lotto king karl, stadionlautsprecher: Echter geht’s nicht
Es gehört zu den charmanten Seiten Hamburgs, dass hier selbst abgebrühteste Burschen kein hartes T aussprechen können. Wahrscheinlich rührt daher das Bild von den Ganoven mit Herz, wahrscheinlich sind hier deshalb kernige Kerle so beliebt. Oben in der Publikumsgunst stehen drei volksnahe Doppel-D’s, die täglich den Beweis antreten, dass man es relativ talentfrei ziemlich weit nach oben schaffen kann: Diedder, Fedder und Loddo.
Während Dieter Bohlen den neureichen Vorstadtproll gibt und Jan „Großstadtbulle“ Fedder die Kiez-Attitüde pflegt, ist bei Lotto King Karl alles noch ein Stück echter: echt Arbeiter, echt Hamburg-Barmbek, echt Kult.
Das schafft der Barde ausgerechnet, indem er die tiefsten Sehnsüchte seiner Fans parodiert: als Jackpotknacker Karl König, der sich von der Lotto-Kohle eine Karriere als Rockstar leistet, aber trotzdem nicht verzichten will auf sein „Hopihalido“ (d. i. Holsten-Pils, Halbliter-Dose).
Gestützt wird diese Kunstfigur noch durchs wirkliche Leben, das aus dem gelernten Gabelstaplermonteur Gerrit Heesemann den Mann machte, der bei jedem Heimspiel des HSV von einer Hebebühne aus die Nordkurve einpeitscht; bei seinem Lied „Hamburg, meine Perle“ sollen sogar im Gästeblock schon heimliche Tränen gesehen worden sein.
In anderen Stadien würden die Fans diese gesangliche Bevormundung vielleicht als Enteignung der Fankultur brandmarken – in Hamburg hat man zur Zeit mehr Angst vor dem Verlust des Stadionsprechers als vor dem des Mittelfeldregisseurs: Seit klar ist, dass die Stadionshow demnächst vom NDR gemacht wird und nicht mehr vom Privat-Sender Radio Hamburg, ist die Zukunft von dessen Zugpferd ungewiss. Lotto ist beleidigt, die Fans sind zornig – so ist das, wenn der Star der Sprecher ist.
Auf der Suche nach Nähe zu seinen Anhängern geht Lotto manchmal besonders weite Wege – und dahin, wo es verdammt weh tut. Nachdem Werder-Torwart Tim Wiese aus der Nordkurve mit einer Flasche beworfen wurde, bat er die Fans süffisant, „die Getränkeversorgung einzustellen“. Dafür hat er sich entschuldigt – und darf in Bremen nicht nur weiterhin auftreten. Sondern bekommt es auch anständig in die Garderobe gestellt, sein Hopihalido.RALF LORENZEN
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