutschland gegen Polen? Auf dem Plakat jedenfalls ist schon jetzt zu lesen, wie das Spiel ausgehen wird: 2:0 für Polen, Torschützen: Smolarek und Podolski. Podolski?! Eine ironische Spitze? Schlecht informiert? Oder einfach ein frommer Wunsch?

Überhaupt: Podolski. Im Audimax der Viadrina wird über die Personalie Podolski schon vor Anpfiff heiß diskutiert. Über 20 Prozent der Studenten kommt aus Polen, und viele davon sind jetzt hier, Staatsfernsehen gucken. Deutsches Staatsfernsehen. Die Stimmung ist großartig, beide Seiten feiern laut und friedlich. Keine Polenwitze, kein Deutschen-Bashing. Aber auf Lukas Podolski angesprochen, reagiert die Mehrheit dann doch etwas gereizt. Der gebürtige Pole mit deutschem Pass ist nicht gerade das, was man einen „polnischen Publikumsliebling“ nennen könnte. Filip, 22 und aus Slupsk in Pommern, umschreibt es diplomatisch: „Wir wären nicht unglücklich, hätte er sich entschieden, für Polen zu spielen. Jetzt muss er damit leben, dass wir ihn hier ignorieren.“ Was dann doch eher untertrieben ist. Nach Prinz Poldis 1:0 herrscht geschocktes Schweigen. Kurz darauf jedoch, der Stürmer liegt am Boden und hält sich das Knie, erwacht die Menge schlagartig – und jubelt frenetisch. Unsportlich? Vielleicht. Aber das von den polnischen Medien heraufbeschworene Gemetzel bleibt trotzdem aus. Die Rot-Weißen versuchen lediglich, ihre numerische Unterlegenheit durch doppelten Stimmeinsatz wettzumachen. Die beiden Schlachtrufe „Pols-ka“ und „Deut-schland“ verschwimmen zu einem nicht differenzierbaren Wortbrei. Und das wiederum passt sinnbildlich ganz gut zur Stimmung im Audimax. DÖRTE SCHÜTZ

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen