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heute in bremenRückkehr in den Alltag

„Refugio“, das Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge, ist „Ort im Land der Ideen“

taz: Inwiefern ist es passend, „Refugio“ im Rahmen eines Wettbewerbs unter anderem der deutschen Wirtschaft auszuzeichnen?

Ingrid Koop, Psychotherapeutin: Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, um die Flüchtlingsproblematik in Bereiche zu tragen, wo das sonst nicht so Thema ist.

Zum Beispiel bei den Kollegen von der Deutschen Bank, die die Laudatio halten?

Zum Beispiel. Darüber hinaus tut es einfach auch mal gut, dass unsere Tätigkeit gewürdigt wird.

Sie arbeiten seit 20 Jahren mit Folteropfern. Wie hält man das selbst aus?

Einerseits muss ich eine professionelle innere Distanz halten, andererseits aber berührbar bleiben – und das kann einen in der Tat sehr mitnehmen. Wir haben eine sehr gute Supervision und unterstützen uns im KollegInnenkreis. Außerdem ist es extrem wichtig, durch andere Lebensbereiche intensiven Ausgleich zu finden. Für mich selbst ist die Arbeit bei „Refugio“ eine gute Verbindung von politischer Arbeit und individueller Hilfe.

Ist Refugio Bremen das einzige Behandlungszentrum in Norddeutschland?

In Kiel gibt es eine Stelle, die traumatisierte Flüchtlinge an niedergelassene Therapeuten vermittelt. In Niedersachsen gibt es kein Behandlungszentrum, das in Hamburg wurde wegen gestrichener Landesmittel geschlossen. Entsprechend groß ist die Nachfrage bei uns. 2007 haben wir 290 Personen aus circa 30 Ländern betreut – sowohl in Erstgesprächen, als auch durch mehrjährige Behandlungen.

Sind Traumatisierungen durch Folter „heilbar“?

Die Betroffenen können lernen, nicht von ihren Erinnerungen überwältigt zu werden. Sie können sie nicht vergessen, aber in ihr Leben „einreihen“ und wieder in den Alltag zurück kehren. Ich habe eine kurdische Patientin, die sehr starr war und oft in Ohnmacht fiel – jetzt traut sie sich wieder alleine aus dem Haus. Auch als Therapeutin ist wichtig zu sehen: Der Patient ist nicht in erster Linie ein Gefolterter, sondern immer ein spezieller Mensch. Es geht im Therapieprozess darum, auch die anderen Dimensionen der Person wieder aufzuschließen.

Kommen zu Ihnen ebenso viele Männer wie Frauen?

Jetzt ja. Am Anfang haben wir uns gefragt: Wo bleiben die Frauen und haben uns bemüht, sie stärker einzubeziehen. Wenn Frauen „stellvertretend“ für ihre politisch aktiven Männer verhaftet und misshandelt werden, gibt es das Problem, dass sie bei uns nicht asylberechtigt sind. Folter „allein“ gilt in Deutschland nicht als Asylgrund. Auch Kinder reagieren mit Verhaltensauffälligkeiten auf ihre veränderten Väter. Aber unser Kinder-Projekt läuft leider gerade aus, wir suchen dringend nach Sponsoren.

Fragen: Henning Bleyl

Infos: www.refugio-bremen.de

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